Nach über 40 Jahren könnte der blutige Konflikt zwischen der PKK und dem türkischen Staat ein Ende finden – ein Krieg, der über 40.000 Todesopfer gefordert hat und längst auch auf den Irak und Syrien übergegriffen ist.
Die Nachricht kam überraschend: Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hat sich nach eigenen Angaben aufgelöst. In einer Erklärung, die über die prokurdische Agentur ANF verbreitet wurde, heißt es, der 12. Kongress der Organisation habe das Ende der bisherigen Strukturen beschlossen und damit auch das endgültige Aus für den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat.
Vorangegangen war ein Aufruf von Abdullah Öcalan, dem seit 1999 inhaftierten Gründer der PKK. Er hatte im Februar von der Gefängnisinsel Imrali aus erklärt, die PKK solle die Waffen niederlegen. Es wird davon ausgegangen, dass Öcalan einen Deal mit der Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan geschlossen haben könnte, der ihm eine Hafterleichterung bringt. Der türkische Präsident hatte im vergangenen Herbst Öcalan ein entsprechendes Angebot gemacht.
Forderung nach eigenständiger Kurden-Republik
Die PKK strebt seit ihrer Gründung im Jahr 1978 durch Öcalan ein eigenständiges Kurdengebiet an. Dieses würde Teile der Türkei, Syriens, des Irak und des Iran umfassen. Seit 1984 ist die PKK im bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat, um dieses Ziel gewaltsam zu erreichen. Die Organisation sowie zahlreiche Splittergruppen gelten in der Türkei als Terrororganisationen. Auf ihr Konto gehen zahlreiche Anschläge bei denen neben Polizisten, Soldaten und Regierungsvertreter auch Zivilisten ums Leben gekommen sind.
Die türkische Regierung antwortete mit militärischer Härte und Repression. In den 1990er-Jahren erreichte der Konflikt seinen Höhepunkt. Auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern kam es zu Tötungen und Terroranschlägen, die auf das Konto der Kurden-Organisation gingen. 1993 wurde die PKK schließlich in Deutschland und 2002 in der EU verboten. PKK-Chef Öcalan tauchte unter und wurde schließlich im Februar 1999 in Kenia verhaftet – unter Beteiligung der CIA. Seither sitzt er in Haft.
Öcalan trotz Haft wichtiger Akteur
PKK-Gründer Öcalan ist nach wie vor als ideologische Führungsfigur von immenser Bedeutung für die kurdische Minderheit in der Türkei. Auch wenn er nicht die Tagespolitik aus der Haft heraus bestimmen kann, "wenn es um Grundsatzentscheidungen geht, sind die Äußerungen von Öcalan weiterhin wichtig", erklärt Politikwissenschaftler Ismail Küpeli gegenüber unserer Redaktion.
Öcalan soll auch beim 12. Parteikongress der PKK per Videoschalte teilgenommen haben. Der Kongress fand vom 5. bis zum 7. Mai im Nordirak statt. Bei diesem Treffen war die "Auflösung der organisatorischen Strukturen der PKK und die Beendigung des bewaffneten Kampfes" beschlossen worden, wie eine Erklärung der Nachrichtenagentur ANF am Montag verbreitete.
Neue Hoffnung auf Frieden
In der Türkei und in der gesamten Region breitet sich nun eine neue Hoffnung auf Frieden aus. Die Unabhängigkeitsbestrebungen der kurdischen Minderheiten in Syrien, dem Irak und der Türkei hatten in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche blutige Auseinandersetzungen zur Folge. Allein durch die Auseinandersetzung zwischen der Türkei und der PKK sollen insgesamt mehr als 40.000 Menschen gestorben sein – darunter fast 30.000 Kurden.
