Elon Musk hat ein Problem mit Wikipedia. Gemeinsam mit konservativen Akteuren in den USA greift er die Glaubwürdigkeit und Gemeinnützigkeit der Online-Enzyklopädie an. Treffen von Wikipedianern mussten bereits abgesagt werden, viele werden wöchentlich beleidigt. Welche Rolle ein dubioser Anwalt dabei spielt und wie die Wikipedia dagegenhält.

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Elon Musk hat sich schon über viele Dinge aufgeregt, mitunter muten sie kurios an. Über Gender-Pronomen und die deutsche Bürokratie hat er sich ebenso schon beschwert wie über die Lautstärke von Laubbläsern, den App-Store und akademische Titel.

Auch das Online-Lexikon Wikipedia hatte der Tech-Milliardär in der Vergangenheit mehrfach im Visier. "Hört auf, Wokepedia zu spenden" oder "Ich gebe ihnen eine Milliarde Dollar, wenn sie ihren Namen zu 'Dickipedia' ändern", schrieb Musk beispielsweise auf der Plattform "X". Wikipedia sei ein verlängerter Arm der traditionellen Medienpropaganda und keine glaubwürdige Quelle, wetterte er weiter.

Musk und Wikipedia: Nur ein Ego-Problem?

Man könnte meinen, der Multimilliardär habe einfach ein persönliches Problem mit einer der meistbesuchten Webseiten der Welt. Schließlich stößt er sich daran, in seinem eigenen Wikipedia-Eintrag nur als "früher Investor" und nicht als "Gründer" von Tesla genannt zu werden.

Auch dass sein Wikipedia-Eintrag die Geste abhandelt, die er bei der zweiten Amtseinführung von Donald Trump zeigte, missfällt ihm. Sie wurde von vielen als Hitlergruß gedeutet, Musk hat das zurückgewiesen. Nichts anderes steht im besagten Eintrag.

Angriff auf Universitäten

Doch Musks Kritik an "Wikipedia" ist mehr als nur Resultat eines angekratzten Egos. Sie passt in die Strategie, die auch die Trump-Regierung fährt. Zuletzt hatte diese der Elite-Universität Harvard Fördermittel in Milliardenhöhe entzogen, weshalb sie finanziell unter Druck steht. Harvard ist nicht die einzige Universität, der die Regierung von Trump eine linksliberale Ausrichtung vorwirft und von der sie unter anderem den Stopp von Diversitätsprogrammen fordert.

Gleichzeitig hatten mehrere Regierungswebseiten nach dem Amtsantritt von Trump historische und wissenschaftliche Informationen gelöscht. Dazu zählen zum Beispiel HIV-Statistiken oder Informationen über Verhütung und die Grippeimpfung.

Das Vorgehen in Sachen Wikipedia fügt sich nun in diese Reihe ein. Die für die Organisation verantwortliche Wikimedia Foundation ist in den USA steuerbefreit. Ed Martin, konservativer Anwalt und Interims-Bundesanwalt, stellt das infrage und wirft Wikipedia Propaganda vor.

Anwalt schießt gegen Wikipedia

Martin war zuletzt Interims-Bundesanwalt für Washington D. C. und Kandidat für den Posten des US-Staatsanwalts im District of Columbia. Das Vorhaben scheiterte. Martin hat keine Erfahrung als Staatsanwalt. Er war zuvor bei den Republikanern in Bundesstaat Missouri aktiv und arbeitete in einer Anwaltskanzlei. Aufgefallen ist er vor allem als loyaler Trumpist und Parteisoldat der Republikaner.

Martin half auch bei der Organisation des Aufstandes von Trump-Anhängern am 6. Januar 2021, der in den Ausschreitungen im Kapitol gipfelte, und trat mehrmals im russischen Staatsfernsehen auf. Trump hatte nach seiner Wahl alle Angeklagten begnadigt, Martin feuerte daraufhin 30 Bundesanwälte, die an den Fällen gearbeitet hatten. Er sprach sich auch für "Wiedergutmachungszahlungen" für Inhaftierte aus.

Vorwurf der Propaganda

Auch Elon Musk sprang Martin immer wieder bei, etwa, als der sich Kritik mit seiner Abteilung für Regierungseffizienz ausgesetzt sah. Er werde "jede rechtliche Maßnahme gegen jeden ergreifen, der Ihre Arbeit behindert", beteuerte Martin. Eine unabhängige Justiz scheint für Martin weit hergeholt. Er bezeichnete sich selbst als "Anwalt von Präsident Trump". Die Demokraten hatten deshalb bereits eine Untersuchung gegen Martin eingeleitet.

In seinem Schreiben an die Wikimedia behauptet Martin, die Online-Enzyklopädie verbreite "Propaganda", außerdem würden "ausländische Akteure Informationen manipulieren". Wikipedia erlaube die "Umschreibung wichtiger historischer Ereignisse und biografischer Daten zu ehemaligen und aktuellen Anführern der USA", so Martin weiter.

Anonymität der Autoren im Fokus

Steuerbefreite Organisationen dürften sich nur für "religiöse, wohltätige und wissenschaftliche" sowie weitere Zwecke einsetzen, argumentiert Martin. Der verantwortliche Aufsichtsrat bestehe hauptsächlich aus Menschen mit anderer Staatsangehörigkeit, das untergrabe die Interessen von US-Steuerzahlern. Er hat eine Liste mit Fragen vorgelegt, die die Wikimedia beantworten soll. Danach will er weitere Schritte in Erwägung ziehen.

