Der Ukraine ist ein beispielloser Schlag gegen die russische Luftwaffe gelungen. Drohnenschwärme haben russisches Gerät auf insgesamt vier Militärflughäfen zerstört. Was bedeutet dieser "Operation Spinnennetz" betitelte militärische Erfolg für den weiteren Verlauf des Kriegs – und die Verhandlungsposition der Ukraine in Waffenstillstandsverhandlungen mit Wladimir Putin?
Ein überraschender Coup hinter feindlichen Linien? Der ukrainische Geheimdienst SBU berichtet am Sonntag von einem koordinierten Angriff auf mehrere russische Luftwaffenstützpunkte. Über 40 Kampf- und Aufklärungsflugzeuge sollen zerstört worden sein – eine Zahl, die aufhorchen lässt, aber bislang nicht unabhängig bestätigt ist.
Dabei soll es sich nicht um vereinzelte Sabotageakte, sondern um ein konzertiertes Vorgehen gehandelt haben, das auf eine neue Qualität ukrainischer Operationen in der Tiefe des gegnerischen Territoriums hindeutet.
Militärexperte Gustav Gressel sagt: "Das ist ein peinlicher Schlag für die Russen." Im Interview mit unserer Redaktion spricht Gressel über die Bedeutung des Angriffs für den Krieg und wie Russland nun reagieren dürfte.
Der ukrainische Geheimdienst hat mit seiner "Operation Spinnennetz" mindestens vier Flugfelder in Russland empfindlich mit Drohnenschwärmen getroffen. Welche strategische Bedeutung hat der Angriff?
Gustav Gressel: Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht seriös beantworten. Das ist erst dann möglich, wenn es Satellitenbilder von den Flughäfen gibt. Das wird diese Woche der Fall sein, solange das Wetter nicht dazwischenkommt. Die funktionierenden Flugzeuge werden vermutlich weggeschafft, die beschädigten Flugzeuge zur Reparatur in Hangars gebracht werden. Die kaputten Flugzeuge werden abgewrackt. Dann sieht man, welches Gerät getroffen wurde und in welcher Zahl.
In den Medien wird der Angriff als "beispiellose Geheimdienstoperation" bewertet. Was macht die Operation so außergewöhnlich?
Es ist tatsächlich ohne Beispiel, einen Kleindrohnenschwarm so verdeckt in Stellung zu bringen und auszulösen.
Die Ukraine spricht von insgesamt 41 getroffenen Flugzeugen, mindestens zehn davon sollen vollständig zerstört sein. Wie glaubwürdig sind diese Angaben?
Die ukrainischen Angaben sind in der Regel schon glaubwürdig, aber in diesem Fall sehr unspezifisch. Dass etwas "getroffen" wurde, kann beschädigt, leicht beschädigt, reparabel beschädigt oder kaputt bedeuten. Wir wissen nicht, um welchen Flugzeugtyp es sich genau handelt und in welcher Zusammensetzung. Davon kann man sich noch kein gutes Bild machen. Das ist ein peinlicher Schlag für die Russen. Es sind zumindest ein paar Tu-95 und Tu-142- Bomber komplett zerstört worden.
Was bedeutet das für Russland?
Das begrenzt die Möglichkeit der Russen, Marschflugkörper abzuschießen. Allerdings schießen die Russen derzeit keine großen Wellen an Marschflugkörpern ab – ich schätze, sie wollen die ukrainische Fliegerabwehr zuerst mit Drohnen weitgehend auslaugen, um dann später zuzuschlagen. Marschflugkörper sind wirkungsvoller als Drohnen und verheerender in ihrer Wirkung. Da wird die tägliche Angriffsmenge stärker begrenzt, wenn solche Geräte ausgefallen sind.
Es sollen auch A-50, also Frühwarnflugzeuge, getroffen worden sein …
Auch hier ist unklar, wie stark sie beschädigt sind. Das macht einen großen Unterschied. Die Russen haben derzeit sechs bis sieben A-50, die einsatztauglich sind. Wenn da mehrere wirklich kaputt sind, könnte das profunde Auswirkungen auf die russischen Luftoperationen entlang der Front haben.
In welcher Form beispielsweise?
Das Vermögen der Russen, entlang der Front in den ukrainischen Luftraum hineinzuschauen, ist unter Umständen stark minimiert. Außerdem könnten sie ukrainische Jagdflugzeuge viel später erkennen. So könnten sie ihre eigenen Gleitbomben abwerfende Jagdflugzeuge schlechter schützen.
"Mit Gleitbomben hämmern sie ihre Offensiven vorwärts."
Geht man vom Worst Case für Russland aus – könnte dieser Schlag dann das Blatt im Krieg wenden?
Nicht allein, aber es könnte zur Wende beitragen. Wenn etwa alle A-50 ausgefallen sind und die Russen über den Sommer mehr und mehr Jagdbomber verlieren. Dann kommen die Ukrainer wieder näher an sie heran. Mit Gleitbomben hämmern sie ihre Offensiven vorwärts. Ob das den Ukrainern hilft, hängt aber auch von ihrem sonstigen Durchhaltevermögen ab – und das wiederum von der europäischen Unterstützung.
Welche politischen Folgen könnte der Angriff haben?
Die politischen Folgen werden sich in Grenzen halten. Die Russen führen eine Vollinvasion, das werden sie leider auch weitermachen. Russland zeigt sich da verwundbar. Es ist schwierig, sich gegen Drohnenschwärme zu verteidigen. Allerdings haben die Russen nicht mal das Internet um diese Flughäfen abgeschaltet. Das wäre eine Sicherheitsmaßnahme, die man eigentlich erwarten könnte. Gut vorbereitet sind sie nicht.
Welche Reaktion erwarten Sie aus Moskau?
Die Russen werden wahrscheinlich irgendeinen symbolischen Akt setzen. Entweder einen größeren Marschflugkörperangriff oder eine Oreschnik-Mittelstreckenrakete, falls sie noch eine haben. Die Propaganda versucht den Mangel ruhig zu halten, spricht nur von abgewehrten Angriffen. Dementsprechend wird der Kreml versuchen, das vor seinem Publikum unter den Teppich zu kehren. Reaktionen aus dem Westen erwarte ich nicht.
Über den Gesprächspartner
- Gustav Gressel ist Experte für Sicherheitspolitik, Militärstrategien und internationale Beziehungen. Er absolvierte eine Offiziersausbildung und studierte Politikwissenschaft an der Universität Salzburg. Schwerpunktmäßig befasst sich Gressel mit Osteuropa, Russland und der Außenpolitik bei Großmächten.