Bislang standen zwei Hauptgründe für den Verlust der biologischen Vielfalt im Fokus. Der Klimawandel wurde nun im Rahmen einer Studie als neue Hauptbedrohung eingestuft. Er gilt damit als dritte globale Hauptursache für das Artensterben.
Die beiden Hauptgründe für den Verlust der biologischen Vielfalt, die Übernutzung und Zerstörung von Lebensräumen, wurden bislang von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den Fokus gerückt. Und nicht der Klimawandel.
Eine aktuelle Studie, die im Fachmagazin "BioScience" veröffentlicht wurde, hat nun zu einer Neubewertung geführt. Dabei wurde der Klimawandel als dritte große Bedrohung für die Artenvielfalt auf der Erde identifiziert.
Mehr als 3.500 Tierarten vom Klimawandel bedroht
Lebensraum schwindet beispielsweise durch Rodung oder Landwirtschaft. Das ist der Studie zufolge allerdings nicht der einzige Grund, warum immer mehr Tier-, Pflanzen- und Pilzarten vom Aussterben bedroht sind.
William Ripple, renommierter Professor für Ökologie am OSU College of Forestry und Leiter der Studie, hat mit seinem Team herausgefunden, dass mehr als 3.500 Tierarten vom Klimawandel bedroht sind. Er zeigt zudem, dass es noch große Wissenslücken hinsichtlich der Risiken für das Tierreich gibt.
"Wir befinden uns in einer existenziellen Krise für die wilden Tiere der Erde."
Für ihre Studie hat das Forschungsteam insgesamt 70.814 Tierarten untersucht, die gemäß der von der International Union for Conservation of Nature (IUCN) veröffentlichten "Roten Liste" nach Klassen und Klimarisiken bewertet wurden. "Wir stehen am Beginn einer existenziellen Krise für die wildlebenden Tiere der Erde", so Ripple.
Besorgniserregender Kaskadeneffekt
Die Auswertung ergab, dass mindestens ein Viertel der Arten in sechs verschiedenen Klassen explizit vom Klimawandel bedroht sind. Waldbrände, Dürren und Überschwemmungen, aber auch steigende Wassertemperaturen, marine Hitzewellen und eine dadurch veränderte Nahrungskette bedrohen neben Spinnentieren, Hundertfüßern sowie Korallen und Seeanemonen vor allem Hydrozoen, also Nesseltiere.
"Wir sind besonders besorgt um wirbellose Tiere im Ozean, die den größten Teil der durch den Klimawandel verursachten Wärme absorbieren", sagte Ripple. Diese Tiere seien aufgrund ihrer eingeschränkten Bewegungsfähigkeit und ihrer Unfähigkeit, sich schnell aus ungünstigen Bedingungen zurückzuziehen, zunehmend gefährdet.
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Aufgrund intensiver Forschung ist inzwischen bekannt, dass sogenannte Kippelemente eines Klimasubsystems, wie beispielsweise das Aussterben einer Art, eine Reihe weiterer, bedeutender Ereignisse auslösen können. Dadurch entsteht ein gefährlicher Kaskadeneffekt.
"Die Kaskadeneffekte immer häufiger auftretender Massensterben werden wahrscheinlich Rückkopplungen im Kohlenstoffkreislauf hervorrufen und den Nährstoffkreislauf beeinflussen", sagte Ripple. "Diese Effekte werden sich voraussichtlich auch auf Wechselwirkungen zwischen Arten wie Räuber-Beute-Beziehungen, Konkurrenz, Bestäubung und Parasitismus auswirken – allesamt entscheidend für das Funktionieren von Ökosystemen."
Artensterben – aktuelle Zahlen:
- Weltweit gibt es schätzungsweise 8 bis 15 Millionen Tier- und Pflanzenarten. Bis Anfang 2025 waren davon rund 2,1 Millionen wissenschaftlich bekannt. Nur 170.000 Arten wurden genauer untersucht, um zu überprüfen, wie bedroht sie sind.
