Charleston - Es ist Markttag in Charleston im US-Bundesstaat South Carolina. Im historischen Geschäftsviertel tummeln sich hunderte Menschen und wandeln von Stand zu Stand. Mittendrin in der Markthalle sitzt auf einem Klappstuhl ein wuchtiger Mann mit rotem T-Shirt und goldener Kette. Er fädelt getrocknete Grashalme durch einen halbfertigen Korb, der auf seinem Schoß ruht.

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Corey Alston flicht einen Korb aus Sweetgrass. "Die Schilfgräser dafür habe ich selbst geerntet und getrocknet", sagt er und greift nach einem neuen Bündel. In den Marschlandschaften rund um Charleston kann Sweetgrass, wichtigster Rohstoff für die Körbe, geerntet werden, immer ab dem Frühjahr. Alston und seine Familie leben von dem Handwerk.

Für viele Besucher der Südstaatenmetropole Charleston ist der Marktbesuch ein echter Hingucker. Nicht wenige von ihnen kommen dort dank der kunstvollen Körbe zum ersten Mal mit der Kultur der Gullah-Bevölkerung in Berührung, der auch Corey Alston angehört. Rund eine halbe Million von ihnen leben im Südosten der USA, rund um Charleston sind es etwa 100.000.

Gullah sind die Nachfahren von Sklaven

Als Gullah bezeichnen sich in den USA die Nachfahren von Sklaven, die im 17. und 18. Jahrhundert aus Westafrika in den Südosten von Nordamerika verschleppt wurden, um dort auf den Reisplantagen weißer Grundbesitzer zu schuften. Zu ihren bekanntesten Gesichtern gehört Ex-First Lady Michelle Obama, deren Vater aus einer Gullah-Gemeinde in South Carolina stammt.

Unter den Afroamerikanern pflegen die Gullah eine eigenständige Kultur, die vom Kongress auch offiziell anerkannt ist. Manche sprechen einen kreolischen Dialekt aus englischen und afrikanischen Wörtern, der bis auf die Kolonialzeit zurückgeht. Damals lebten die meisten Gullah auf Plantagen, die so sehr von Stechmücken verseucht waren, dass Weiße dort nur selten auftauchten.

Sweetgrass-Körbe
Souvenir mit Kulturgeschichte: Sweetgrass-Körbe auf dem Markt in Charleston. © dpa / Jörg Michel/dpa-tmn

Dank der Abgeschiedenheit fern der Städte konnten die Gullah ihre Kultur weitgehend ungestört pflegen und bewahren. Die geflochtenen Körbe aus Sweetgrass gehören heute zu ihrer Identität. "Meine Vorfahren haben die Körbe einst auf den Plantagen geflochten, um damit den Reis zu tragen", berichtet Alston. Seine Familie pflegt das Kunsthandwerk seit fünf Generationen.

Gelernt hat Alston die Flechtkunst von seinen Eltern, die diese wiederum von ihren Eltern beigebracht bekamen. Laut Gesetz dürfen in Charleston nur die Gullah die seltenen Schilfgräser ernten, die für die Körbe benötigt werden. "Die meisten von uns flechten den ganzen Tag lang", so Alston. Bis ein größerer Korb fertig ist, kann es mehrere Wochen dauern, bei kleineren geht es schneller.

Prächtige Villen und schmucklose Flachbauten

Nicht nur die Markthallen - auch an vielen anderen Orten in Charleston können sie sich auf die Spuren der Gullah begeben: in Kirchen, in Museen, auf historischen Plantagen oder in Stadtvierteln, die überwiegend von Afroamerikanern bewohnt werden. Afroamerikanische Guides bieten Touren an.

Zu den Plantagen der ehemaligen Sklaven geht es anderntags mit Al Miller, der seit 38 Jahren Gäste auf zweistündigen Touren zu den traditionellen Siedlungsgebieten der Gullah bringt. "Charleston profitierte lange vom Sklavenhandel und galt einmal als die wohlhabendste Stadt in Amerika", erzählt er und lässt seinen Bus an. "Erst als die Sklaverei 1865 abgeschafft wurde, änderte sich das."

Die Fahrt durch das Stadtzentrum offenbart das koloniale Erbe Charlestons aus jener Zeit: Miller fährt an roten Ziegelbauten, klassizistischen Villen, gepflegten Vorgärten, grünen Palmen und blühenden Azaleen vorbei. Knapp 1.500 historische Bauten aus dem 18. und 19. Jahrhundert haben in Charleston die Zeit überdauert. Als Miller die Vororte erreicht, ändert sich das Straßenbild.

Market Hall Charleston
Einen Besuch wert: der Charleston City Market in historischer Halle. © dpa / Jörg Michel/dpa-tmn

Am Busfenster ziehen schlichte Holzhäuser, schmucklose Flachbauten und Fast-Food-Restaurants vorbei, bis Miller an der Burke High School stoppt, einem klobigen Backsteinbau. Er berichtet, dass die Schule eine der größten Bildungseinrichtungen für Afroamerikaner in South Carolina war. Erst lange nach dem offiziellen Ende der Trennung zwischen Afroamerikanern und Weißen im Jahr 1954 kamen weiße Schüler hinzu.

Wie aus "Vom Winde verweht"

Weiter geht es mit dem Bus über Brücken und Dämme, die Charleston mit flachen Inseln vor der Küste verbinden. "Die Inseln sind Gullah-Land", erklärt Miller. Sie gehören zum Gullah Geechee Cultural Heritage Corridor, einer küstennahen Kulturlandschaft im Atlantik, die von North Carolina bis in den Norden Floridas reicht und von der Nationalparkbehörde mitverwaltet wird.

