Seit zwei Jahren forscht ein Verbund mehrerer Universitäten an Therapien für Long-Covid- und ME/CFS-Erkrankte. Im Interview gibt die Charité-Immunologin Carmen Scheibenbogen einen Überblick über die bisherigen Ergebnisse. Sie äußert sich auch zum Reizthema Rehabilitation, zum Scheitern der Studien mit dem Medikament BC007 und zu den Hürden, die einem schnelleren Fortschritt im Weg stehen.
Frau Scheibenbogen, vor zwei Jahren begann die vom Bund geförderte Nationale Klinische Studiengruppe unter Ihrer Leitung mit der Forschung an Therapien bei Long Covid. Wann können die Patienten mit einem heilenden Medikament rechnen?
Carmen Scheibenbogen: Ich bin zurückhaltend mit einer Prognose. Die bürokratischen und finanziellen Hürden sind sehr hoch. Deshalb können wir die Therapien nicht so schnell entwickeln, wie es wissenschaftlich möglich wäre.
Was bemängeln Sie?
Wir hängen oft in endlosen Begutachtungs- und Genehmigungsphasen fest, die unsere Arbeit sehr langwierig machen. Wir haben zum Beispiel vor mehr als einem Jahr beim Bundesforschungsministerium Geld für eine Therapiestudie mit Uplizna beantragt: Das Medikament ist bei einer Variante der Multiplen Sklerose bereits zugelassen, es ist das wahrscheinlich wirksamste Präparat, um die Produktion von schädlichen Autoantikörpern in den B-Zellen zu hemmen. Das Problem ist, dass uns der Hersteller das Medikament nicht zur Verfügung stellt, wir müssen es selbst kaufen – was mit 165.000 Euro pro Patient sehr teuer wird. In diesem Mai haben wir einen positiven Zwischenbescheid vom Ministerium erhalten. Seitdem warten wir. Nun soll der finale Bescheid Mitte Dezember kommen. Dann erst können wir das Studienprotokoll vorbereiten und einreichen. Bis wir wirklich loslegen, wird es Sommer 2025 – fast zwei Jahre nach dem Antrag.
An der Charité haben Sie in einer Studie bereits die Wirkung der Immunadsorption untersucht – ein Verfahren, bei dem Autoantikörper aus dem Blut gewaschen werden. Was können Sie über die Ergebnisse berichten?
Wir haben 20 Menschen behandelt, die nach Covid schwer an ME/CFS erkrankt sind.
Das Kürzel steht für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom. ME/CFS gilt als schwerste Ausprägung von Long Covid, kann aber auch zum Beispiel durch andere Viren ausgelöst werden.
Genau. 14 der 20 Patienten, die teilweise so krank waren, dass sie ihre Wohnung nicht mehr verlassen konnten, haben eine deutliche Besserung erfahren. Die Immunadsorption hat sie buchstäblich vom Sofa zurück ins Leben gebracht. Wie erwartet, hat sich ihr Zustand nach drei bis sechs Monaten wieder verschlechtert. Das liegt daran, dass die B-Zellen weiter neue Autoantikörper produzieren. Deshalb müssen wir die Immunadsorption mit Medikamenten kombinieren, die diese B-Zellen entfernen. Das könnte eine erste ursächliche Therapie sein, die wahrscheinlich bei einer großen Teilgruppe der Long-Covid-Betroffenen und der ME/CFS-Patienten wirksam ist.
Große Hoffnungen waren mit dem Wirkstoff BC007 des Start-ups Berlin Cures verbunden, der ebenfalls Autoantikörper neutralisieren soll. Sie waren Mitglied im Beirat des Unternehmens. Vor wenigen Tagen gab es das Scheitern seiner klinischen Studie bekannt: Das Medikament wirkte demnach nicht besser als ein Placebo. Spricht das gegen Autoantikörper als Auslöser von Long Covid?
Die klinische Studie hat keinen Wirkungsnachweis für BC007 gebracht. Das spricht aber nicht gegen die Beteiligung von Autoantikörpern, denn wir wissen nicht, ob BC007 diese neutralisieren kann. Im Gegenteil zeigten zuletzt richtungsweisende Studien, dass sie eine wichtige Rolle bei Long Covid spielen, allen voran die Transfermodelle: Wenn Autoantikörper von Long-Covid-Patienten auf die Mäuse übertragen werden, entwickeln diese die gleichen Symptome.
Unter dem Begriff Long Covid sammeln sich Patienten mit sehr unterschiedlichen Symptomen und Befunden, nicht bei allen sind die Autoantikörper auffällig. Gibt es auch für diese Patientengruppe Aussicht auf ursächliche Therapien?
