Die Zahl der irregulären Migration nimmt seit zwei Jahren ab. Dennoch hat Innenminister Alexander Dobrindt die Grenzkontrollen noch einmal verschärft. Aber wie sieht es wirklich an Deutschlands Grenzen aus? Wir waren vor Ort.

Eine Reportage
Dieser Text enthält neben Daten und Fakten auch die Eindrücke und Einschätzungen von Thomas Eldersch. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die einzige Chance auf Abkühlung bietet ein als Ventilator genutzter Baulüfter. Der Beamte steht im Windhauch der Maschine. Er überprüft die Fahrzeuge, die über den Parkplatz auf die Autobahn rollen. Die Sonne brennt bereits am Morgen unerbittlich vom Himmel herab, die letzte kühle Morgenluft weicht der Tageshitze. Die lange Hose wäre gar nicht das Problem, sagt der Beamte. Aber die schwere Einsatzweste lässt kaum Luft an seine Haut. Schwitzen für die Sicherheit.

Für die Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei ist das Wetter Teil ihres Jobs. Der Polizist erzählt von fast minus 30 Grad bei einem Einsatz an der tschechischen Grenze. Heute dagegen wird das Thermometer im Schatten des "Zahmen Kaisers" auf weit über 30 Grad klettern. An dem Bergmassiv liegt der deutsch-österreichische Grenzübergang Kiefersfelden-Kufstein. Das Tor nach Tirol und weiter zum Brenner und Italien. Italienische Verhältnisse herrschen auch an diesem Julitag.

Insgeheim denkt der Beamte wohl schon an den Stationswechsel, der etwa alle halbe Stunde stattfindet. Vielleicht geht es für ihn dann in das überdachte Untersuchungszelt, in dem aus dem Verkehr gezogene Fahrzeuge überprüft werden. Auf drei Spuren werden sie auf zehn Kilometer pro Stunde heruntergebremst und in kurzen Augenschein genommen. Sollte den Beamten etwas verdächtig erscheinen, geht es in eben jenes Zelt.

Tausende Bundespolizisten an Deutschlands Grenzen

Wie ihm geht es rund 11.000 bis 14.000 Bundespolizistinnen und -polizisten, die an diesem Tag ihren Dienst an einer der deutschen Grenzen leisten müssen. Denn auf Anordnung der damaligen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) finden seit September 2024 verstärkt Kontrollen an den deutschen Landesgrenzen statt. Eine indirekte Folge der Anschläge in Mannheim, Solingen und Aschaffenburg. Eine direkte Folge der Angst vor unkontrollierter Zuwanderung.

Polizeihauptkommissar und Pressesprecher Dr. Rainer Scharf. Im Hintergrund findet im Kontrollzelt die Überprüfung eines Transporters aus Litauen statt. © privat

Seit der Grenzschutzoffensive im September 2024 wurden rund 37.300 unerlaubte Einreisen festgestellt, schreibt das Bundesinnenministerium auf Anfrage. Im gleichen Zeitraum gab es etwa 960 Schleusungen. Das deckt sich auch mit der Erfahrung an der Kontrollstelle am Rastplatz Inntal Ost. Hauptkommissar Rainer Scharf (53), Pressesprecher der Bundespolizei aus Rosenheim, spricht von fünf bis zehn aufgegriffenen Migrantinnen oder Migranten am Tag. Jeden zweiten bis vierten Tag geht den Beamten ein Schleuser ins Netz.

Nicht erst seit September, sondern seit der großen Flüchtlingswelle 2015 kontrolliere die Bundespolizei bereits an dieser Stelle, sagt Scharf im Gespräch vor Ort. Aber so intensiv wie in dieser Zeit sei es seitdem nicht mehr gewesen. Damals seien stündlich ganze Züge voll mit Migranten und Asylsuchenden nach Deutschland gekommen. Heute würden eher einzelne Personen in den grünen Reisebussen eines bekannten Reiseanbieters ihr Glück versuchen.

Ein Bundespolizist sichert bei einer Fahrzeugkontrolle die Beifahrerseite ab. Die Hand ist sicherheitshalber an der Dienstwaffe. © privat

Scharf führt über das Areal. Im Zentrum mehrere Bürocontainer übereinandergestapelt. Hier nehmen die Beamten Fingerabdrücke ab und schießen Fotos von den Menschen, die sie aus dem Verkehr ziehen. Karg eingerichtete Zimmer mit Feldbett und einem Stuhl, der auch in einem Klassenzimmer stehen könnte, dienen kontrollierten Personen als Aufenthaltsraum, während ihre Papiere überprüft werden. Die Tür sichert ein Beamter ab, den Kontrollierten stets im Blick, denn die Fenster sind nicht verschlossen und auch Gitterstäbe oder Ähnliches gibt es nicht.

