• Berlin hat angekündigt, Leopard-Panzer an die Ukraine zu liefern. Ist damit die Schwelle zur Konfliktpartei überschritten?
  • Die Aussage der Außenministerin, die europäischen Staaten kämpften „einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander“ sorgten erst jüngst für Verwunderung.
  • Und auch, wenn das Völkerrecht eindeutig ist, spricht mancher Experte von einem "kriegsähnlichem Zustand".

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Schon eine Woche nach Kriegsbeginn ging eine Anfrage aus Kiew bei der Bundesregierung ein: Man fragte nach Kampfpanzern westlicher Bauart. Nun gab die Bundesregierung nach wochenlangen Diskussionen bekannt: Deutschland wird den ukrainischen Streitkräften Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 zur Verfügung stellen.

Geplant sind zwei Panzer-Bataillone mit je 14 Panzern. Europäischen Partnern erteilte die Bundesregierung die Genehmigung zur Lieferung eigener Leopard-Panzer. Die Unterstützung soll auch in Form von Ausbildung, Logistik, Munition und Wartung der Systeme erfolgen.

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Neue Qualität an Waffen

Verbunden mit den Panzerlieferungen war nicht nur die Frage "Wie steht es um die eigene Verteidigungsfähigkeit?", sondern auch die Befürchtung: "Wird Deutschland durch die Lieferung von Leopard-Panzern endgültig Kriegspartei?". Denn die Leopard-Panzer bedeuten eine neue Qualität an Waffen.

Die bisherigen militärischen Unterstützungsleistungen bestanden vor allem aus Flugabwehrpanzern, Bergepanzern und Brückenlege-Panzern. Hinzu kommen zum Beispiel gepanzerte Truppentransportfahrzeuge, Grenzschutzfahrzeuge, Pick-Ups und Sattelzugmaschinen. Während der Schützenpanzer Marder vor allem auf den sicheren Transport ausgelegt ist, ist die Hauptaufgabe des Leopard-2-Panzers die Bekämpfung feindlicher Kampfpanzer und befestigter Stellungen.

Experte: "Rein politisch gezogene rote Linien"

Markiert das den Übergang zur Kriegspartei? "Nein", meint Völkerrechtler Stefan Oeter. "Das sind rein politisch gezogene rote Linien." Die völkerrechtliche Grenze, ab der man zu einer Kriegspartei werde, sei klar definiert. "Sie liegt an dem Punkt, an dem man mit eigenen Truppen in den Kampf eingreift", erklärt der Experte.

Das könne beispielsweise der Fall sein, wenn man eine Flugverbotszone verhänge und dann russische Flugzeuge abschieße. "Oder, wenn wir deutsche Soldaten in die Ukraine schicken, die dort Artillerie bedienen", so Oeter. Solange man nur Waffen liefere, sei man keine Kriegspartei.

Nicht vergessen werden darf in diesem Zusammenhang zudem, dass die westlichen Hilfsleistungen, auch in Form von Waffenlieferungen, nicht im luftleeren Raum erfolgen. Sie sind Antwort auf einen Bruch des Völkerrechts, den Russland durch seinen Angriff auf die Ukraine begangen hat.

Soldaten nicht an Kampfhandlungen beteiligt

Die Genfer Konventionen regeln klar, dass ein Staat erst dann an einem Konflikt beteiligt ist, wenn eigene Soldaten unmittelbar an den Kampfhandlungen teilnehmen. Das wäre im aktuellen Fall aus völkerrechtlicher Sicht im Sinne einer kollektiven Selbstverteidigung sogar völlig legitim. Der Westen hat sich aber bewusst dagegen entschieden, weil er eine Eskalation des Konflikts fürchtet.

"Man verschiebt aber die politischen roten Linien Stück für Stück, um auszutesten: Wie lange macht Russland das mit, ohne zu eskalieren?", beobachtet der Experte. Das vorsichtige Vorgehen sei durchaus nachvollziehbar. "Denn es ist allgemein bekannt, dass Putin sich um rechtliche Linien nicht schert. Wir wissen nicht, wo seine roten Linien liegen, das weiß auch die westliche Politik nicht", sagt Oeter. Man wolle deshalb um jeden Preis verhindern, dass der Konflikt zu einem direkten Krieg zwischen Russland und der Nato eskaliert.

