Blutwäsche bei Post Covid, ME/CFS oder Post Vac ist bereits seit einigen Jahren in der Diskussion - aber in längst nicht allen Fällen sinnvoll. Der Nephrologe Georg Schlieper warnt vor gefährlichen Angeboten, sieht aber auch Ansätze für sinnvolle Therapien. Wovon Patientinnen und Patienten die Finger lassen und worauf sie achten sollten, erklärt er im Interview.

Ein Interview

Medienberichte und einige Arztpraxen präsentieren Apheresen – besser bekannt als Blutwäschen – als erfolgversprechende Therapie bei Post Covid, der Multisystemerkrankung ME/CFS und dem Post-Vac-Syndrom nach einer Impfung. Zum Einsatz kommen verschiedene Verfahren, bei denen das Blut aus dem Körper geleitet und in Apparaten mechanisch gefiltert oder adsorbiert, also chemisch-physikalisch, gereinigt wird. Ziel ist es je nach Technik, Fett- und Schadstoffe, Autoantikörper, Gerinnungsstoffe oder entzündliche Botenstoffe aus dem Blut zu entfernen.

Dass dies bei Post Covid, ME/CFS und Post Vac hilft, ist derzeit nicht belegt. Die Therapien – die Betroffene üblicherweise privat bezahlen müssen – sind daher hoch umstritten. Der Nephrologe Georg Schlieper warnte im Mai bei der ME/CFS-Konferenz der Charité und der ME/CFS Research Foundation eindringlich vor einigen der angebotenen Verfahren.

Was ist ME/CFS?

  • Die Abkürzung ME/CFS steht für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom. Es handelt sich um eine schwere, chronische Multisystemerkrankung. Hauptsymptom ist eine ausgeprägte körperliche und geistige Erschöpfung. Typisch ist die sogenannte Post-Exertional Malaise (PEM): eine deutliche Verschlechterung des Zustands schon nach geringer körperlicher oder mentaler Belastung. Weitere Symptome können Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, Schmerzen sowie Kreislauf- und Immunsystembeschwerden sein. Die Krankheit kann leicht bis schwer verlaufen – im schlimmsten Fall sind Betroffene dauerhaft bettlägerig. Die Ursachen sind noch nicht vollständig geklärt und es gibt bislang keine Heilung. Die Behandlung kann also nur die Symptome bekämpfen. Quelle: Deutsche Gesellschaft für ME/CFS

Im Interview erklärt Schlieper, wovon Patientinnen und Patienten die Finger lassen sollten, worauf sie achten können und welche Apherese-Verfahren wann überhaupt infrage kommen.

Herr Dr. Schlieper, die Krankheitslast vieler Patientinnen und Patienten mit Post Covid, ME/CFS, anderen postinfektiösen Syndromen und Post Vac ist hoch, ein Heilmittel fehlt. Einige Betroffene haben daher Therapieversuche mit unterschiedlichen Blutwäscheverfahren unternommen, deren Wirkung nicht belegt ist. Überblickt irgendjemand, welche Experimente in den vergangenen Jahren stattfanden – und mit welchem Ergebnis?

Georg Schlieper: Nein. Auf dem Markt werden verschiedene Verfahren angeboten. Manche sind etabliert, andere nicht. Manche Ärzte nutzen sie, obwohl sie ihren Patienten damit Schaden zufügen können. Es ist jedoch wichtig, genau zu differenzieren. Es gibt anerkannte neurologische Autoimmunerkrankungen und bestimmte Fettstoffwechselstörungen, bei denen Menschen von einer Immunadsorption oder einer Lipoproteinapherese [zwei Blutwäsche-Verfahren; Anm.d.Red.] profitieren. Für Post Covid, ME/CFS und Post Vac fehlen zu den verschiedenen Verfahren jedoch aussagekräftige Studien oder es gibt nur Fallserien wie zur Immunadsorption.

Aus diesem Grund riet die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie 2022 von Apherese-Therapien bei Post Covid ab. Das gilt also auch drei Jahre später noch?

Prinzipiell ja. In gut begründeten Einzelfällen kann man eine Immunadsorption schon erwägen, wenn die Patienten gut diagnostiziert sind und ein schwerer Verlauf besteht. Ein Bespiel: Wir hatten eine Patientin mit Post-Vac-Syndrom und einem schweren Herzbeutelerguss – da hat uns sogar eine Uniklinik empfohlen, eine Immunadsorption durchzuführen. Das hat bei dieser Patientin sehr gut funktioniert, aber es war eine Einzelfallentscheidung. Und natürlich müssen wir unterscheiden, über welche Art von Apherese wir sprechen.