Ja, davon gehe ich aus. Unsere Nationale Klinische Studiengruppe hat vom Bund Geld dafür bekommen, die Patienten umfassend zu charakterisieren. Immunzellaktivierung, Spike-Proteine aus dem Virus, Entzündungswerte, Gefäß- und MRT-Diagnostik – das alles untersuchen wir und müssen wir noch auswerten. Unser Ziel ist, Muster zu erkennen, welche Patienten auf welche Therapie ansprechen. Bei einer Gruppe vermuten wir eine anhaltende Entzündung als Ursache der Beschwerden. Hier könnten hoch dosierte Cortison-Behandlungen mit dem Wirkstoff Methylprednisolon helfen, bei anderen das durchblutungsfördernde Medikament Vericiguat oder die Sauerstoffhochdrucktherapie. Dazu werden wir bald mehr wissen: Die Studien werden im Frühjahr abgeschlossen und bis Ende 2025 ausgewertet sein.
Auch in dem Antipsychotikum Aripiprazol sehen Sie ein mögliches Long-Covid-Medikament – wie ist hier der Stand?
Das gehört zu einem Folgeantrag über acht Millionen Euro, den wir beim Bundesforschungsministerium eingereicht haben. Neben Aripiprazol und Uplizna wollen wir das Medikament Ocrelizumab testen, das auch gezielt B-Zellen angreift. Außerdem planen wir eine Studie zur Immunadsorption bei Patienten, die Long-Covid-ähnliche Symptome nach einer Impfung entwickelt haben. Eigentlich sollte die Förderzusage schon da sein. Jetzt, da das Forschungsministerium nur kommissarisch geleitet wird, sind wir in großer Sorge, ob wir das Geld bekommen. Wenn sich alles nach dem Rücktritt der Ministerin [Bettina Stark-Watzinger, FDP; Anm.d.Red.] verzögert, verlieren wir wieder wertvolle Zeit.
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Bisher werden Long-Covid-Patienten symptomatisch behandelt, viele absolvieren Reha-Programme. Wie Selbsthilfegruppen haben auch Sie vor Fehlbehandlungen gewarnt: Schlimmstenfalls kämen Menschen zu Fuß in die Reha und im Rollstuhl wieder heraus. Besteht das Problem zu Ende des fünften Covid-Jahres noch immer?
Wir haben keinen Überblick, was in den einzelnen Kliniken passiert. Vielen Long-Covid-Patienten geht es nach der Reha besser. Wenn eine Belastungsintoleranz vorliegt, sind Sportprogramme jedoch häufig kontraproduktiv, für die Schwerbetroffenen kann die Idee Reha überhaupt nicht greifen. An der Charité haben wir versucht, ein spezielles Reha-Konzept für ME/CFS-Erkrankte zu entwickeln. Darin ging es nicht ums Fitmachen, sondern um Strategien zur Krankheitsbewältigung, zur Schlafverbesserung und Stressreduktion. Die Ergebnisse sind noch in der Auswertung, aber ich kann schon sagen, dass selbst eine solch angepasste Reha für viele Betroffene zu anstrengend war.
Seit einem Jahr gehören Sie einer Kommission an, die im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums eine "Off-Label-Liste" erstellen soll. Die darauf enthaltenen Therapien sollen dann trotz fehlender Zulassung für Long Covid von den Kassen bezahlt werden. Warum gibt es noch keine Ergebnisse?
Das Problem ist, dass die Kommission die Evidenz nicht selbst bewerten darf. Wir mussten das an eine externe Firma vergeben. Auch hier sind viele Monate ins Land gegangen, weil wir sie erst finden mussten und zunächst unklar war, wie ihre Arbeit eigentlich finanziert wird. Bald werden wir die Daten haben, müssen sie dann sichten und unsere Empfehlungen an den Gemeinsamen Bundesausschuss weiterleiten, der über die Liste entscheidet.
"Bald" heißt noch dieses Jahr?
Nein, damit rechne ich nicht mehr.
Das Gesundheitsministerium hat den Auftrag für die Liste auf Long Covid beschränkt, obwohl Menschen mit ME/CFS und teilweise auch nach einer Impfung an ähnlichen Symptomen leiden. Bleibt es dabei?
Ich verstehe, dass die Betroffenen über solche Entscheidungen verstört sind. Ich betrachte diesen Auftrag als rein formale Sache. Die Daten zur Wirksamkeit der Medikamente kommen ohnehin vor allem aus Studien mit ME/CFS-Erkrankten. Insofern hoffe ich, dass der Gemeinsame Bundesausschuss die Off-Label-Verfahren unabhängig vom Auslöser der Erkrankung genehmigen wird.
Zur Person
- Die Hämatoonkologin und Immunologin Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen ist seit 2018 Direktorin des Fatigue Centrums an der Berliner Charité und gehörte 2021 zu den Gründern des Post-Covid-Netzwerks der Universitätsklinik. Sie ist die führende Expertin für die Multisystemerkrankung ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom) in Deutschland. 2022 würdigte Bundespräsident
Frank-Walter Steinmeier das Engagement der heute 62-Jährigen für die Betroffenen von ME/CFS und Long Covid mit dem Bundesverdienstkreuz.
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