Nach dreieinhalb Jahren Krieg suchen die europäischen Staaten nach neuen Wegen, die Ukraine zu finanzieren, ohne eigene Haushalte zu belasten. Im Blickpunkt sind beim Treffen in Kopenhagen am Mittwoch eingefrorene russische Vermögenswerte.
Seit dreieinhalb Jahren verteidigt sich die Ukraine gegen Russland in einem zermürbenden Krieg, der das Land nicht nur militärisch und humanitär, sondern auch finanziell schwer belastet. Die europäischen Unterstützer Kiews wollen nun mit sogenannten Reparationsanleihen die eingefrorenen russischen Vermögenswerte zur Finanzierung der Ukraine-Hilfe nutzbar machen. In Kopenhagen diskutieren die Staats- und Regierungschefs der EU am Mittwoch über die Risiken dieses Vorhabens. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Um welches Geld geht es?
Kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 fror Brüssel die Vermögenswerte der russischen Zentralbank in der EU ein. Moskau konnte somit nicht mehr auf dieses Geld zugreifen. Nach EU-Angaben handelt es sich um mehr als 200 Milliarden Euro, von denen derzeit rund 176 Milliarden als Barguthaben verfügbar sind. Verwaltet wird das Geld von der Clearing-Gesellschaft Euroclear in Brüssel.
Wie wurde das Geld bisher verwendet?
Zunächst passierte gar nichts. Im Mai 2024 beschlossen die Mitgliedstaaten dann, dass die durch die Vermögenswerte gewonnenen Zinsen zur Unterstützung der Ukraine verwendet werden dürfen. Bis August 2025 wurden hieraus 4,7 Milliarden Euro an die Ukraine weitergegeben. Zudem wurden in Erwartung weiterer Gewinne Kredite in Milliardenhöhe gewährt.
Warum wurde das Geld nicht direkt weitergegeben?
Gegen die Beschlagnahmung der Vermögen einer ausländischen Zentralbank gibt es zum einen juristische Bedenken, ob dies nicht gegen das Völkerrecht verstoßen würde. Zum anderen geht es um das Vertrauen in den Finanzstandort Europa und den Euro als Reservewährung. Investoren aus anderen Ländern könnten aus Furcht um ihr Geld aus EU-Ländern abziehen.
Was hat sich nun geändert?
Die Dauer des Krieges und der eigene Haushaltsdruck hat bei vielen EU-Ländern die Bereitschaft für eine kreativere Verwendung der russischen Vermögenswerte erhöht, auch in Deutschland. Zudem glaubt die EU-Kommission, mit den Anleihen eine Art rechtliches Hintertürchen gefunden zu haben.
Was sieht der neue Vorschlag vor?
Die Kommission betont immer wieder, dass das russische Geld nicht beschlagnahmt werden soll. Stattdessen sollen rund 140 Milliarden Euro in sogenannte zinslose Kommissionsanleihen investiert werden. Dieses Geld würde die EU dann als Kredite an die Ukraine weitergeben.
Haften würden zunächst die EU-Länder, ab 2028 könnte dann der neue EU-Haushalt die Kredite absichern. Die Ukraine müsste die Kredite dem Vorschlag zufolge nur zurückzahlen, wenn sie von Russland Reparationszahlungen erhalten hat.
Russland würde das Geld zurückerhalten, sobald der Krieg beendet ist und Moskau Reparationen an die Ukraine gezahlt hat. Die EU-Mitgliedstaaten müssten nur dann für das Geld aufkommen, wenn sie die Sanktionen gegen Russland aufheben, ohne dass Moskau Reparationen gezahlt hat.
Was spricht dagegen?
Das Konzept muss noch juristisch und fiskalisch geprüft werden. Andere Länder außerhalb der EU könnten argumentieren, dass es sich angesichts der Reparationsbedingung um ein Nullsummenspiel und damit faktisch um eine Enteignung Russlands handelt, und ihr Geld lieber anderswo anlegen. Außerdem ist zumindest theoretisch ein Szenario denkbar, in dem die EU-Länder am Ende für das Geld aufkommen müssen.
Wie reagieren die Mitgliedsstaaten?
Mehrere EU-Länder fordern seit längerem, die eingefrorenen Vermögenswerte direkt für die Finanzierung der Ukraine-Hilfe zu nutzen. Deutschland war bisher strikt dagegen. Das neue Konzept heißt Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) jedoch gut und wirbt für die Reparationsanleihen.
Zu den größten Zweiflern gehört nach wie vor Belgien. Das ohnehin von Geldnöten geplagte Land fürchtet, im Zweifelsfall für die in Brüssel verwalteten Mittel haftbar gemacht werden zu können. Die 200 Milliarden Euro entsprechen in etwa einem Drittel des belgischen Bruttoinlandsprodukts. Zudem besteuert Belgien die derzeit entstehenden Zinsgewinne und nutzt diese Mittel zur militärischen Unterstützung der Ukraine.
Wie geht es weiter?
Beim Treffen in Kopenhagen wollen Befürworter wie Deutschland die anderen Länder von den Reparationsanleihen überzeugen. Nach Klärung technischer und rechtlicher Details könnte die Kommission dann das fertige Konzept zur Abstimmung geben.
Empfehlungen der Redaktion
Ob eine politische Entscheidung bereits beim regulären EU-Gipfel in Brüssel Ende Oktober gefällt werden kann, ist allerdings fraglich. Auch ob dafür eine sogenannte qualifizierte Mehrheit reicht, oder der Schritt einstimmig beschlossen werden muss, ist noch unklar. (afp/ bearbeitet durch ras)