Ob es sich um einen historischen Wendepunkt in der Geschichte des Konflikts handelt und es wirklich zu einem Frieden kommt, ist ungewiss. Politikwissenschaftler Küpeli ist skeptisch: "Die bisherigen Äußerungen der türkischen Regierung deuten nicht auf eine Annäherung oder auf eine Entspannungspolitik." Eine Amnestie für Öcalan oder andere im Zusammenhang mit Terrorismus Inhaftierte lehnt Präsident Erdogan bisher ab.
Allerdings hält Küpeli eine Waffenruhe für möglich, wenn die Türkei ihre Angriffe auf kurdische Kräfte in der Region einstellen würde.
Auswirkungen auf die gesamte Region
Die türkische Luftwaffe führte in den vergangenen Jahren immer wieder Angriffe auf kurdische Gebiete in den Nachbarländern im Norden des Irak und Syriens aus. Sie begründete dies damit, dass es sich bei den dortigen kurdischen Organisationen letztlich nur um Ableger der PKK handele, die die Sicherheit der Türkei bedrohten. Auch nach der Ankündigung Öcalans, die PKK werde den bewaffneten Kampf aufgeben, hielten die Kampfhandlungen weiter an. Das Verteidigungsministerium der Türkei hatte angekündigt, solange weiterzukämpfen, "bis kein einziger Terrorist mehr übrig ist".
Es handelt sich daher um keinen rein türkischen Konflikt. Ein Ende der Kämpfe würde die Situation in der gesamten Region entschärfen – auch in Syrien. Dort hatten die Kurden nach der Übernahme der Macht durch die Übergangsregierung von Ahmed al-Scharaa, Anfang des Jahres erklärt, die eigenen Kämpfer in eine neue geschaffene syrische Armee einzugliedern.
Opposition muss eingebunden sein
Für eine echte Annäherung zwischen Kurden und türkischem Staat müsste allerdings die Minderheit im Land auch politisch und gesellschaftlich eingebunden werden. Die kurdische linke Oppositionspartei DEM fordert einen entsprechenden Dialog im Rahmen des türkischen Parlaments.
Politikwissenschaftler Küpeli begrüßt die Initiative. Diese wäre auch deswegen sinnvoll, "weil vorhergehende intransparente Friedensverhandlungen immer wieder gescheitert sind. Es braucht eine Beteiligung aller relevanten Parteien, damit ein möglicher Friedensvertrag von der gesamten Gesellschaft akzeptiert wird." Zuletzt war 2013 eine Waffenruhe ausgerufen worden, die Bemühungen um Frieden scheiterten aber 2015.
Erdogan braucht Unterstützung des Parlaments für Wiederwahl
Ein Grund für eine Annäherung könnte auch die geplante Verfassungsreform Präsident Erdogans sein. Sie ist nötig, damit der 71-Jährige wieder als Präsident kandidieren kann. Hierfür ist er auf zusätzliche Stimmen im Parlament angewiesen. Dabei könnte auch die prokurdische DEM-Partei hilfreich sein. Der Machterhalt des autokratisch regierenden Erdogan könnte in diesem Fall wichtiger sein als der Kampf gegen die verhasste PKK.
Ob sich wirklich alle Splittergruppen der PKK dem Aufruf anschließen werden ist bisher unklar. Außerdem bleibt abzuwarten, ob eine Entwaffnung und Rückkehr der Kämpfer in die Türkei möglich ist.
Über den Gesprächspartner:
- Dr. Ismail Küpeli ist Politikwissenschaftler und forscht zu Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus. Er promovierte zum Thema "Die kurdische Frage in der Türkei. Über die gewaltsame Durchsetzung von Nationalstaatlichkeit."
Verwendete Quellen:
- Einschätzung von Ismail Küpeli.
- Tagesschau.de: Neue Hoffnung auf Frieden mit der PKK
- Welt.de: Kurden-Konflikt forderte mehr als 42.000 Tote
- Spiegel.de: "Die türkische Regierung ist ungeduldig"
- Tagesspiegel.de: "Irgendwie wird er die Stimmen zusammenbekommen" : Wie Erdoğan die Türkei bis 2033 regieren will