Nach fast zwei Jahren Krieg gibt es vorsichtige Hoffnung auf eine Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln im Gazastreifen. Doch noch schweigen die Waffen nicht, am Sonntag stehen Verhandlungen an. Was sind jetzt die Knackpunkte?

Die islamistische Palästinenserorganisation Hamas hat Teile des Plans von US-Präsident Donald Trump für eine Beendigung des Gaza-Kriegs akzeptiert. Daraufhin rief Trump Israel zu einem sofortigen Ende der Bombardierung des Gazastreifens auf. Führende westliche Politiker äußerten die Hoffnung, dass es nun eine Chance auf ein Ende der Kämpfe gibt: Trump sprach von einem "vielleicht beispiellosen Tag", der britische Premierminister Keir Starmer von einem "bedeutenden Schritt nach vorne", Bundeskanzler Friedrich Merz von der "besten Chance auf Frieden" seit zwei Jahren.

Viele Fragen sind jedoch noch offen. Wie es aus ägyptischen Sicherheitskreisen hieß, sollen ranghohe Vertreter beider Seiten am Sonntag in der Sinai-Stadt Al-Arisch zu Verhandlungen zusammenkommen. Ein Überblick über schwierige Punkte:

Kommt die Waffenruhe?

Trump hatte am frühen Freitagabend (Ortszeit) auf der Plattform Truth Social geschrieben: "Israel muss sofort die Bombardierung von Gaza einstellen, damit wir die Geiseln sicher und schnell befreien können!" Ob und wann Israel die Angriffe einstellt, blieb aber zunächst unklar. Eine Mitteilung des Büros von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in der Nacht enthielt keinen Hinweis auf Trumps Aufforderung – lediglich die Ankündigung, "die sofortige Umsetzung der ersten Phase von Trumps Plan zur unverzüglichen Freilassung aller Geiseln" vorzubereiten.

Nach palästinensischen Angaben gingen die israelischen Luftangriffe im Gazastreifen am Morgen weiter. Israels Armee äußerte sich auf Anfrage zunächst nicht dazu. Eine Militärsprecherin sagte aber, ein Stopp der Angriffe sei nicht offiziell von der Armee verkündet worden. Mehrere israelische Medien hatten berichtet, dass die Armee angewiesen worden sei, ihre Offensive zur Eroberung der Stadt Gaza einzustellen. Den Berichten zufolge verteidigt sich das Militär aber weiter gegen Bedrohungen vor Ort, darunter mit Luftangriffen.

Wie schnell können die Geiseln freikommen?

Von der Terrororganisation Hamas hieß es, sie sei grundsätzlich bereit, alle lebenden und toten Geiseln freizulassen. Voraussetzung sei die im Friedensplan vorgesehene Entlassung von palästinensischen Häftlingen aus israelischen Gefängnissen und dass "angemessene Bedingungen für den Austausch vor Ort gewährleistet sind" – ohne diese Bedingungen näher zu erläutern. Die Hamas hatte die Entführten immer wieder als ihr wichtigstes Druckmittel genutzt. Das würde sie aus der Hand geben.

Offen ist, ob die Hamas überhaupt dazu in der Lage ist, innerhalb von 72 Stunden die Geiseln zu übergeben, wie es der Trump-Plan vorsieht. Berichten zufolge geht die Organisation selbst nicht davon aus. Sie hat demnach in der Vergangenheit gegenüber Vermittlern erklärt, dass sie nicht wisse, wo sich einige der Geisel-Leichen befinden.

Im Gazastreifen befinden sich noch 48 Geiseln, von denen nach israelischen Informationen noch 20 am Leben sind – darunter auch deutsche Staatsbürger. Nach Medienberichten von Mitte September soll die Hamas mehrere Geiseln, die zuvor in Tunneln festgehalten worden seien, an Orte über der Erde in der Stadt Gaza gebracht haben.

Die Menschen werden unter grausamen Bedingungen festgehalten. Zuvor freigelassene Geiseln haben von Folter und schweren Misshandlungen berichtet. Einige waren auch gefesselt. Zudem gab es Berichte über sexualisierte Gewalt. In von Terrororganisationen veröffentlichten Videos waren Geiseln zuletzt auch stark abgemagert zu sehen.

Legt die Hamas die Waffen nieder?

Die Hamas akzeptierte zwar Teile des Trump-Plans, forderte aber zugleich weitere Verhandlungen, etwa über den Prozess der Freilassung der Geiseln im Gegenzug für palästinensische Häftlinge. Israel will Berichten zufolge eine Delegation zu Gesprächen nach Ägypten schicken. Die Verhandlungen könnten am Sonntag beginnen, hieß es aus ägyptischen Sicherheitskreisen und in einem Bericht des israelischen Senders Channel 12.

Die Hamas hat sich unter anderem nicht dazu bereiterklärt, ihre Waffen niederzulegen, wie es der Friedensplan vorsieht. Hamas-Mitglieder sollen dem Plan zufolge "friedliche Koexistenz" zusagen und können Amnestie erhalten oder ausreisen. Auch dazu äußerte sich die Terrororganisation nicht. In ihrer Charta fordert die Hamas die Zerstörung des Staates Israel und die gewaltsame Errichtung eines islamischen Staates Palästina vom Jordan-Fluss im Osten bis zum Mittelmeer im Westen.

Bei den Verhandlungen in Ägypten will Israel laut Channel 12 zunächst nur über den Punkt der Freilassung der Geiseln sprechen. Andere strittige Aspekte will das Land demnach erst später besprechen. Aus ägyptischen Sicherheitskreisen hieß es, alle Parteien seien vorsichtig optimistisch, in der Verhandlungsrunde "eine erste Phase" der Vereinbarung abzuschließen.

Gazastreifen ohne Hamas?

Die Islamistenorganisation Hamas hatte gesagt, sie sei damit einverstanden, dass das Gebiet nach Kriegsende zunächst von einer Übergangsregierung palästinensischer Technokraten unter Aufsicht eines internationalen Gremiums regiert werde. Es blieb aber unklar, ob sie damit auch der Forderung von Trumps Friedensplan zustimmte, dass sie dabei keine Rolle spielen darf.

Wie reagieren Netanjahus rechtsextreme Regierungspartner?

Bisher haben sich Natanjahus Regierungspartner zu den neuesten Entwicklungen nicht geäußert. Eine Reaktion wird erst nach dem Ende des jüdischen Ruhetags Sabbat, der von Freitagabend bis Samstagabend dauert, erwartet. Trumps Friedensplan hatten die Koalitionspartner zuvor jedoch scharf kritisiert. Sie wollen eine Annexion und Wiederbesiedlung des Küstenstreifens, aus dem Israel sich vor 20 Jahren zurückgezogen hatte.

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Netanjahu, gegen den ein Korruptionsprozess läuft, ist für sein politisches Überleben auf seine rechtsextremen Koalitionspartner angewiesen. Möglich ist, dass diese die Regierung aus Protest über das Abkommen verlassen und es zu einem Sturz der Regierung und Neuwahlen kommt. (dpa/bearbeitet von mcf)

Teaserbild: © Anadolu Agency/IMAGO/Hassan Jedi