Was wie ein Aprilscherz klingt, war am Wochenende in Tating (Schleswig-Holstein) Realität: Ein Seehundbaby hat sich offenbar vom Tümlauer Koog aus den Weg über Wiesen und Felder bis auf einen Bauernhof gebahnt. Familie Klützke staunte nicht schlecht – und handelte mit viel Herz und Verstand.

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Eigentlich wollte Anneke Klützke an diesem Samstagmorgen nur die Gänse rauslassen. Doch zwischen Koppel und Gartenzaun entdeckte sie etwas, das nicht so recht ins Bild passte: ein grauer, feuchter Körper, reglos, mitten im Gras. "Ich denke noch: Was liegt denn da? Ich geh' ein Stück dichter ran, dann hebt das den Kopf. Und ich denk': Das ist doch ein Seehundbaby", erzählt sie im Gespräch mit unserer Redaktion.

"Halt' mich für völlig bescheuert, aber ich glaub', hier liegt ein Seehund bei uns im Garten."

Anneke Klützke zu ihrem Mann
Ein Seehundbaby im Garten
Seehund auf Abwegen: Das Tier dürfte über einen Sielzug aus dem Tümlauer Koog bis in den Garten der Familie gelangt sein. © Anneke Klützke

Was folgte, war ein Moment voller Zweifel: "Mein Verstand sagt erst mal: Nein. Guck nochmal hin. Und dann wieder: Vielleicht war das Essen gestern Abend doch nicht gut. Das kann kein Seehund sein. Aber wie oft ich auch hingucke, es blieb ein Seehund."

Im ersten Schock griff sie zum Handy und rief ihren Mann an, der zu diesem Zeitpunkt bereits im Melkstand stand. "Ich sag' zu ihm: Halte mich für völlig bescheuert, aber ich glaub', hier liegt ein Seehund bei uns im Garten." Der Ehemann ließ alles stehen und liegen, "wahrscheinlich dachte er unterwegs noch, ich verwechsele da gerade einen Hasen mit einem Robbenbaby", und fuhr zurück zum Hof.

Doch es war, wie es war: Mitten im nordfriesischen Tating, rund drei Kilometer Luftlinie von der Nordsee entfernt, saß tatsächlich ein kleiner Heuler auf der Weide.

So bahnte sich das Seehundbaby den Weg auf die Wiese

Wie das Tier dort hingelangt ist, bleibt ein kleines Naturwunder. Doch es gibt eine plausible Theorie: Im Tümlauer Koog, einem Gebiet mit vielen Seehunden, könnte sich der kleine Heuler auf Futtersuche begeben haben und im Sielzug gelandet sein, einem Entwässerungssystem, das sich durch die Landschaft zieht. "Der Sielzug läuft bei uns einmal um die Koppel herum", erklärt Klützke. "Unsere Schafe trinken da auch daraus. Der Heuler könnte da hochgeschwommen und über eine flache Stelle an Land gekrabbelt sein."

Von dort aus soll er dann quer über die Weiden bis zur Gänsekoppel gekrabbelt sein: Ein Weg, den man einem wenige Wochen alten Seehund kaum zutrauen würde.

Zäune, Abstand und ein geplatzter Kindertraum

Die Familie reagierte besonnen: "Wir sind natürlich nicht zu nah ran. Man hat schon gemerkt, dass er Angst hatte. Das ist ja kein Tier, das Menschen gewöhnt ist." Um den kleinen Seehund vor weiteren Ausflügen zu bewahren, stellte die Familie vorsichtig eine Art Schutzumzäunung auf.

"Die Kinder durften gucken, aber anfassen war natürlich tabu." Und doch war die Begeisterung bei den beiden Söhne riesig. "Der Große ist fünf, der Lütte wird bald drei. Die hätten den am liebsten behalten." Sogar Lösungen waren schon in Sicht: "Das Planschbecken sollte zum Seehundbecken werden und der Kleine war schon auf dem Weg zur Eistruhe, um Fischstäbchen zu holen." Doch für die Familie war klar: So ein Tier gehört in fachkundige Hände.

Anruf bei der Seehundstation

Also wurde die Seehundstation Friedrichskoog kontaktiert, mit Unterstützung des zuständigen Seehundjägers. Der holte den kleinen Heuler ab und überführte ihn in die Auffangstation. Dort wird das Tier nun versorgt, medizinisch untersucht, aufgepäppelt und später wieder ausgewildert.

"Ich glaube, er hat gemerkt, dass ihm hier keiner was tut", sagt Klützke rückblickend. "Als der Seehundjäger kam und ihn eingesammelt hat, hat er nur kurz gefaucht. Ansonsten war er ganz ruhig."

Von der Gänsewiese zurück ans Meer

Ein paar Tage wird das Robbenjunge wohl noch in Friedrichskoog bleiben müssen, dann aber soll er zurück in die Nordsee; dahin, wo er hingehört.

Für die Familie Klützke bleibt der Tag mit dem Heuler unvergesslich. "Definitiv Kategorie: Ich mach' mal ein Foto, sonst glaubt mir das keiner." Der Plan: Die Kinder wollen den kleinen Gast in der Seehundstation besuchen, in der Hoffnung, dass er sie wiedererkennt.

Verwendete Quellen

  • Gespräch mit Anneke Klützke