Vorsicht in der Rhetorik geboten

Die Kriegspartei-Debatte hält Oeter allerdings für unsinnig. "Wir haben uns früh entscheiden, aus der klassischen Neutralität auszubrechen und sozusagen als Schrumpfform der kollektiven Selbstverteidigung die Ukraine zu unterstützen", sagt er. Es sei am Ende eine politische Frage, wie weit man gehen könne, ohne dass es eskaliert, keine völkerrechtliche.

"Man muss allerdings in der Rhetorik aufpassen", warnt Oeter. Man müsse sprachlich differenzieren: "Wir führen keinen Krieg gegen Russland, sondern wir unterstützen die Ukraine in ihrer Selbstverteidigung."

Außenministerin auf Glatteis

Außenministerin Annalena Baerbock hatte sich dabei erst kürzlich ziemlich auf Glatteis bewegt. Bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg sagte sie auf Englisch zu den westlichen Verbündeten: "Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander."

Die Bundesregierung sah sich daraufhin genötigt, das Ganze in einem Statement noch einmal klarzustellen: "Die NATO und Deutschland sind in diesem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine nicht Kriegspartei", betonte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann: "Wir unterstützen die Ukraine, aber wir sind nicht Kriegspartei."

Klare Worte vom Kanzler

Die russische Propaganda hatte sich Baerbocks Aussage da aber schon längst zunutze gemacht – als Beleg dafür, dass die EU-Länder direkte Konfliktparteien in der Ukraine seien und gegen Russland kämpften. Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, nannte die Aussagen aus Berlin "widersprüchlich". "Verstehen sie selbst, wovon sie da reden?", schrieb die Sprecherin im Nachrichtenkanal Telegram.

Gefragt, ob sich Deutschland und seine Verbündeten mit den jetzt beschlossenen Panzerlieferungen nicht am Krieg beteiligten, fand Bundeskanzler Olaf Scholz im "ZDF" jedenfalls klare Worte: "Nein, auf keinen Fall." Und weiter: "Es darf keinen Krieg zwischen Russland und der NATO geben."

"Faktisch direkte Kriegsbeteiligung"

Auch, wenn der völkerrechtliche Status ein anderer ist, sieht Politikwissenschaftler Johannes Varwick Deutschland bereits tief verwickelt: "Völkerrechtlich sind wir nicht Kriegspartei, aber politisch bewegen wir uns auf dem Weg dahin", sagt er und erklärt: "Mit der Lieferung von schweren Waffen, der logistischen Unterstützung inklusive der Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland sind wir ebenso in diesen Krieg verwickelt, wie die Hilfe der USA und anderer Staaten bei der konkreten Zielerfassung russischer Stellungen eine faktisch direkte Kriegsbeteiligung darstellt."

Aus seiner Sicht geht die Verstrickung in den Krieg bereits so weit, dass man sich in einer Art kriegsähnlichem Zustand befindet. "Es ist also eine Rutschbahn und ganz gewiss ein Graubereich, mit der ein unterstützender Staat selbst zur Konfliktpartei wird", warnt er.

Über die Experten:
Prof. Dr. Stefan Oeter hat eine Professur für Öffentliches Recht, Völkerrecht und ausländisches Öffentliches Recht an der Universität Hamburg inne. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt das Völkerrechtliche Konfliktrecht, insbesondere Fragen der Humanitären Intervention und des Schutzes der Zivilbevölkerung vor militärischer Gewaltanwendung.
Prof. Dr. Johannes Varwick ist Professor für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Universität Halle-Wittenberg.

Verwendete Quellen:

  • Bundeswehr: Kampfpanzer, Schützenpanzer und Transportpanzer – was ist der Unterschied?
  • Bundesregierung: Liste der militärischen Unterstützungsleistungen
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