Zu seinem Katalog zählt zum Beispiel die Frage, warum Wikipedia-Autoren anonym bleiben dürfen: "Welche Rechtfertigung liefert die Stiftung dafür, Redakteure vor öffentlicher Kontrolle zu schützen?" und "Welche Maßnahmen ergreift die Stiftung, um die Integrität und Kompetenz von leitenden Redakteuren und Administratoren zu beurteilen?", fragt Martin.

"Schwarze Liste an Quellen"?

Auch die rechte Denkfarbrik "Heritage Foundation" wirft Wikipedia Voreingenommenheit vor. Sie will sogar die Identitäten unliebsamer Wikipedia-Autoren enthüllen. Sie wirft Wikipedia vor, eine "Schwarze Liste an Quellen" zu führen, auf der konservative Medien stehen.

Bei dieser "Liste" handelt es sich jedoch lediglich um die Quellenstandards von Wikipedia. Darin werden Quellen nach ihrer Zuverlässigkeit eingeordnet. Rechtspopulistische Medien wie "Breitbart News" landen in der untersten Kategorie, da sie in der Vergangenheit unbewiesene Verschwörungstheorien verbreitet haben.

Rütteln an zwei tragenden Säulen

Zu den Standards von Wikipedia zählt auch, Aussagen von "Fox News" nicht als "Tatsachenbehauptung" zu nutzen, sondern sie unter Umständen als Meinung zu zitieren. Genauso sind aber auch "Amazon-Rezensionen", bestimmte nutzergenerierte Inhalte oder Pressemitteilungen keine validen Quellen für Fakten.

Damit zielen die Angriffe insgesamt auf zwei tragende Säulen der Wikipedia: Gemeinnützigkeit und Glaubwürdigkeit. Ein tatsächlicher Verlust der Gemeinnützigkeit wäre für die Wikimedia Foundation existenzbedrohend. Über 90 Prozent des Jahresbudgets sind Spenden.

Wikipedia wehrt sich

Die Enzyklopädie, die es in über 300 Sprachen gibt und deren englische Version allein mehr als 7 Millionen Einträge zählt, wehrt sich gegen die Vorwürfe. Man sei "einer der letzten digitalen Orte, die das Versprechen des Internets widerspiegelten", so ein Sprecher der Wikimedia.

Die Regeln und Standards von Wikipedia würden sicherstellen, dass Informationen so "akkurat, fair und neutral sind wie möglich". Wikipedia schaltet keine Werbung und monetarisiert seine Inhalte nicht. Einträge, die die Quellenstandards nicht erfüllen, sind mit einer Warnung versehen. Die Einträge werden laufend überprüft und transparent von über 250.000 Freiwilligen moderiert – nicht wenige davon sehen sich regelmäßig Beleidigungen ausgesetzt. Teilweise mussten Treffen abgesagt werden.

Wikipedia steht zu eigenen Schwächen

Zu den Stärken der Wikipedia zählt auch, dass sie zu ihren Schwächen steht. Sie weiß darum, dass weder ihre Einträge noch ihre Autorinnen und Autoren die Realität repräsentativ abbilden.

Denn die Community ist überwiegend männlich, weiß und akademisch und es gibt mitunter detaillierte Einträge über Videospiele, während Informationen über Orte auf dem afrikanischen Kontinent teilweise ganz fehlen. Die Wikipedia versteht sich deshalb als "work in progress" und hat über ihre eigenen Schwächen eigene Wikipedia-Einträge.

Beobachter halten die Angriffe auf die Wikipedia für wenig aussichtsreich und sehen darin mehr einen Einschüchterungsversuch denn eine substanzielle Drohung. Die Wikimedia Deutschland, die eine Community von über 6.000 Freiwilligen zählt, sieht sich gegen die Angriffe gewappnet.

Deutsche Wikipedia sieht sich gewappnet

Auf Anfrage des "Social Media Watchblogs" teilt eine Sprecherin mit, die Nutzendenzahlen seien gleichbleibend, auch verzeichne man keinen Rückgang bei Spenden. Die Anonymität der Autorinnen und Autoren sei entscheidend, denn "es gibt unterschiedliche Themen, die kommunikative Tabus darstellen, die extrem kontrovers sind oder in einigen Ländern gar nicht offen angesprochen werden dürfen", heißt es.

Das detaillierte Eingehen auf die Kritik dürfte derweil wenig zielführend sein. Denn zu der Strategie von Trump und seinen Anhängern zählt es, Fundamentalkritik zu üben und zu pauschalisieren, um selbst die Deutungshoheit zu gewinnen. Die Zeiten für freies Wissen sind in den USA härter denn je.

Auf die eigenen Stärken besinnen

Der Wikipedia bleibt an dieser Stelle deshalb nur, sich auf ihre Stärken zu besinnen: transparentes, regel- und faktenbasiertes Arbeiten sowie das fortlaufende Überprüfen von Informationen.

So ist es der Wikipedia in der Vergangenheit bereits gelungen, PR-Firmen davon abzuhalten, Wikipedia-Beiträge ihrer Klienten aufzuhübschen oder Verschwörungstheoretikern das Stopp-Schild zu zeigen, wenn sie ihre Narrative zu 9/11 oder Impfungen in Beiträgen unterbringen wollen.

Verwendete Quellen