Im Mai haben Moskau und Kiew erstmals seit 2022 direkte Gespräche über einen Ausweg aus dem Krieg geführt. Einziges Ergebnis war ein Gefangenenaustausch. Was bringt nun die zweite Runde?

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Ein spektakulärer Schlag der Ukraine gegen Russlands strategische Bomberflotte hat die Karten für eine Verhandlungsrunde der Kriegsparteien in Istanbul heute neu gemischt. Die Moskauer Reaktion auf den Verlust einer größeren Zahl an Flugzeugen steht noch aus. Der ukrainische Geheimdienst hatte nach eigenen Angaben viele kleine Drohnen nach Russland geschmuggelt und sie dort von Lastwagen aus in der Nähe russischer Militärflugplätze angreifen lassen.

Die Gesprächsrunde in Istanbul ist die zweite seit Mitte Mai. Davor hatten die Kriegsparteien zuletzt 2022 direkt miteinander gesprochen. Russland führt seit mehr als drei Jahren einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland. Fragen und Antworten zur Lage und zu dem, was von Verhandlungen zu erwarten ist:

Was ist auf den russischen Luftwaffenstützpunkten passiert?

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj feierte den überraschenden Angriff seines Geheimdienstes SBU als "absolut brillanten Erfolg". Anderthalb Jahre Vorbereitung seien vorausgegangen. Attackiert wurden demnach Stützpunkte in den Regionen Iwanowo, Rjasan und Murmansk im europäischen Teil Russlands, Irkutsk in Sibirien und Amur im Fernen Osten. Das russische Verteidigungsministerium bestätigte, dass in den Regionen Murmansk und Irkutsk Flugzeuge durch Drohnenangriffe in Brand geraten seien.

Die kleinen ferngesteuerten Fluggeräte waren demnach in Holzkisten auf Lastwagen versteckt, deren Fahrer sie nichtsahnend an die Militärgelände heranfuhren. Dort öffneten sich die LKW-Dächer automatisch, und die FPV-Drohnen begannen ihre Attacke.

Nach SBU-Angaben wurden mehr als 40 Kampf- und Aufklärungsflugzeuge zerstört - etwa 34 Prozent der russischen Bomber, die in der Lage sind, Marschflugkörper abzusetzen. Diese Zahlen waren bislang nicht unabhängig überprüfbar. Doch Fotos und Videos zeigten beschädigte und zerstörte Kampfflugzeuge der Typen Tupolew Tu-95 und Tu-22. Mit Raketen, die von solchen Flugzeugen starten, hat Russland immer die Ukraine beschossen.

Wo stehen Moskau und Kiew vor den Verhandlungen?

Beide Seiten haben Forderungen für ein Ende der Kampfhandlungen formuliert, die bisher kaum zusammenpassen. Zudem weiteten die Kriegsparteien kurz vor dem Treffen in Istanbul ihre gegenseitigen Angriffe massiv aus - mit Opfern und Schäden auf beiden Seiten. Laut Selenskyj hatte Russland die Ukraine in der Nacht zum Sonntag mit fast 500 Drohnen sowie mit Raketen angegriffen. Die Ukraine dürfte ihrerseits mit ihrem koordinierten Angriff auf mehrere russische Militärflugplätze vor den Verhandlungen auch Stärke demonstrieren wollen.

Der ukrainische Präsident fordert auf der Grundlage eines US-Vorschlags eine international überwachte bedingungslose 30-tägige Waffenruhe als Einstieg in Friedensverhandlungen. Für die Vereinbarung eines dauerhaften Friedens stellt er sich auch ein Treffen auf höchster Ebene vor. Nur so könnten die wichtigsten Fragen gelöst werden.

Moskau lehnte eine bedingungslose Waffenruhe mit dem Argument ab, Kiew könnte eine Feuerpause zum Kräftesammeln im Krieg nutzen. Russland stellt zwei Bedingungen als Mindestvoraussetzung für eine Waffenruhe.