Lassen Sie uns die Verfahren einmal durchgehen. Große mediale Aufmerksamkeit hat die sogenannte HELP-Apherese erfahren, bei der Fettbestandteile und Gerinnungsstoffe aus dem Körper gewaschen werden. Wissenschaftliche Belege für den Nutzen bei Post Covid, ME/CFS und Post Vac fehlen

Die HELP-Apherese dient dazu, Blutfette wie LDL-Cholesterin oder Lipoprotein(a) aus dem Blut zu waschen. Als Nebenprodukt wird auch Fibrinogen, ein Blutgerinnungsstoff, entfernt, dadurch kann die Mikrozirkulation verbessert werden. Es gibt Berichte, dass manche Patienten mit Post Covid, ME/CFS oder Post Vac mit der HELP-Apherese eine Besserung erfahren haben, aber das ist nicht systematisch erfasst und es gibt keine publizierten Fallserien und erst recht keine kontrollierten Studien. Solche Daten sollten in Registern veröffentlicht werden und die HELP-Apherese sollte nur im Rahmen von Studien eingesetzt werden.

Aus heutiger Sicht lässt sie sich nicht empfehlen, es sei denn, bei den Patienten liegen unabhängig von Post Covid, ME/CFS oder Post Vac bestimmte Fettstoffwechselstörungen vor, die eine Indikation zur Lipoproteinapherese haben. Weil bei Post Covid, ME/CFS oder Post Vac höchstwahrscheinlich Autoimmunprozesse eine Rolle spielen, halte ich die Immunadsorption für ein deutlich vielversprechenderes Verfahren.

Bei der Immunadsorption werden Autoantikörper aus dem Plasma entfernt. Die Unikliniken Berlin, Mainz und Hannover führen dazu kontrollierte klinische Studien durch, die Ergebnisse werden teilweise noch in diesem Jahr erwartet. Was empfehlen Sie Betroffenen, bis es so weit ist?

Die Charité hat bereits Fallserien mit Post-Covid- und ME/CFS-Patienten veröffentlicht. Bei 70 Prozent von ihnen hat die Immunadsorption zu einer Besserung geführt, allerdings gab es keine Kontrollgruppe. Alle Patienten, die moderat erkrankt sind, sollten die Ergebnisse der Sham-kontrollierten Studien [bei denen eine Kontrollgruppe eine sogenannte "Schein-Apherese" erhält; Anm.d.Red.] abwarten.

"Im Falle eines sehr schweren Krankheitsverlaufs ist als Ultima-Ratio-Therapie eine Immunadsorption als individueller Heilversuch denkbar."

Georg Schlieper, Nephrologe

Nur bei sehr schweren Verläufen würde ich im Einzelfall abwägen, ob die Therapie schon heute infrage kommt. Wir hatten zum Beispiel Patienten mit zerebraler Vaskulitis [eine Entzündung von Blutgefäßen im Gehirn, Anm.d.Red.] oder anderen schweren Organbeteiligungen, da stellt sich dann einfach die Frage: Natürlich brauchen wir die Studien, aber wie lange können wir diese Patienten warten lassen? Im Falle eines sehr schweren Krankheitsverlaufs ist als Ultima-Ratio-Therapie eine Immunadsorption als individueller Heilversuch denkbar.

Die Voraussetzung für eine Immunadsorption ist der Nachweis bestimmter Autoantikörper im Blut, also fehlgesteuerter Antikörper, die sich gegen das körpereigene Gewebe richten?

Das lässt sich heute noch nicht sicher sagen. Autoantikörper an sich sind keine sicheren diagnostischen Kriterien für Post Covid, ME/CFS oder Post Vac, denn wir wissen, dass auch bei einem kleinen Anteil gesunder Menschen Autoantikörper nachweisbar sind. Wichtig ist erst einmal, dass andere Erkrankungen sicher ausgeschlossen sind. Mehr werden wir hoffentlich aus den Studien erfahren.

Was ist Post Vac?

  • Der Begriff Post Vac bezeichnet gesundheitliche Beschwerden, die nach einer Impfung auftreten und länger anhalten können. Betroffene berichten etwa über Müdigkeit, Herzprobleme oder Konzentrationsstörungen. Die genauen Ursachen sind noch nicht vollständig erforscht und nicht alle Symptome stehen eindeutig mit der Impfung in Verbindung. Aktuell spricht man meist in Verbindung mit der Covid-19-Impfung vom Post-Vac-Syndrom.

Wenn Patientinnen und Patienten über positive Effekte der Immunadsorption berichten: Ist es auch denkbar, dass dies auf einen Placeboeffekt zurückgeht? Immerhin investieren Betroffene meist viel Geld und Hoffnung in den Therapieversuch.

Das ist nicht sicher auszuschließen. Wir haben das Dilemma, dass wir einen Teil der Symptomatik nicht gut messen, sondern nur mit Fragebögen erfassen können. Es gibt einzelne Parameter wie die Daten der Handkraftmessung, die etwas objektiver sind. Bei den mir bekannten Einzelfällen, bei denen teilweise auch die Krankenkassen die Kosten der Immunadsorption übernommen haben, konnten wir bei etwa 75 Prozent der Patienten Verbesserungen feststellen, so dass dies für manche Patienten schon ein sinnvolles Therapiekonzept sein kann.

