Alfred Stingl, langjähriger Bürgermeister von Graz, ist einen Tag nach seinem 86. Geburtstag verstorben. Der Sozialdemokrat prägte die Stadt mit seiner sozialen Politik und seinem Einsatz für eine gerechte Gesellschaft. Graz und darüber hinaus trauern um einen überzeugten Europäer und bescheidenen Menschenfreund.
Den Tod des Altbürgermeisters teilte die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) am Freitag in einer Aussendung mit. Stingl war von 1985 bis 2003 Bürgermeister der steirischen Landeshauptstadt und galt auch nach seiner Zeit im Rathaus als wichtige Persönlichkeit. Er engagierte sich unter anderem ehrenamtlich als Sozial-Ombudsmann für die Aktion "Von Mensch zu Mensch" der "Woche".
Er war "ein Suchender, ein Ringender, ein Strebender, ein Dienender, wie man ihn sich als Politiker kaum schöner vorstellen kann", zitierte Kahr in ihrer Aussendung das Forum für Weltreligionen aus dem Jahr 2012. "Seine Willensstärke, seine Konsequenz und seine Bürgernähe prägten über Jahrzehnte sein Wirken", so Kahr.
Überzeugter Europäer folgte nie dem Ruf aus Wien
Alfred Stingl wurde am 28. Mai 1939 in Graz geboren. Nach einer - für einen Sozialdemokraten damals geradezu klassischen - Schriftsetzerlehre wurde er 1962 Landessekretär der Jungen Generation der SPÖ. 1968 holte ihn der damalige Bürgermeister Gustav Scherbaum in den Gemeinderat, fünf Jahre später wurde er Stadtrat für das Jugendwesen und im Jahre 1982 Vizebürgermeister, mit den prägenden Agenden des Sozial- und Gesundheitsbereichs.
Seit 10. Jänner 1985 war Alfred Stingl Bürgermeister der zweitgrößten Stadt Österreichs. Mit dem legendären ÖVP-Chef Erich Edegger leitete er unter anderem eine moderne Verkehrspolitik ein. Er gehörte dem SPÖ-Bundesparteivorstand an, war Präsidiumsmitglied des "steirischen herbst" und Aufsichtsratsvorsitzender der Grazer Messe. Der überzeugte Europäer war nie dem Ruf nach Wien, etwa Bruno Kreiskys, gefolgt: "Es wäre sehr ehrenvoll gewesen, aber etwas kommunalpolitisch zu bewirken ist schöner und befriedigender", sagte Stingl einmal. Er galt über die Parteigrenzen hinweg als weitgehend beliebter und außer Streit stehender Bürgermeister.
Freundliche und besonnene Art
In Stingls Ära fiel auf sein Betreiben hin die Verleihung des UNESCO-Weltkulturerbes für die Altstadt sowie der Wiederaufbau der 1938 von den Nazis niedergebrannten Grazer Synagoge. Der kulturaffine Stingl war durch seine freundliche, ruhige und besonnene Art bekannt und respektiert. In den Grazer Öffis, die er überzeugt nutzte, wurde er immer noch als "Herr Bürgermeister" angesprochen. Seine Frau Eli pflegte er nach ihrem Schlaganfall jahrelang mit hohem persönlichen Einsatz bis zu ihrem Tode im März 2018, ließ aber zugleich nicht in seinem Engagement für die Stadt, für Menschenrechte und für schlechter gestellte Personen nach: Ab 2004 war er mit der Kolumne "Von Mensch zu Mensch" für die Wochenzeitung "Grazer Woche" tätig, mittels derer er sich um Verbesserungen in prekären Situationen gekümmert hatte.
Bürgermeisterin Kahr sagte weiter: "Er hat viele Spuren hinterlassen und war für seine nahbare und bescheidene Art bekannt. Er nahm sich Zeit, die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger persönlich anzuhören. Er engagierte sich, solange es seine Gesundheit erlaubte, unermüdlich gegen soziale Ungleichheiten. Sein Vermächtnis lebt in Graz weiter, wo seine soziale Politik und sein Einsatz für die Gemeinschaft bis heute geschätzt werden. Seine Vision einer gerechten und solidarischen Gesellschaft ist für mich ein Auftrag und ein Vorbild für kommende Generationen." Graz werde Stingl immer ein ehrendes Andenken bewahren. "Mein Mitgefühl gilt seiner Familie und allen, die in ihm ein Vorbild, einen geschätzten Kollegen und Freund verloren haben", so Kahr.
Trauerbekundungen über Parteigrenzen hinweg
Der steirische SPÖ-Chef Max Lercher hob den beständigen Einsatz Stingls für soziale Themen hervor: "Sein unerschütterlicher Glaube an das Gute im Menschen hat die politische Arbeit von Alfred Stingl geprägt und hat viele über Parteigrenzen hinweg inspiriert." Die Grazer SPÖ-Vorsitzende Doris Kampus ergänzte: "Ein großer Sozialdemokrat und Mensch ist nicht mehr. Alfred Stingl hat Graz zu einer weltoffenen und sozialen Stadt gemacht."
Grünen-Chefin Sandra Krautwaschl sagte: "Er war eine prägende Persönlichkeit - nicht nur für Graz, sondern weit darüber hinaus. Was ihn ausgezeichnet hat, war sein ehrliches Bemühen, Menschen zu verbinden - nie zu spalten." Die Grazer Vizebürgermeisterin Judith Schwentner (Grüne) meinte: "Politik hat er stets als Dialog und Aufeinander-Zugehen verstanden, weit über seine Funktionsperiode hinaus. Seine soziale Gesinnung hat er in eindringlichem Maße vorgelebt: Er war als Bürgermeister und als Privatperson immer im Einsatz und im ständigen Kontakt mit den Menschen, hatte immer ein offenes Ohr und eine helfende Hand."
Empfehlungen der Redaktion
Große Trauer brachten auch die VinziWerke in einer Aussendung zum Ausdruck: Stingl habe ein Zeichen für eine soziale Stadt und die Menschen in Not gesetzt und nach seinem Rückzug aus der Politik als das "soziale Gewissen" der Stadt Graz gegolten. Unter seiner Führung unterschrieb die Stadt Graz 2001 die Menschenrechtserklärung und ernannte sich damit zur "ersten Menschenrechtsstadt Europas". Die frisch gewählte VinziWerke-Obfrau Martina Schröck zeigte sich betroffen: "Wir sind sehr traurig, dass wir einen glühenden Europäer, großen Humanisten und engen Verbündeten der VinziWerke verlieren." (APA/bearbeitet von skr)