Im ersten Stock gibt es Aufenthaltsräume für die Polizisten. Die sitzen allerdings an diesem Julitag lieber draußen in einer provisorischen Pausenecke, klassisch bayerisch, bestehend aus einer Bierbank unter einer zusammengeschusterten Holz-Pergola.

Eigentlich keine Grenzkontrollen im Schengen-Raum

Generell wirkt alles sehr provisorisch – aus einem bestimmten Grund. Eigentlich gibt es keine Grenzkontrollen im Schengenraum mehr. "Hier herrscht grundsätzlich freier Güter- und Personenverkehr. Das soll auch erhalten bleiben und durch unsere eher stichprobenartigen Kontrollen so wenig wie möglich eingeschränkt werden", erklärt Scharf. Deshalb gibt es auch keine Kontrollen im fließenden Verkehr.

Im selben Moment biegt ein Transporter aus Polen in das Untersuchungszelt ein. Die Kontrolleure haben ihn zur genaueren Begutachtung zu den Kollegen geschickt. Zwei Beamte nähern sich dem Wagen, einer links, einer rechts. Der Polizist an der Fahrerseite fragt durch das geöffnete Fenster nach den Fahrzeugpapieren. Der Kollege an der Beifahrerseite sichert ab, die Hand auf der Waffe im Holster.

In solch einem Raum warten Personen, deren Identität oder Papiere überprüft werden. Vor der Tür steht ein Bundespolizist und sichert ab. © privat

Ein Vorgang, der hier mehrmals täglich so abläuft. Wie oft und wen sie rausziehen, hänge von der Verkehrssituation und dem Fahrzeug ab, sagt Scharf. Transporter ohne direkten Blick in den Laderaum werden besonders häufig kontrolliert. Dass dieser ein polnisches Kennzeichen hat, sei nur Nebensache. Transporter seien aber grundsätzlich im Fokus, da sie am häufigsten für Schleusungen genutzt werden.

Etwa 500 Euro erhalte ein Fahrer pro Person für die Fahrt von Mailand nach Deutschland – die sogenannte Mittelmeerroute –, sagt der Hauptkommissar. Sollte er allerdings erwischt werden, droht ihm eine mehrjährige Haftstrafe. Kaum ein Verlust für die wahren Schleuser im Hintergrund, die teilweise mehrere Tausend Euro pro Person mit einer Schleusung, beispielsweise aus Afrika, verdienen.

Zurückweisungen an der Grenze

"Hauptherkunftsländer sind derzeit Afghanistan, Syrien, Albanien, die Türkei und Nigeria", sagt Scharf. Sollte eine Person entdeckt werden, die ohne gültige Papiere einreist, ist der Ablauf immer gleich. "Sie kommt auf die provisorische Dienststelle, wird durchsucht und abgetastet – auch um doch noch mögliche Papiere zu finden", so der 53-Jährige.

Die Personalien werden aufgenommen und eine Strafanzeige wegen unerlaubter Einreise wird geschrieben. Anschließend geht es für sie zum Zug und zurück nach Österreich. Die Kollegen jenseits der Grenze werden informiert. Damit ist die Person offiziell zurückgewiesen worden.

Der Verkehr wird auf zehn Kilometern pro Stunde abgebremst, damit die Bundespolizisten an der Grenze zu Österreich Zeit haben, zu entscheiden, ob sie das Fahrzeug einer genaueren Kontrolle unterziehen wollen. © privat

Zurückweisung ist ein Wort, das der neue Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) und die Union gerne – auch im Bundestagswahlkampf – in den Mund genommen haben. "Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, eine Rückführungsoffensive zu starten", heißt es dazu vom Bundesinnenministerium. Seit Mai dieses Jahres dürfen auch Asylsuchende zurückgewiesen werden. Lediglich "vulnerable Personen, wie zum Beispiel allein reisende Minderjährige, Frauen mit Kleinkindern, hochschwangere Frauen oder sichtbar Erkrankte und hilfsbedürftige Personen werden weiterhin an die zuständigen deutschen Stellen oder Erstaufnahmeeinrichtungen weitergeleitet".

Für die Beamten vor Ort an der deutsch-österreichischen Grenze hat sich jedoch wenig geändert. Lediglich durch die Personalaufstockung an den Grenzen sind jetzt "mehr Beamte der Bundespolizei an den Nebenübergängen und mit höherer Frequenz tätig", sagt Scharf. Bundespolizisten könnten zudem bis zu 30 Kilometer hinter der deutschen Grenze Kontrollen durchführen, ohne dabei auf die Landespolizei angewiesen zu sein.