- Von diesen bewerteten Arten waren Anfang 2025 fast 20 Prozent der Wirbeltiere, etwa 25 Prozent der wirbellosen Tiere und rund 40 Prozent der Pflanzen gefährdet oder vom Aussterben bedroht.
- Die von der IUCN veröffentlichte "Rote Liste" zeigt, wie stark viele Tierarten bedroht sind. Anfang 2025 ergab sich folgendes Bild: Säugetiere: 1.363 Arten waren gefährdet. Das entspricht 22,6 Prozent aller bewerteten Säugetierarten. Amphibien (z. B. Frösche, Salamander): 90,4 Prozent aller bekannten Arten wurden bewertet. Von diesen war mehr als jede dritte Art bedroht (35,9 Prozent). Reptilien (z. B. Schlangen, Echsen): 17,9 Prozent der bewerteten Arten galten als bedroht. Fische: 14,0 Prozent der bewerteten Arten waren gefährdet. Vögel: Alle bekannten Vogelarten wurden bewertet. Gut jede neunte Art (11,7 Prozent) war gefährdet oder vom Aussterben bedroht.
Bereits 2021 habe eine Hitzewelle im Pazifischen Nordwesten in der Gezeitenzone zum Tod von Milliarden von Wirbellosen geführt. Der 90-prozentige Rückgang der Weichtierpopulationen entlang der israelischen Küste aufgrund steigender Wassertemperaturen zeige, wie anfällig Wirbellose seien, so Ripple weiter.
Massensterben ist nicht auf Wirbellose beschränkt
Der Kaskadeneffekt lässt sich auch bei anderen Tierarten beobachten: So starben in den Jahren 2015 und 2016 etwa vier Millionen Trottellummen (eine Vogelart) vor der Westküste Nordamerikas aufgrund einer veränderten Nahrungskette. Diese wurde durch eine extreme Hitzewelle im Meer verursacht.
Dieselbe Hitzewelle führte zu einem Rückgang des Pazifischen Kabeljaus um 71 Prozent. Marine Hitzewellen haben außerdem sehr wahrscheinlich eine Rolle beim Tod von etwa 7.000 Buckelwalen im Nordpazifik gespielt.
Kritik an bisheriger Klimarisikobewertung
William Ripple forderte im Rahmen der Studie, dass es "eine globale Datenbank zu Massensterben aufgrund des Klimawandels für Tierarten in allen Ökosystemen und eine Beschleunigung der Bewertung derzeit ignorierter Arten" geben müsse. Bislang sei die "Rote Liste" der gefährdeten Arten auf Wirbeltiere ausgerichtet, die weniger als sechs Prozent der benannten Tierarten der Erde ausmachen.
"Wir brauchen eine Integration der Biodiversitäts- und Klimapolitikplanung auf globaler Ebene."
"Unsere Analyse ist als vorläufiger Beitrag zur Bewertung der Klimarisiken für Wildtierarten zu verstehen", so Ripple. Besorgniserregend sei laut den Autoren die vergleichsweise geringe Menge an Informationen, die über die Risiken des Klimawandels für wildlebende Tiere gesammelt wurden. Die meisten Tiergruppen (66 von 101) wurden noch nicht von der IUCN bewertet, und die 70.814 bewerteten Arten machen nur 5,5 Prozent aller wildlebenden Tierarten aus, die heute leben.
"Es besteht auch Bedarf an häufigeren Klimarisikobewertungen für alle Arten und einer besseren Berücksichtigung der Anpassungsfähigkeit", sagte Ripple. Deshalb sein nachdrücklicher Aufruf: "Wir brauchen eine Integration der Biodiversitäts- und Klimapolitikplanung auf globaler Ebene."
Verwendete Quellen
- academic.oup.com: Climate change threats to Earth's wild animals
- iucnredlist.org: The IUCN Red List of Threatened Species
- Bundeszentrale für politische Bildung: Bedrohte Arten
- VDI: Dynamische Kaskadeneffekte und Rückkopplungen