Die Drama-Serie "Squid Game" ist im Dezember in eine neue Staffel gestartet. Der brutale Inhalt ist nichts für Kinder – trotzdem kommen sie an die Serie. Eine Expertin erklärt, warum "Squid Game" eine so große Anziehungskraft auf die Jüngsten hat, was die Serie mit Kindern macht und was Eltern dagegen tun können.

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Die südkoreanische Serie "Squid Game" sprengte 2021 einen Netflix-Rekord: Auf 142 Millionen Accounts wurde die erste Staffel in nur vier Wochen gestreamt. Im Dezember 2024 kehrte die Serie mit einer zweiten Staffel noch blutiger zurück, eine dritte ist bereits in Planung. Doch die brutale Dramaserie fasziniert offenbar auch eine Zielgruppe, für die sie ganz und gar nicht geeignet ist: Kinder.

Überall wollen sich Kinder zu Karneval oder an Halloween als Charaktere der Serie verkleiden. Weltweit berichten Lehrkräfte davon, dass schon Grundschülerinnen und -schüler Szenen aus "Squid Game" auf dem Schulhof nachspielen. Eigentlich harmlose Kinderspiele wie "Ochs am Berg" enden dann nicht mehr nur mit dem Ausscheiden der Verlierenden: Wer zuckt, wird geohrfeigt – frei inspiriert von der Drama-Serie.

Darin kämpfen hoch verschuldete Menschen unter der Aufsicht farbenfroh maskierter Wächter in Kinderspielen um ein enormes Preisgeld. Doch Niederlagen bedeuten in "Squid Game" den Tod: Wer verliert, wird erschossen – und mit jedem Toten steigt die Gewinnsumme für den letzten Überlebenden.

Selbst für Erwachsene ist das harter Tobak – und für Kinder ist die Serie absolut nicht geeignet, wie auch Regisseur Hwang Dong-hyuk klarstellt. "Sie ist für Erwachsene gemacht, die die Fähigkeit besitzen, den Kontext und die Botschaft der Serie zu verstehen", sagte er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) und zeigte sich schockiert von den Nachahmungen an Schulen.

Netflix empfiehlt "Squid Game" erst ab 16 Jahren – und doch kommen Kinder mit den brutalen Szenen in Berührung.

"Squid Game" ist längst Teil der Popkultur

"Die wenigsten Kinder haben die Serie tatsächlich auf Netflix angeschaut", sagt Medienpädagogin Dr. Iren Schulz von der Initiative "Schau Hin! Was dein Kind mit Medien macht". Das ließe sich auch vergleichsweise einfach verhindern, indem der Netflix-Account mit einem Jugendschutz-Passwort gesperrt wird. Doch längst ist die Serie Teil der Popkultur und taucht als solche in TikTok-Videos, Memes oder Spielen wie "Minecraft" auf. "Die Serie hält über die gesamte Medienpalette Einzug in das Leben der Kinder", sagt Schulz.

Das mache es Eltern praktisch unmöglich, die Serie von ihren Kindern fernzuhalten. Denn selbst wenn es ihnen zu Hause gelingt, kommen die Kinder über andere in Schule und Kindergarten mit den kritischen Inhalten in Kontakt. "Wir hören oft, dass in den Familien eigentlich gute Regeln zur Mediennutzung aufgestellt werden – aber sobald das Kind bei Freunden zu Besuch ist, werden Dinge angeschaut, die zu Hause verboten sind", sagt Schulz.

Bunte K-Pop-Ästhetik wirkt besonders anziehend auf Kinder

Bis zu einem gewissen Grad war das wahrscheinlich schon immer so – und "Squid Game" ist längst nicht die erste und einzige Serie mit expliziten Gewaltdarstellungen, die nicht für Kinderaugen geeignet ist. Soziale Medien verschärfen jedoch das Problem – und durch die Mischung aus vertrauten Kinderspielen und bunter K-Pop-Ästhetik wirke "Squid Game" auf Kinder besonders anziehend, sagt die Medienexpertin.

"Die Serie kommt im Bonbon-Outfit ganz harmlos und kindlich daher – wie ein Wolf im Schafspelz", sagt Schulz. Die gesellschaftskritische Metaebene hinter der Gewaltorgie – eine Allegorie dafür, wie ein kapitalistisches System mit seinen Schwächsten umgeht – können kleinere Kinder nicht erfassen.

Führt Gewalt in Medien zu Gewalt bei Kindern?

Aber was macht es mit Kindern, wenn sie solche Inhalte sehen? Führen Gewaltdarstellungen wie in "Squid Game" tatsächlich zu Gewalt auf Schulhöfen?

Im Bericht "Medien und Gewalt" kommt das Bundesfamilienministerium bereits im Jahr 2010 zu dem Schluss, dass Gewalt in Medien Aggressionen bei Kindern und Jugendlichen zwar verstärken kann, der Einfluss allerdings nur mäßig ist. Das belegen zahlreiche Studien. Demnach ist der Konsum von Gewaltdarstellungen nur ein Faktor unter vielen, die Gewalt bei Kindern und Jugendlichen verursachen.

