Mit dem Rückzug Shigeru Ishibas als Japans Premierministers steuert das Land nicht nur auf politische Instabilität zu. Auch hinter der wirtschaftlichen Entwicklung stehen nun große Fragezeichen.
Als Shigeru Ishiba am Sonntag seinen Rücktritt vom Amt des Premierministers verkündete, war zwischen den Zeilen herauszuhören, dass er diesen Schritt schon länger geplant hatte: "Ich habe immer gesagt, dass ich diese Entscheidung zu einem Zeitpunkt treffen würde, an dem wichtige Arbeit getan ist", sagte der 68-Jährige laut "Nippon TV News24".
Weiter sagte er: "Jetzt, da die Verhandlungen über die US-Steuererleichterungen zu Ende gehen, ist der richtige Zeitpunkt. Ich habe beschlossen, einer Erneuerung Platz zu machen." Wie diese Erneuerung allerdings aussieht, das ist keine ganz einfache Frage.
Japans Premier Ishiba bringt Deal mit Trump zum Abschluss
In den letzten Tagen haben Japan und die USA – die über die vergangenen Jahrzehnte eine feste diplomatische, ökonomische und militärische Partnerschaft geführt haben – ein im Juli vereinbartes Zollabkommen unterzeichnet. Statt von US-Präsident Trump angedrohten Zöllen jenseits der 20 Prozent fallen auf Exporte in die USA fortan Zölle von 15 Prozent an. Außerdem sollen 550 Milliarden US-Dollar aus Japan in den USA investiert werden.
Allerdings gilt dieser Deal in Japan als Schadensbegrenzung, mehr nicht. Denn das Land wird geschwächt aus dieser Vereinbarung hervorgehen. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der japanischen Betriebe negative Folgen dieses Abkommens erwartet.
Wobei es für Ishibas Scheitern nach nur elf Monaten als Premierminister noch andere Gründe gibt: Seine konservative Liberaldemokratische Partei (LDP) hat sich über die vergangenen Jahrzehnte, in denen sie fast durchgehend regiert hat, zu viele Korruptionsskandale geleistet. Auch unter Ishiba, der Transparenz gelobt hatte, kamen Skandale ans Licht. So verlor die LDP in den letzten beiden Wahlen zum Ober- und Unterhaus ihre Mehrheit.
Ungewisse Zeiten stehen bevor
Weshalb bis auf Weiteres auch unklar ist, wer Ishiba nachfolgen wird. Innerhalb der einst übermächtigen LDP gibt es "Kyodo News" zufolge zunächst vier aussichtsreiche Kandidaten auf den Parteivorsitz der LDP, den Ishiba nun räumt. Mit Toshimitsu Motegi, vormals Generalsekretär der Partei und Minister mehrerer Ressorts, wäre da ein Mann, der vor allem damit punkten kann, in der Vergangenheit gegenüber Donald Trump einigermaßen bestimmt aufgetreten zu sein.
Hinzu kommt mit Sanae Takaichi eine Kandidatin, die dem nationalistischen Flügel der Partei angehört, der einst vom 2022 ermordeten Ex-Premier Shinzo Abe geführt wurde. Takaichi fordert einen niedrigeren Leitzins und würde wohl für schlechtere Beziehungen zu Südkorea und China sorgen, da ihr Parteiflügel immer wieder revisionistisch auftritt, was den Umgang mit Japans Kriegs- und Kolonialvergangenheit in der Region angeht.
Ein weiterer Bewerber wird wohl Shinjiro Koizumi, aktuell Landwirtschaftsminister und mit seinen 44 Jahren ein eher junger Kandidat. Er ist der Sohn des einst populären Premiers Junichiro Koizumi, der Japan von 2001 bis 2006 regiert hat. Eine politische Wende gegenüber der Linie von Shigeru Ishiba wäre von Koizumi nicht zu erwarten. Ähnlich stünde es um Yoshimasa Hayashi, derzeit Chefkabinettssekretär unter Ishiba, der auch angedeutet hat, kandidieren zu wollen.
Doch mit dem Parteivorsitz geht noch lange nicht das Amt des Premierministers einher – denn dafür fehlt der LDP allein mittlerweile die Mehrheit. So müsste sich der Kandidat der LDP mit anderen Parteien im Parlament arrangieren. Hier wiederum hat Ishiba, der sich als Anführer einer Minderheitenregierung über die letzten Monate immer wieder in wechselnden Mehrheiten absprechen musste, zumindest ein erstes Beispiel gegeben.
Ob sich das Parlament aber auf einen Premier einigen kann, ist ungewiss. Möglich ist daher, dass das ostasiatische Land nach kaum einem Jahr erneut auf eine Unterhauswahl zusteuert, um dann für neue Kräfteverhältnisse zu sorgen. Dies wiederum könnte den zuletzt immer beliebter gewordenen rechtsextremen Strömungen neuen Auftrieb geben. Allen voran die Partei Sanseito, die bei der Oberhauswahl im Juli große Zugewinne erzielte, würde dann zu den Mitfavoriten zählen.
Auftrieb für die extreme Rechte – und ein fatales Signal für die Wirtschaft
Die Sanseito, die in der Coronapandemie mit Antiimpfkampagnen populär wurde, setzt sich insbesondere für eine härtere Politik gegenüber Migranten ein. So will sie eingebürgerten Personen das Wahlrecht aberkennen und Ausländern den Zugang zu Sozialleistungen streichen. Während der Vorwurf, Menschen aus dem Ausland nutzten den Sozialstaat aus und seien häufiger kriminell, statistisch haltlos ist, hat die Sanseito damit den Ton gesetzt – dem zuletzt auch Ishibas LDP gefolgt ist.
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In einem neuen Wahlkampf könnte es damit – wie schon im Juli bei der Oberhauswahl – zu einem Überbietungswettbewerb um die härteste Gangart gegenüber Ausländern kommen. Für das ostasiatische Land aber wäre das auch ökonomisch fatal. Inmitten niedriger Geburtenraten und einer über lange Zeit allzu strengen Migrationspolitik schrumpft Japans Bevölkerung seit mehr als 15 Jahren in hohem Tempo. Es herrscht akuter Arbeitskräftemangel. So wächst auch die Volkswirtschaft kaum noch.
Gerade angesichts zollpolitischer Drangsalierungen aus den USA, die die Exporte schwächen dürften, müsste Japan tendenziell seinen Binnenmarkt stärken, sofern es ökonomisch weiterwachsen will. Die politischen Mehrheiten hierfür scheinen aber schwieriger zu erreichen. Womit ein künftiger Premier – ob mit Neuwahl oder ohne – voraussichtlich ähnliche Probleme hätte wie Shigeru Ishiba: Die Wirtschaft zum Wachsen zu bringen, wird bei einer schrumpfenden Bevölkerung immer schwieriger.