"Für die Dauer der Waffenruhe ist es zumindest erforderlich, dass die westlichen Länder die Waffenlieferungen an das Kiewer Regime einstellen und die Ukraine ihre Mobilmachung beendet", sagte Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am Freitag. Sein Land sei bereit, bei den Verhandlungen in Istanbul über die Bedingungen für einen Frieden zu reden.

Was ist von den Verhandlungen zu erwarten?

Vor allem wollen beide Seite über ihre jeweiligen Memoranden für eine Beendigung des Kriegs sprechen. Die Ukraine will Russlands Eingabe nun in Istanbul begutachten, nachdem sie ihr Dokument Russland bereits vorab übergeben hatte. Laut Selenskyj hat die russische Seite noch kein Memorandum vorgelegt. "Wir haben es nicht, die türkische Seite hat es nicht, und die amerikanische Seite hat das russische Dokument auch nicht", schrieb er am Vorabend der Gespräche auf der Plattform X.

Während Kiew kaum Erwartungen an eine Lösung hat und weiteren Sanktionsdruck auf Moskau fordert, ruft Russland dazu auf, die Verhandlungen fortzusetzen. Selenskyj sagte in seiner abendlichen Videoansprache am Sonntag, man werde versuchen, "zumindest einige Fortschritte in Richtung Frieden zu erzielen".

Einziges wichtiges Ergebnis der Verhandlungen im Mai war der bisher größte Gefangenenaustausch. Denkbar ist, dass die neue Runde eine Vereinbarung eines weiteren Austauschs von Gefangenen bringt.

Möglich sind auch Gespräche über eine neue Feuerpause - wie zu Ostern. Zuletzt gab es auch Bereitschaft zu einem Verzicht auf Angriffe etwa auf Energieanlagen. Bei den Feuerpausen hatten sich die beiden Seiten gegenseitig viele Verstöße vorgeworfen, aber auch eingeräumt, dass die Zahl der Angriffe zurückgegangen sei. Die Ukraine hob das Ausbleiben von Luftalarm an einzelnen Tagen hervor.

Was fordert Moskau für eine grundsätzliche Konfliktlösung?

Russland blieb bislang bei Maximalforderungen, um den Konflikt dauerhaft zu beenden. Dazu gehören neben einem ukrainischen Verzicht auf einen Nato-Beitritt und eine weitgehende Abrüstung des Landes auch die Anerkennung der russischen Annexion ukrainischer Gebiete. Russland betrachtet neben der bereits 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim auch die ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson als sein Staatsgebiet. Obwohl Russland diese vier Regionen bisher nicht vollständig kontrolliert, verlangt es einen Abzug ukrainischer Truppen.

Kremlchef Wladimir Putin kündigte Mitte Mai nach einem Besuch der monatelang teils von ukrainischen Truppen kontrollierten russischen Grenzregion Kursk an, eine Pufferzone "entlang der Grenze" schaffen zu wollen. Das Verteidigungsministerium in Moskau meldete dort und in anderen Regionen der Ukraine zuletzt Geländegewinne. Die Ukraine wies die Pläne zurück. Sie sieht in den Plänen einen neuen Beweis dafür, dass Russland kein Interesse an Frieden habe.

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Will Russland weitere Gebiete?

Russland betont immer wieder, es habe kein Interesse an Boden, weil es selbst groß genug sei. In dem Konflikt gehe es aber um einen Schutz der russischsprachigen Minderheit in der Ukraine. Damit droht eine Ausweitung der Gebietsansprüche. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im russischen Parlament, Andrej Kartapolow, machte deutlich, dass die Ukraine auch ihre Gebiete Dnipropetrowsk, Sumy, Charkiw, Odessa und Mykolajiw verlieren könne, wenn sie jetzt das Moskauer Friedensangebot ausschlage.

Selenskyj lehnt einen Rückzug ukrainischer Truppen ab und hat Gebietsabtretungen an Russland mehrfach ausgeschlossen. Die Verfassung der Ukraine lasse dies nicht zu, sagte er. (dpa/bearbeitet von ari)

Teaserbild: © SNA/IMAGO/Alexander Kazakov