Ghassem Soleimani war in der arabischen Welt als wichtigster Vertreter des iranischen Militärs berühmt-berüchtigt. Teheran will nach seiner Tötung durch die USA "Rache". Es droht eine Spirale der Gewalt.

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Nach der Tötung des iranischen Top-Generals Ghassem Soleimani bei einem US-Raketenangriff im Irak wächst im Nahen Osten die Sorge vor einem neuen Krieg. Die USA verlegen mehr Soldaten in die Region, die oberste Führung in Teheran und verbündete Milizen drohen Washington mit Vergeltung. "Soleimanis Weg wird auch ohne ihn weitergeführt, aber die Kriminellen erwartet eine schwere Rache", schrieb Ajatollah Ali Chamenei am Freitag in einem Beileidsschreiben. Irans Sicherheitsrat warnte, die USA hätten ihren bislang "größten strategischen Fehler in der Region begangen" und würden "aus dieser Sache nicht heil herauskommen".

Die USA sprachen hingegen von einem Akt der Selbstverteidigung und forderten Teheran zur "Deeskalation" auf. US-Präsident Donald Trump erklärte auf Twitter, Soleimani sei für den Tod von "Tausenden Amerikanern" verantwortlich. Er habe noch "viele weitere" töten wollen, sei nun aber "erwischt" worden. "Er war direkt und indirekt verantwortlich für den Tod von Millionen Menschen, inklusive der großen Zahl jüngst im Iran selbst getöteter Demonstranten." Weiter schrieb Trump: "Er hätte vor vielen Jahren getötet werden sollen."

Soleimani soll Angriff geplant haben

Das Pentagon erklärte, der Einsatz sei auf Anweisung von Präsident Trump erfolgt, um weitere Angriffe auf US-Kräfte zu verhindern. US-Außenminister Mike Pompeo zufolge stand ein von Soleimani geplanter Angriff unmittelbar bevor. Dieser hätte "Dutzende, vielleicht sogar Hunderte Leben von US-Bürgern in Gefahr gebracht", sagte Pompeo dem Sender CNN unter Verweis auf Erkenntnisse der Geheimdienste. Das US-Militär wollte Medienberichten zufolge umgehend bis zu 3500 zusätzliche Soldaten in die Region verlegen. Sie sollten der "Washington Post" zufolge zunächst in Kuwait stationiert werden.

Soleimani, der Kommandeur der iranischen Al-Kuds-Brigaden, war in der Nacht zum Freitag bei einem US-Drohenangriff nahe dem Flughafen der irakischen Hauptstadt Bagdad getötet worden. Nach Angaben irakischer Sicherheitskräfte trafen drei Raketen zwei Fahrzeuge. Insgesamt seien acht Menschen getötet worden, hieß es. Darunter waren demnach auch der hohe irakische Milizenanführer Abu Mahdi al-Muhandis, ein enger Verbündeter des Irans, und ein Schwiegersohn Soleimanis.

US-Staatsbürgern Ausreise empfohlen

Im Iran kam es am Freitag in fast allen Teilen des Landes zu spontanen Kundgebungen gegen die USA. Die US-Botschaft in Bagdad rief ihre Staatsbürger zur sofortigen Ausreise aus dem Irak auf. Als Reaktion auf die Lage im Nahen Osten zogen die Öl- und Goldpreise deutlich an, auf den Finanzmärkten weltweit breitete sich Unruhe aus.

Beobachter befürchten nun eine gefährliche Eskalation des Konflikts zwischen den USA und dem Iran. Die im Irak eingesetzten Bundeswehrsoldaten verschärften ihre Sicherheitsmaßnahmen, wie ein Sprecher des Einsatzführungskommandos in Potsdam sagte. Im Militärkomplex Tadschi nördlich von Bagdad sind derzeit 27 Bundeswehrsoldaten für die Ausbildung irakischer Kräfte im Einsatz. Zudem gibt es in Hauptquartier der Anti-IS-Koalition in Bagdad fünf deutsche Soldaten. Knapp 90 Bundeswehrleute sind im nordirakischen Kurdengebiet im Einsatz, um dort kurdische Kräfte auszubilden.

Architekt der iranischen Militärpolitik

Der 62 Jahre alte Soleimani war der prominenteste Vertreter und das bekannteste Gesicht des iranischen Militärs im Ausland. Die von ihm angeführten Al-Kuds-Brigaden gehören zu den Revolutionsgarden (IRGC), einer Eliteeinheit der iranischen Streitkräfte. Soleimani galt als Architekt der iranischen Militärpolitik in den benachbarten Ländern, vor allem in Syrien und im Irak. Dort besitzt Teheran über verbündete Milizen großen Einfluss. Soleimani reiste regelmäßig in beide Länder.

Irans Präsident Hassan Ruhani kündigte nun Vergeltung an. "Zweifellos werden der Iran und andere unabhängige Staaten dieses schreckliche Verbrechen der USA rächen", erklärte er. Außenminister Mohammed Dschwad Sarif twitterte: "Die Ermordung General Soleimanis war extrem gefährlich und wird zu einer Eskalation der Krise führen."

"Nicht legitime Machtmethoden"

Pompeo telefonierte am Freitag mit zahlreichen Außenministern, darunter auch mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow. Pompeo habe betont, die USA strebten weiter eine "Deeskalation" im Nahen Osten an, hieß es. Lawrow warnte nach Angaben aus Moskau, das Vorgehen der USA könne schwerwiegende Konsequenzen für den Frieden und die Stabilität in der Region haben. Moskau habe die USA mit Nachdruck aufgefordert, "nicht legitime Machtmethoden aufzugeben, mit denen eigene Ziele auf internationaler Ebene erreicht werden sollen", hieß es. Probleme sollten am Verhandlungstisch gelöst werden.

US-Politiker debattierten unterdessen über die Rechtmäßigkeit des US-Angriffs in Bagdad. Einige Demokraten warfen Trump vor, ohne Zustimmung des Kongresses gehandelt zu haben und warnten vor den möglichen Folgen der jüngsten Eskalation. "Präsident Trump hat soeben eine Stange Dynamit in ein Pulverfass geworfen", warnte der frühere US-Vizepräsident Joe Biden, der sich um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten bemüht. Die UN-Menschenrechtsexpertin Agnes Callamard erklärte über Twitter, bei der gezielten Tötung Soleimanis handele es sich wahrscheinlich um einen Verstoß gegen internationales Recht.

Beschuldigungen und Vorwürfe auf beiden Seiten

Die USA und der Iran sind seit langem in einen schweren Konflikt verwickelt. Washington ist aus dem Atomabkommen mit dem Iran ausgestiegen und versucht die Wirtschaft des Landes abzuwürgen. Damit wollen die USA Teheran zum Rückzug aus Nachbarländern bewegen. Die Amerikaner beschuldigen die Iraner außerdem, Terrorismus zu fördern. In den vergangenen Monaten stand der Konflikt zwischen beiden Ländern mehrfach vor einer militärischen Eskalation. (best/dpa)

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