Schließlich stoppt Miller vor einem weißen Herrenhaus mit Säulen. Die McLeod Plantation auf James Island wirkt, wie aus dem Südstaaten-Epos "Vom Winde verweht". Das Gelände ist von uralten Eichen umgeben, deren Äste sich wie ein Baldachin über sattgrünen Parkflächen wölben. In einem der Bäume hängt eine Glocke, mit der die Plantagenarbeiter einst zum Feierabend gerufen wurden.

"Zur Hochzeit arbeiteten auf der Plantage bis zu 250 Sklaven", sagt Al Miller. Sie wohnten in einfachen Holzhütten, von denen noch fünf erhalten sind. Die Schuppen gehören heute zu einem Freilichtmuseum. Sie bestehen aus einem engen Raum mit Kamin und knarrenden Dielen. Meist lebten mehrere Familien gleichzeitig darin. Die letzten Gullah zogen erst in den 1990er Jahren aus.

Stadtvillen in Charleston
Vorbei geht es auf der Tour auch an prächtigen Stadtvillen. © dpa / Jörg Michel/dpa-tmn

"Einige blieben auch nach ihrer Befreiung auf der Plantage, weil sie sich dort heimisch fühlten", berichtet der Guide und stoppt an einer unscheinbaren Wiese – dem Friedhof der Sklaven. Kein Stein oder Kreuz erinnert hier an die Toten. Jemand hat ein provisorisches Schild aufgestellt. "Heilige Grabstätte unserer afrikanischen Vorfahren", steht darauf mit krakeliger Handschrift.

Ort der Versöhnung

Zurück in Charleston setzt Miller die Gäste am berüchtigten Hafenkai Gadsden's Wharf ab. Während der Sklavenzeit landeten dort Abertausende Afrikaner an, bevor sie auf den 40 Sklavenmärkten der Stadt weiterverkauft wurden. Heute steht auf dem Gelände das 2023 neu eröffnete International African American Museum – das sich auch der Geschichte der Gullah widmet.

"Aus dem Ort der Schande ist ein Ort des Lernens und der Versöhnung geworden", meint Kuratorin Malika Pryor bei einer Führung. Das Museum ist das zweitgrößte seiner Art in den USA, es präsentiert Filme, Fotos und Multimedia-Installationen zur afroamerikanischen Geschichte. Gebaut wurde es auf Stelzen, damit es nicht den Grund berührt, der vielen Sklaven einst zum Verhängnis wurde.

Für die Gullah von heute ist das natürlich längst Geschichte - doch die Bemühungen um den Erhalt ihrer Kultur und Sprache sind es nicht. Korbflechter Corey Alston will jedenfalls alles dafür tun, dass auch seine Kinder das Handwerk erlernen und ihre Identität pflegen. Er ist überzeugt: "Wir Gullah sind robust. Das waren wir schon immer, und das werden wir auch in Zukunft sein."

Charleston Downtown
Die St. Michael's Anglican Church in Charleston Downtown. © dpa / Jörg Michel/dpa-tmn

Links, Tipps, Praktisches:

Reiseziel: Charleston ist die größte Stadt in South Carolina, das zu den Südstaaten der USA gehört. Die Hafenstadt am Atlantik war lange eine Drehscheibe des Sklavenhandels. Unter den rund 150.000 Einwohnern leben viele Afroamerikaner, von denen die meisten den Gullah angehören.

Beste Reisezeit: Das Klima ist in den Sommern schwül-heiß mit Tagestemperaturen von über 30 Grad. Moderater sind die Bedingungen im Frühjahr von März bis Mai und im Herbst von Oktober bis November.

Anreise: Umsteigeverbindungen nach Charleston mit dem Flugzeug, beispielsweise über New York, Washington oder Toronto.

Einreise: Deutsche Urlauber benötigen einen Reisepass und müssen unter https://esta.cbp.dhs.gov eine elektronische Einreiseerlaubnis einholen. Sie kostet 21 US-Dollar (ca. 18,30 Euro) und ist zwei Jahre lang gültig.

Unterkunft: Die Stadt bietet ein breites Angebot an Hotels, Bed and Breakfasts oder Privatunterkünften aller Preisklassen.

Touren/Aktivitäten: Für die beschriebene zweistündige Tour auf den Spuren der Gullah mit Al Miller von Insights Tours zahlen Erwachsene 40 Dollar, Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren 25 Dollar.

Der Eintritt zur MacLeod Plantation Historic Site, 20 Autominuten vom Stadtzentrum entfernt, beträgt regulär 20 Dollar (für Kinder 6 Dollar) und beinhaltet Führungen über das Gelände zu festen Zeiten.

Das International African American Museum kostet regulär 22,50 Dollar, Jugendliche zwischen sechs und 16 Jahren zahlen 10,50 Dollar, jüngere Kinder nichts.

Der Charleston City Market hat täglich geöffnet.

Währung: 1 Euro entspricht 1,16 USD (Stand: 25.06.2025).

Eichenallee auf der Boone Hall Plantation
Bei Führungen erfährt man auch auf der Boone Hall Plantation viel zur Gullah-Kultur. Bekannt ist ebenfalls die dortige Eichenallee. © dpa / Christopher Shane/ExploreCharleston/dpa-tmn

Weiterführende Informationen: discoversouthcarolina.com; charlestoncvb.com  © Deutsche Presse-Agentur