Das Verfahren ist nicht ohne Risiken. Für welche Patientinnen und Patientengruppen kommt eine Immunadsorption überhaupt nicht infrage?

Grundsätzlich sind Aphereseverfahren sehr gut verträglich mit einer Nebenwirkungsrate von unter zwei Prozent. Meistens sind das Fehlpunktionen [fehlerhaftes Einstechen in ein Blutgefäß; Anm.d.Red.]. Ich würde jedem davon abraten, einfach auf Verdacht eine Immunadsorption zu machen. Entscheidend ist eine gute Vordiagnostik, bei der andere Erkrankungen ausgeschlossen wurden. Richtig ist auch, dass es bei der Behandlung bei wenigen Patienten erst einmal zu einem Crash kommen kann, sich der Zustand erst einmal also verschlechtert – auch bei Patienten, die später davon profitieren.

Manche Praxen bieten auch die INUSpherese an, die Schadstoffe wie Umweltgifte aus dem Blutplasma entfernen soll. Bei der ME/CFS-Konferenz der Charité im Mai in Berlin haben Sie dies als "fake treatment", als Scheinbehandlung, bezeichnet und dringend davon abgeraten – warum?

Die INUSpherese ist eine simple Doppelfiltration des Blutplasmas. Private Anbieter verkaufen sie teuer und behaupten, dass sie damit effektiv Giftstoffe aus dem Körper entfernen können. Zwar gibt es durchaus schwere Formen von Vergiftungen, bei denen als Notfallmaßnahme eine Entgiftung geboten ist – das macht man dann aber nicht mit einer Apherese, sondern zum Beispiel mit einer Hämodialyse oder Hämoperfusion, welche in die Hände von Spezialisten gehört.

In meinen Augen gibt es keine Indikation, die eine INUSpherese begründet. Es gibt auch keine Studie, die diesen Ansatz in irgendeiner Form bestätigt. Das gleiche gilt für die Toxopherese, auch das ist eine Fake-Behandlung. Hinzu kommt: Diese Verfahren werden oft von Ärzten angeboten, die gar keine Erfahrung mit Apheresen haben. Das ist sehr gefährlich, weil es Komplikationen geben kann.

Bei einem anderen Verfahren, der therapeutischen Plasmapherese, wird das Blutplasma ausgetauscht. Hier kam ein placebokontrollierter Versuch in Spanien zu dem Ergebnis: Für Post Covid lässt sich kein Nutzen belegen.

Ein Plasmaaustausch ist bei neurologischen Autoimmunerkrankungen durchaus etabliert. Für einen Einsatz bei Post Covid, ME/CFS oder Post Vac sehe ich aber keine Begründung, auch zumal das Verfahren sehr invasiv ist. Anders als bei der Immunadsorption braucht es einen zentralen Zugang am Hals oder am Brustkorb und es besteht immer ein Infektionsrisiko durch den Plasmatausch.

Die nephrologische Fachgesellschaft warnte vor einem "Geschäft mit der Verzweiflung", weil Blutwäschen sehr teuer sind und Patientinnen und Patienten sie in der Regel privat bezahlen müssen. Wie können die Menschen erkennen, welcher Anbieter unseriös und nur auf Geldmacherei aus ist?

Das ist sehr schwer. In jedem Falle gilt: Eine Apherese oder Immunadsorption muss im Einzelfall wohl überlegt sein, sie ist sicher keine pauschale Therapie für alle Post-Covid-, ME/CFS- oder Post-Vac-Patienten. Und sie gehört in die Hände von Nephrologen, die Erfahrung mit der Therapie haben. Es wäre gut, wenn wir in Zukunft klare Kriterien definieren können, für welche Patienten unter welchen Voraussetzungen das infrage kommt.

Empfehlungen der Redaktion

Dazu müssen wir aber die Studien abwarten. Im Falle positiver Studienergebnisse könnte die Immunadsorption in den Händen von Fachleuten für die teilweise sehr kranken Patienten mit Post Covid, ME/CFS oder Post Vac eine Behandlungsmöglichkeit ergeben, die ihnen eine neue Perspektive bietet.

Über den Gesprächspartner

  • Der Internist und Nephrologe (Nierenfacharzt) Georg Schlieper ist spezialisiert auf verschiedene Aphereseverfahren. Viele Jahre war er als Oberarzt an der Klinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten, rheumatologische und immunologische Erkrankungen der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen tätig. Seit 2018 behandelt er Patienten im Zentrum für Nieren-, Hochdruck- und Stoffwechselerkrankungen Hannover, einer Gemeinschaftspraxis, die Apherese-Verfahren zur Therapie von Autoimmunerkrankungen einsetzt. Schlieper ist Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN).

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Verwendete Quellen

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