"Diesen direkten Zusammenhang kann man nicht herstellen", sagt auch Iren Schulz. Vor allem das soziale Umfeld spiele dabei eine entscheidende Rolle. Kinder, die keine sichere Bindung in ihrer Familie erfahren, die wenig Anerkennung erleben und vielleicht keinen stabilen Freundeskreis haben, bekommen durch solche krassen Medienangebote eher die Möglichkeit, auch mal "cool" zu sein und im Mittelpunkt zu stehen. "Es ist wie ein Ventil – ein Mittel, um gesehen zu werden", sagt Schulz.

Schlafprobleme, Ängste und problematische Weltbilder

In der Regel führten solche Inhalte bei Jüngeren eher zu Verunsicherung. "Für Jüngere ist diese Gewalt absolut verstörend", sagt Schulz. Das könne sich kurzfristig zum Beispiel durch Schlafstörungen und Unruhe äußern. Typisch sei auch, wenn Kinder bestimmte Spiele oder den Kontakt zu bestimmten Kindern meiden. Je nachdem, wie sensibel das Kind ist, können aber auch psychische Auswirkungen wie Angstzustände die Folge sein.

Bei älteren Kindern und Jugendlichen sieht Schulz vor allem die Gefahr, dass sie über solche Inhalte problematische Menschen- und Weltbilder als Orientierungsvorlage übernehmen. Im Falle von "Squid Game" hieße das: Der Stärkere gewinnt. Dagegen helfe nur, mit den Jugendlichen ins Gespräch zu gehen. "Medienerziehung heißt auch immer: besprechen und begleiten", sagt Schulz. Es gehe darum, zu erklären, was genau in der Serie verhandelt wird und wie man sich dazu verhält. "Beziehen Sie eine klare Position und stellen Sie klar, dass Menschen so nicht miteinander umgehen, dass das Fiktion und kein realer Lösungsansatz ist."

Bei jüngeren Kindern gestaltet sich das allerdings schwieriger. "Natürlich sollte man dem Kind erklären, dass das alles nicht echt ist", sagt Schulz. Kleineren Kindern helfe aber vor allem emotionale Nähe, um verstörende Inhalte zu verarbeiten. "Also ganz praktisch gedacht: Wenn das Kind Einschlafprobleme hat, dann schläft man noch mal zusammen in einem Zimmer oder kuschelt sich zusammen", sagt Schulz. Um einen Strich unter das Erlebte zu ziehen, könnten auch ein paar medienfreie Tage sinnvoll sein.

Eine gute Kommunikationsbasis ist der beste Schutz

Um kleine Kinder vor dem Einfluss schädlicher Inhalte zu schützen, rät die Medienpädagogin aber vor allem zu Schutzmechanismen, die schon im Vorfeld greifen. "Es geht darum, zu vermitteln: Du musst das nicht anschauen oder mitspielen, wenn du das nicht möchtest. Und wenn du bei anderen Kindern oder Influencern auf etwas stößt, das dir Angst macht, dann sag uns Bescheid." Eine gute Kommunikationsbasis in der Familie sei der beste Schutz.

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Doch wenn alle in der Klasse darüber reden, ist es für Kinder nicht leicht, sich dem Gruppendruck entgegenzustellen – das war auch schon vor "Squid Game" so. "Das erfordert ein großes Selbstbewusstsein", gibt Schulz zu. Deshalb sei es besonders wichtig, die Selbstwirksamkeit der Kinder zu stärken. "Ich muss mit meinem Kind besprechen, dass es seine Freunde nicht verliert, nur weil es mal nein sagt." Viele Kinder, die sich aus Gruppenzwang mit solchen Gewaltinhalten beschäftigen, seien sogar froh, wenn Eltern ihnen Rückendeckung geben und eingreifen.

Die Expertin der Initiative "Schau Hin!" empfiehlt außerdem, mit anderen Eltern darüber zu sprechen. "Wenn das eigene Kind bei anderen solche Inhalte zu sehen bekommt, kann man schon mal bei den Eltern nachfragen", sagt Schulz. "Vielleicht ist ihnen die Problematik noch gar nicht bewusst, und man kann sich austauschen und gemeinsam zu einer Lösung kommen." Wenn man mit anderen Eltern das Gespräch sucht, sei vor allem eines wichtig – nämlich das, was wir auch unseren Kindern vermitteln wollen: ruhig bleiben und nicht gleich aufeinander losgehen.

Über die Gesprächspartnerin

  • Dr. Iren Schulz ist Medienpädagogin und berät als Mediencoachin bei der Initiative "Schau Hin!" Eltern und Pädagoginnen in Fragen zur Medienerziehung. Außerdem führt sie Fortbildungen, Workshops und medienpädagogische Praxisprojekte mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen durch.

Verwendete Quellen