Wenn jemand, mit dem Sie zusammenwohnen, gewisse Dinge im Haushalt immer absichtlich falsch oder nicht erledigt, kann das sehr ärgerlich sein. Eine Paar- und Familientherapeutin vermutet dahinter jedoch meistens etwas anderes als bloße Faulheit oder Ignoranz und erklärt, wie Sie mit solchen Situationen am besten umgehen.
Das kennen sicher viele von Ihnen: Sie kommen nach einem langen Arbeitstag erschöpft nach Hause und möchten einfach nur schnell etwas kochen und sich dann entspannen. In der Küche empfängt Sie allerdings ein Stapel dreckiges Geschirr, das mal wieder nicht eingeräumt wurde. Bei dem Blick in die Spülmaschine stellen Sie dann zu allem Überfluss auch noch fest, dass die Weingläser mal wieder oben und nicht unten eingeräumt wurden – obwohl Sie nicht nur einmal gesagt haben, dass die so nicht richtig sauber werden.
Derartige Situationen gibt es in Familien, Partnerschaften oder Wohngemeinschaften oft. In solchen Momenten kann man schnell sauer werden. Das Gefühl von "der oder die macht das doch mit Absicht" liegt nahe. Aber am Ende räumt man dann doch meistens genervt die Spülmaschine ein und die Weingläser an den richtigen Platz.
Ist das der richtige Weg? Vermutlich nicht, sagt einem der Instinkt, aber wie geht es besser? Die Paar- und Familientherapeutin Pascale Jenny vermutet hinter dem Phänomen, das häufig als "strategische Inkompetenz" bezeichnet wird, etwas anderes als bloße Faulheit oder Ignoranz, wie sie im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt.
Das Problem mit der Unterstellung
Als "strategische Inkompetenz" wird eine Taktik bezeichnet, bei der sich jemand absichtlich "dumm stellt", um bestimmten Aufgaben oder Konsequenzen zu entgehen. Die Person setzt Dinge dabei überhaupt nicht oder absichtlich falsch um, sodass jemand anderes die unliebsame Aufgabe übernimmt.
"Ich stelle oft fest, dass Menschen gewisse Dinge gerne in andere reininterpretieren."
Doch genau hier liegt bereits das erste Problem, sagt die Paar- und Familientherapeutin Pascale Jenny: Wir unterstellen unserem Gegenüber, dass dieses Verhalten wirklich eine Absicht verfolgt. "Ich stelle oft fest, dass Menschen gewisse Dinge gerne in andere reininterpretieren. Nach dem Motto: 'Ich weiß, dass du das so denkst' oder 'Ich weiß, dass du das so tust.' Ob das jedoch wirklich so ist, ist die Frage."
Sie selbst erlebe immer wieder in ihrer Arbeit mit Paaren oder Familien, dass gewisse Dinge selbstverständlich vom anderen erwartet werden, ohne je darüber gesprochen zu haben. "Es fühlt sich oft so an, als müsste man sich die Wünsche von den Augen ablesen", sagt Jenny.
Welche Fragen wir uns in diesen Momenten selbst stellen sollten
Das Stichwort lautet also - wie so oft - Kommunikation. Dabei gilt es zunächst bei sich selbst anzufangen, erklärt Jenny. "Was hindert mich daran, direkt mit dem Menschen zu sprechen? Was hindert mich daran, zu sagen: 'Du, mir fällt auf, dass … könnten wir das nicht irgendwie anders regeln?', wenn es mich wirklich so stört?"
Auch sollten wir bedenken, dass unser Weg nicht immer der einzig richtige ist. Warum sollte beispielsweise meine Art, die Spülmaschine einzuräumen, die einzige richtige sein? "Wenn ich mich so über jemanden stelle, übe ich Kontrolle aus und dabei wird ein Machtverhältnis spürbar. Das heißt, ich lasse dem anderen gar nicht die Freiheit, es so zu tun, wie er oder sie möchte", sagt die Therapeutin.
Und wenn es nun doch Absicht ist?
Doch was, wenn ich merke, dass die andere Person tatsächlich aus strategischen Gründen inkompetent im Haushalt ist? Zuallererst ist es hilfreich, dem anderen zu sagen, wie es einem dabei geht, sagt Jenny. Seinem Gegenüber einen Vorwurf an den Kopf zu knallen, bringe in der Regel wenig. Beispielsweise könnte man sagen: "Ich gebe mir sehr viel Mühe, die Spülmaschine einzuräumen, und ich habe den Eindruck, du nicht." Nur auf diese Weise kann überhaupt ein Gespräch entstehen.
