In Frankreich macht eine neue Bewegung von sich reden. Unter dem Motto "Nicolas zahlt die Zeche" empört sich die junge arbeitende Bevölkerung darüber, dass sie angeblich für den Sozialstaat zahlen muss. Erinnerungen an die Gelbwesten werden wach.
Einen Nicolas kennt in Frankreich sicher jeder in seinem Bekanntenkreis. In den 1980er Jahren war er einer der häufigsten Vornamen, den Jungen bekamen. Jetzt ist in den sozialen Netzwerken auch eine neue Bewegung entstanden, die diesen Namen benutzt: "Nicolas qui paie". Nicolas zahlt die Zeche.
Beim Wort Bewegung werden in Frankreich Erinnerungen an die Gelbwesten wach, die sich 2018 und 2019 vor allem im ländlichen Raum mit Hilfe von Facebook formierten: Menschen in gelben Warnwesten demonstrierten zunächst gegen eine geplante Erhöhung der Spritsteuer und legten das Land monatelang lahm.
Protest gegen Kosten von Rente und Einwanderung
Allerdings ist die Sache bei "Nicolas" etwas anders. Die Hauptbotschaft der Bewegung lautet: Sie will nicht alleine für die Sozialkosten aufkommen, die durch Rente oder Einwanderung verursacht werden.
Wer genau hinter Nicolas steckt, ist nicht klar, vermutlich eine fiktive Figur. Aber das Profil ist das eines jungen, weißen, studierten Angestellten aus der Mittelschicht, eher aus einer Großstadt, der verärgert ist, weil er zu viele Steuern zahlen muss. Er will weder für die Rente von "Chantal und Bernard" (das sind die Baby-Boomer-Namen) noch für Sozialhilfe für den jungen "Karim" aufkommen, der das Geld angeblich nach Afrika überweist.
Ausländer werden beschuldigt, das französische Sozialsystem auszunutzen. Die rassistische Variante scheint Nicolas eher im Milieu der Rechtspopulisten von
Generationenkonflikt bietet Zündstoff
Doch der Generationskonflikt in Frankreich ist nicht zu unterschätzen. Er bietet Zündstoff. Die Posts in den sozialen Netzwerken haben eine große Bevölkerungsgruppe erreicht, das Empörungspotenzial wirkt groß. Die Regierung und Präsident
Im Gegensatz zu den Gelbwesten handelt es sich nicht um Benachteiligte der Gesellschaft. Sondern um jene großstädtische Mitte, die auch Macron vertritt. Der Präsident will diese Mitte nicht auch noch an die Rechtsnationalen von Le Pens Rassemblement National (RN) verlieren.
Aus Sicht vieler Menschen der jungen Generation funktioniert der soziale Aufstieg durch Arbeit nicht mehr wie in der früheren Generation. Sie fürchtet sich vor dem Abstieg, vor allem weil Kosten für Immobilien und Lebenshaltung stark gestiegen sind.
Maxime Sbaihi, Wirtschaftswissenschaftler bei der französischen Denkfabrik Institut Montaigne, sagt unserer Redaktion: Der Staat in Frankreich ist der große Versorger, das Sozialmodell beruht viel mehr auf ihm als etwa in Deutschland. "In Frankreich gibt es einen Reflex, die arbeitende Bevölkerung dafür zahlen zu lassen."
"Es gibt ein wachsendes Bewusstsein, das ein Gefühl von Ungerechtigkeit und Frustration hervorruft."
Bisher wurde noch keine politische Forderung wie bei den Gelbwesten formuliert. Aber Nicolas erreiche große Bevölkerungsgruppen, beobachtet Sbaihi: "Es gibt ein wachsendes Bewusstsein, das ein Gefühl von Ungerechtigkeit und Frustration hervorruft. Wir sehen es an der Wohnungsfrage. Das Alter, in dem Menschen ihr erstes Eigenheim kaufen können, steigt ständig."
Für ihn ist der Generationenkonflikt entscheidend: "Die Demografie hat sich verändert. Immer weniger junge Leute müssen für die Rente aufkommen. Zum ersten Mal in der Geschichte ist der Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung niedriger als der der Rentner."
Durch die Pandemie stieg Frankreichs Staatsverschuldung. Und die Jugend ging in den Lockdown, um die ältere Bevölkerung zu schützen. "Sie hat das Gefühl, dafür nichts zurückbekommen zu haben", sagt Sbaihi. Im Gegenteil, nur höhere Kosten.
Ein heikler Zeitpunkt: Die Regierung wackelt
Die Gelbwesten waren gegen die Spritsteuer, Nicolas positioniert sich gegen die Steuerlast und Steuererhöhungen allgemein. In beiden Fällen geht es also um Steuerdruck. Die Bewegung könnte sich leicht mobilisieren. Sbaihi glaubt allerdings nicht, dass sie die Radikalisierung wählen wird. Sie hat die Nase voll von zu vielen Steuern, aber keinen Hass auf die Politik. Sie wähle eher den Weg der "öffentlichen Debatte". Und eine große Debatte kann kein Politiker ignorieren.
Besonders brisant ist der Zeitpunkt: Die Bewegung hat sich in einer Zeit der politischen Instabilität gebildet. Premierminister François Bayrou will 44 Milliarden Euro im Haushalt für 2026 einsparen und zwei Feiertage streichen, was die Franzosen besonders empörte. Bayrou stellt am 8. September die Vertrauensfrage, über die die Regierung stürzen könnte. Das Chaos ist programmiert.
Streiks und Proteste sind ab dem 10. September angekündigt. Bisher scheint es die Nicolas-Anhänger noch nicht auf die Straße zu ziehen. Und vielleicht stürzt die Regierung ohnehin, dann sind die Haushaltspläne erst mal verschoben.
Rechte Parteien nehmen Empörung auf
Dennoch ist die Reichweite der Nicolas-Bewegung riesig: Politiker vom rechten Rand und den konservativen Republikanern versuchen, die Empörung für sich zu nutzen, allerdings vor allem den Protest gegen zu hohe Steuern und Immigration. Mit den Rentnern, einer großen und treuen Wählerschicht, will es sich niemand verscherzen. Den Kampf der Generationen wollen sie lieber vermeiden.
Auch Innenminister Bruno Retailleau, der zum rechten Rand der Regierung gehört, versprach der Zeitung "Le Figaro" (Bezahlinhalt) zufolge, die Kaufkraft zu erhöhen, damit nicht immer "Nicolas zahlen muss". Das zeigt: An der Bewegung kommt niemand mehr vorbei.
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Und erste Auswirkungen hat die Rentnerschelte schon: Selbst in Bayrous Haushaltsplan ist die Kürzung eines Steuerabschlags für wohlhabende Rentner geplant. Nicolas hat damit bereits ein Ziel erreicht, ohne überhaupt auf die Straße zu gehen.
Zum Gesprächspartner:
- Maxime Sbaihi ist Experte für Wirtschafts- und Demografie-Fragen bei der französischen Denkfabrik Institut Montaigne. Von 2023 bis 2024 war er dort Forschungsdirektor.