Viele Kräfte also, die potenziell zur Sicherung von Bahnhöfen und Flughäfen benötigt oder auch zur Absicherung von Großereignissen wie Demonstrationen oder Fußballspielen eingesetzt werden. Alle Aufgaben der Bundespolizei könnten aber ohne Abstriche weiter so erledigt werden – Überstunden würden zeitnah abgeleistet – versichert Scharf. Eben diese Überstunden stiegen jedoch aufgrund der verschärften Grenzkontrollen um 20 Prozent in den vergangenen zwei Monaten. Das geht aus einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor.

Bundespolizei und bayerische Grenzpolizei

Bayern ist zudem das einzige Bundesland, das sich schon seit 2018 eine eigene Grenzpolizei leistet. Kommt man sich da nicht in die Quere? "Grenzpolizeiliche Aufgaben liegen in der Zuständigkeit der Bundespolizei", erläutert Scharf. Die bayerische Grenzpolizei helfe aber, Nebenübergänge zu sichern oder führt auch selbst Kontrollen durch. "Dies findet aber immer auf Aufforderung oder mit Zustimmung der Bundespolizei statt", so der Hauptkommissar. Und sollte die Landespolizei irreguläre Migration oder Schleusungskriminalität feststellen, "übernimmt die Sachbearbeitung die Bundespolizei".

Dem polnischen Transporter-Fahrer geht es jetzt an den Wagen. Nachdem die Papiere gecheckt wurden, muss er den Laderaum öffnen. In Adiletten und Unterhemd steigt der Mann unter den aufmerksamen Blicken der Beamten aus. Geht am mit Gaffer-Tape geklebten Rücklicht vorbei und öffnet die Luke. Im Heck befinden sich keine irregulären Einreisenden, sondern lediglich Metalteile ordentlich auf Holzpaletten gestapelt und verzurrt. Nichts zu beanstanden.

"Die Hauptaufgabe der Bundespolizei sind bei den Grenzkontrollen die Verhinderung der irregulären Migration und vor allem der Schleuserkriminalität", sagt Scharf. Dennoch könne man bei der Gelegenheit auch den Wagen und den Fahrer kontrollieren. "Jeden Tag im Durchschnitt ziehen wir zudem eine Person raus, die per Haftbefehl gesucht wird", so der 53-Jährige.

Dazu kommen jeden zweiten bis vierten Tag Drogendelikte, jeden zweiten bis dritten Tag wird eine Waffe mitgeführt. Die Beamten müssten insbesondere auf der Autobahn und bei jedem Wetter immer die Augen offenhalten, was eine "große Herausforderung und Konzentrationsaufgabe" sei, sagt Scharf.

Unerlaubte Einreisen sinken

Die Zahl der unerlaubten Einreisen hingegen nimmt seit 2023 mit 127.549 Fällen wieder ab. 2024 waren es nur noch 83.572 – Tendenz weiter sinkend. Dazu tragen wohl auch das Ende des Assad-Regimes in Syrien und die relative Stabilität nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan bei.

Empfehlungen der Redaktion

Ob die verschärften Grenzkontrollen tatsächlich Anschläge verhindern, darf zumindest bezweifelt werden. Im Falle der Anschläge in Berlin und München lebten die Attentäter bereits seit Jahren in Deutschland. Zudem liegt es nicht in den Händen der Bundespolizei über Asyl und Aufnahme zu entscheiden, betont auch Scharf. Ausschlaggebend ist wohl eher, wie mit den aufgenommenen Migranten und Asylsuchenden umgegangen wird, wenn sie einmal im Land sind.

Die imaginäre Pausenglocke am Grenzübergang nach Österreich hat wieder geläutet. Die Beamten tauschen erneut die Plätze. Für den Kollegen im Zelt heißt es jetzt, die nächste halbe Stunde in der prallen Sonne neben fließendem Verkehr und stinkenden Auspuffen auszuharren und aufmerksam die entgegenkommenden Fahrzeuge zu beobachten. So geht es mindestens noch bis September dieses Jahres 24 Stunden, sieben Tage die Woche weiter. Und wohl auch darüber hinaus. Aller Voraussicht nach wird dann eine Neu-Anordnung der Grenzkontrollen für weitere sechs Monate beschlossen.

Verwendete Quellen

  • Besuch des Grenzübergangs Kiefersfelden-Kufstein
  • Anfrage an das Bundesministerium des Inneren