Dass einen etwas ärgert oder man etwas nicht in Ordnung findet, lässt sich auch freundlich und wertschätzend kommunizieren. Schafft man dies nicht, könne man sehr schnell in eine Art Kampf geraten, sagt Jenny, denn Menschen sind mitunter schnell beleidigt. Um das zu vermeiden, könnten Sie Ihr Gegenüber etwa fragen, was er oder sie braucht, damit etwas umgesetzt wird – wie beispielsweise das dreckige Geschirr in die Maschine zu räumen.
Warum ist jemand strategisch inkompetent?
Nach Jennys Erfahrung steckt in der Regel mehr dahinter als reine Faulheit oder schlichte Ignoranz, wenn sich Partner, Kinder oder Mitbewohner "absichtlich" blöd im Haushalt anstellen. "Ich stelle oft fest, dass es eigentlich um ganz andere Dinge geht, wenn Konflikte über so oberflächliche Sachen (wie beispielsweise das Einräumen der Spülmaschine, Anm.d.Red.) ausgetragen werden."
Eine Ursache, die Jenny vor allem bei Männern beobachten konnte, ist gefühlte Unzulänglichkeit. Insbesondere, wenn es um Themen rund um Kindererziehung und Haushalt geht. Laut der Therapeutin handelt es sich bei der "strategischen Inkompetenz" dann eigentlich um eine Vermeidungsstrategie, damit nicht zum Vorschein kommt, dass sie diese Aufgabe nicht so gut meistern – zumindest in ihrer Wahrnehmung.
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Wer sich unzulänglich fühlt, hat nicht das Gefühl, auf Augenhöhe zu sein. Das gilt speziell für Partnerschaften und hat oft zur Folge, dass sich eine Seite emotional zurückzieht oder zum Gegenspieler des Partners wird – auch unterbewusst. "Das sind selbstgemachte Spielchen, die entstehen, wenn jemand Ängste hat oder sich an anderer Stelle verletzt gefühlt hat." Wichtig sei dann Selbstreflexion und vor allem Kommunikation mit dem Partner beziehungsweise der Partnerin. Dabei sollte man sich fragen: Was stört mich wirklich? Wovor habe ich vielleicht Angst?
Es gilt, die Gründe zu entlarven
Hinter strategischer Inkompetenz, ob bewusst oder unbewusst, können verschiedene Gründe stehen, die es zu entlarven gilt. Beispielsweise können auf diese Weise auch stereotypische Rollenmuster durchgesetzt werden – und zwar in alle Richtungen.
Stellt sich jemand bewusst doof an, schlüpft derjenige ein Stück weit in die Kinderrolle zurück. Ganz nach dem Motto: Das soll jemand anderes für mich regeln. Auch veraltete Rollenmuster können durch strategische Inkompetenz durchgesetzt werden. So denken manche Männer (möglicherweise auch unterbewusst), dass die Frau das Meiste im Haushalt zu übernehmen hätte und manche Frauen wiederum, dass der Mann für das Rasenmähen und das Installieren des neuen WLAN-Routers zuständig sei.
"Nicht jeder hat, indem er etwas tut, den Wunsch nach dem gleichen Ergebnis", sagt Jenny. Um herauszufinden, wieso jemand strategisch inkompetent ist, muss man also in das Gespräch mit seinem Gegenüber gehen. Wichtig ist dabei natürlich, dass beide Parteien bereit sind, sich selbst zu reflektieren.
Wenn alles Reden nicht hilft
Die Familientherapeutin räumt jedoch auch ein, dass es natürlich auch Menschen gibt, die schlichtweg keine Lust auf Hausarbeit haben oder sich nicht die Hände schmutzig machen wollen. Das käme ihrer Erfahrung nach jedoch deutlich seltener vor.
Damit strategische Inkompetenz jedoch aufgeht, bräuchte es immer zwei: Einen, der die Arbeit verweigert oder absichtlich falsch macht, und einen zweiten, der diese Aufgabe dann übernimmt. Wenn alles Reden nichts bringt, rät Jenny dazu, Konsequenzen aufzuzeigen und es auszusitzen. Damit soll das Gegenüber nicht bestraft, sondern die eigene Position klargemacht werden.
In unserem Beispiel hieße das, das Geschirr einfach dreckig stehen und die Weingläser an Ort und Stelle zu lassen, statt sie umzuräumen. Nur so wird mein Gegenüber, wenn alle Gespräche ins Leere laufen, möglicherweise doch von selbst das Geschirr in die Spülmaschine einräumen und merken, dass die Weingläser auf diese Weise einfach nicht richtig sauber werden. Ob man sich für das "Aussitzen" entscheidet, sei am Ende jedoch eine Stilfrage, sagt die Therapeutin.
Über die Gesprächspartnerin
- Pascale Jenny ist systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin mit eigener Praxis in Karlsruhe. Sie begleitet Einzelpersonen, Paare, Familien, Geschäftspartner und -partnerinnen und Familienunternehmen – mit systemischer Therapie, Supervision und klärenden Gesprächen in Übergangs- und Konfliktsituationen.