Aus welchem Material bestehen Sterne? Lange Zeit gab es auf diese Frage viele falsche Antworten – bis Cecilia Payne-Gaposchkin 1925 ihre Dissertation darüber schrieb. Sie wies nach, dass unsere Sonne und alle anderen Sterne im Universum zu über 90 Prozent aus Wasserstoff bestehen, der Rest fast ausschließlich aus Helium. Ihre Arbeit gilt bis heute als eine der bedeutendsten in der Geschichte der Astronomie.
Eine Anekdote fasst Cecilia Payne-Gaposchkins Charakter gut zusammen: Als junges Mädchen tarnte sie ein Buch von Platon mit einem Bibelumschlag, um ihre Lehrkräfte glauben zu lassen, sie studiere fromm die Heilige Schrift. Als man den Schwindel bemerkte, wurde sie der Schule verwiesen – und bestand dennoch die Abschlussprüfung mit Bravour.
Payne-Gaposchkin war eine geniale englisch-amerikanische Astronomin, die den Hürden einer männerdominierten Wissenschaft trotzte. Sie entdeckte die wahre Zusammensetzung der Sterne – und wurde 1956 schließlich als erste Frau an der Harvard Universität zur ordentlichen Professorin.
Frauen durften studieren, aber ohne akademischen Abschluss
Nach einem Astronomie-Vortrag an der Universität Cambridge im Jahr 1919 beschloss Payne-Gaposchkin, selbst Wissenschaftlerin zu werden. In ihrer Heimat England war das zu dieser Zeit aber kaum möglich: Frauen durften zwar studieren, doch bis 1948 bekamen sie keinen akademischen Abschluss. Frauen sollten, wenn überhaupt, Lehrerinnen werden.
Also wanderte sie mit 23 Jahren in die USA aus. An der Harvard Universität traf sie auf Harlow Shapely, den Direktor des Observatoriums der Universität, der ihr ein Stipendium ermöglichte.
Eine grandiose Fehleinschätzung
Die Harvard Universität verfügte zu dieser Zeit über das größte Archiv von Sternenspektren – Aufnahmen des Lichts von Sternen, das durch Prismen gebrochen wurde. Sie sind wie ein Fingerabdruck: Jedes Spektrum ermöglicht einzigartige Rückschlüsse auf die atomare Zusammensetzung von Objekten.
Vor Payne-Gaposchkins Entdeckung glaubte man, man könne diese Spektren mit denen aus Laborexperimenten vergleichen. Dabei kam fälschlicherweise heraus: Sterne bestehen aus Eisen, Silizium, Magnesium, Nickel und Aluminium.
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Unsere Sonne, und alle anderen Sterne im Universum, waren nach dieser Vorstellung riesengroße heiße Metallbälle – heute schwer vorstellbar, damals war es allerdings die allgemeine Annahme. Cecilia Payne-Gaposchkin, die an der Harvard Universität Quantenphysik studierte, widerlegte diese Theorie schließlich in ihrer Dissertation.
Leichte Elemente wie Wasserstoff und Helium wurden jahrzehntelang unterschätzt
Sie wusste: Das Spektrum eines Atoms hängt vom Zustand seiner Elektronen ab – und diese können bei großer Hitze und hohem Druck von den Atomen gelöst werden, also ionisieren. Sie verband dieses Wissen mit der damals neuen Saha-Gleichung, die vom indischen Physiker M. N. Saha entwickelt wurde. Diese beschreibt, wie sich Atome durch Temperatur und Druck verändern.
Ihre Schlussfolgerung: Leichte Elemente wie Wasserstoff und Helium erzeugen bei hoher Hitze kaum sichtbare Spektrallinien – und wurden deshalb jahrzehntelang unterschätzt.
Ihre Neuberechnung ergab: Sterne – auch unsere Sonne – bestehen zu etwa 90 Prozent aus Wasserstoff, der Rest ist fast nur Helium. Eine Erkenntnis, die vergleichbar mit der Entdeckung ist, dass die Erde eine Kugel ist oder sich um die Sonne dreht.
Cecilia Payne-Gaposchkin erhält als erste Frau den Doktortitel an der Havard Universität
Ihr Mentor, der renommierte Astronom Henry Norris Russell, war von ihrer Entdeckung so überrascht, dass er ihr davon abriet, sie öffentlich zu machen. Zu radikal, zu unmöglich, meinte er.
Vier Jahre später, im Jahr 1929, veröffentlichte er selbst eine Studie mit denselben Ergebnissen – er zitierte Payne-Gaposchkin zwar, aber ohne ihr die Entdeckung zuzuschreiben. Der Leiter des Observatoriums, Harlow Shapely, drängte sie daraufhin, in einem anderen Bereich der Astrophysik weiterzuforschen.
In ihrer Autobiografie schrieb sie später mild über Henry Russell: "Ich glaube, es ist ihm nie in den Sinn gekommen, dass er diejenigen, die unter ihm arbeiteten, ausbeuten könnte." Trotz allem: Im Jahr 1925 erhielt sie als erste Frau den Doktortitel von der Harvard Universität – der Beginn einer herausragenden wissenschaftlichen Karriere.
Forscherin und gleichzeitig ein Familienmensch
Im Jahr 1933 lernte sie während einer Europareise den russischen Astrophysiker Sergei Gaposchkin kennen. Aus Sorge um seine Sicherheit im nationalsozialistischen Deutschland verschaffte sie ihm ein Visum für die USA. 1934 heirateten sie und zogen nach Lexington, Massachusetts.
Das Paar bekam drei Kinder und forschte zeitlebens gemeinsam – vor allem zu Veränderlichen Sternen. Das sind Sterne, die Schwankungen in ihrer Helligkeit aufweisen, die nur mit Prozessen im Inneren der Sterne erklärt werden können. Ihre Studien gelten als Meilenstein in der Himmelsbeobachtung.
Im Jahr 1956 wurde Cecilia Payne-Gaposchkin die erste ordentliche Professorin an der Harvard Universität – und Leiterin des Astronomischen Instituts. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1979 blieb sie der Forschung treu.
Eine zynische Ehre
Neben ihren zahlreichen anderen Auszeichnungen erhielt Payne-Gaposchkin drei Jahre vor ihrem Tod die Henry-Norris-Russell-Auszeichnung – benannt nach dem Mann, der ihre Entdeckung einst für unmöglich hielt und später als seine eigene ausgab. Er hatte auch dafür gesorgt, dass sie nicht mehr in diesem Feld weiterarbeitete.
Ein unfaires Schicksal, das viele Wissenschaftlerinnen teilen. Die Herausgeberin von Cecilia Payne-Gaposchkins Autobiografie, Virginia Trimble, sagt: "Es ist verführerisch, zu fragen, was Cecilia noch alles entdeckt hätte, wenn sie ihre Arbeit über die Spektren 10, 20 oder 50 Jahre hätte fortführen können."
Verwendete Quellen
- Buch: Cecilia Payne-Gaposchkin: An Autobiography and Other Recollections Second Edition
- American Museum of Natural History: Cecilia Payne and the Composition of the Stars
- washingtonpost.com: Dr. Cecilia H. Payne-Gaposchkin Dies
- library.ucla: Cecilia Helena Payne-Gaposchkin
- smithsonianmag.com: A Century Ago, Pioneering Astrophysicist Cecilia Payne-Gaposchkin Showed Us What Stars Are Made Of