Als approbierte psychologische Psychotherapeutin weiß Nike Hilber um die Relevanz der Entstigmatisierung von Psychotherapie. Um den Menschen dieses Thema barrierefrei und leicht verständlich zu vermitteln, ist ihr Sachbuch "Psychotherapie ohne Fachgedöns" erschienen.

Ein Interview

Im Interview ordnet Nike Hilber ein, warum wir über Psychotherapie sprechen und Narrative nicht wiederholen sollten. Darüber hinaus spricht sie über den Therapieplatzmangel und was diese Problematik mit ihr als Psychologin macht.

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Frau Hilber, warum müssen wir über Psychotherapie sprechen?

Nike Hilber: Studien zeigen seit Jahren, dass es immer mehr Fälle psychischer Erkrankungen gibt. Dementsprechend muss der Bedarf an Versorgung ausgebaut werden. Dazu gehört meiner Meinung nach eine fundierte Aufklärungsarbeit rund um psychische Störungen und ihre Behandlungsmöglichkeiten. Psychotherapie beschäftigt viele Menschen, gleichzeitig ist sie aber noch immer sehr stigmatisiert.

Wie erklären Sie sich diese Stigmatisierung?

Unter anderem aufgrund vehementer Vorurteile, die mitunter in den Medien oder in Film und Fernsehen über viele Jahre gezeichnet wurden. Mit psychischen Störungen verbinden viele Menschen schlimme Bilder, wie etwa Horrorszenarien von um sich schlagenden Menschen in einer psychiatrischen Gummizelle. Eben diese Bilder halten einige Menschen davon ab, eine Psychotherapie in Anspruch zu nehmen. Gleichzeitig ist Psychotherapie ein hochvertrauliches Setting, in dem die Schweigepflicht gilt. Dementsprechend dringen nur wenige Informationen nach außen, was wiederum bei einigen Menschen Ängste schürt. Aus diesem Grund halte ich es für wichtig, dass psychotherapeutische Verfahren, wie zum Beispiel die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, als wissenschaftlich fundierte und wirksame Behandlungsmethode mehr Anerkennung findet.

Wie können wir diese Stigmatisierung überwinden?

Indem wir darüber sprechen und die Narrative nicht wiederholen. So gelten etwa Menschen mit Schizophrenie häufig als gefährlich, was nicht stimmt. Häufig wird auch das Narrativ verbreitet, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen überdurchschnittlich gewalttätig seien, was ebenso wenig haltbar ist. Insofern gilt es über psychische Erkrankungen aufzuklären. Diesbezüglich konnte in den letzten Jahren schon viel bewegt werden: Immer mehr Menschen holen sich Hilfe – das ist eine sehr positive Entwicklung.

Mit Ihrem Buch "Psychotherapie ohne Fachgedöns" möchten Sie einen Beitrag zur Aufklärung und Entstigmatisierung leisten. Was steckt hinter dem "ohne Fachgedöns"?

Der Zusatz "ohne Fachgedöns" ist durch meine Arbeit auf Social Media entstanden. Ich selbst bin approbierte psychologische Psychotherapeutin mit tiefenpsychologisch fundiertem Schwerpunkt. Schon im Rahmen meiner Ausbildung habe ich festgestellt, dass viele Begriffe sehr wissenschaftlich, häufig nur schwer verständlich und demnach auf Hilfesuchende schnell abschreckend wirken können. Sowohl im Kollegium als auch in meinem Freundeskreis wurde mir dieser Eindruck bestätigt. In der Folge ist in mir zunehmend der Wunsch entstanden, diese Begriffe in verständlicher Sprache und trotzdem wissenschaftlich fundiert zu vermitteln. Wissen ist schließlich für alle da! So entstand der Hashtag #ohnefachgedöns, der inzwischen den Titel meines Buches ziert.

Wer sollte Ihr Buch lesen?

Wie auch auf Social Media möchte ich sowohl Betroffene, deren Angehörige, interessierte Laien als auch Kolleginnen und Kollegen aus anderen helfenden Berufen erreichen. Insofern eignet sich das Buch für Menschen, die noch nie mit Psychotherapie in Kontakt gekommen sind und einen Blick hinter die Kulissen werfen wollen. Ebenso eignet es sich aber auch für Menschen, die in Therapie sind oder in der Vergangenheit eine Therapie gemacht haben und bestimmte Abläufe expliziter verstehen wollen.

Gerade die Niedrigschwelligkeit der sozialen Medien ermöglicht einen tiefen Einblick in verschiedene Themen – birgt aber auch Gefahren, etwa durch Fehlinformationen. Was raten Sie Menschen, die möglicherweise durch konsumierte Inhalte Selbstdiagnosen tätigen?

Sobald eine Person den Verdacht hegt, selbst psychisch belastet zu sein, sollten die Symptome professionell eingeschätzt werden. Trotz begrenzter Therapieplätze ist ein Erstgespräch in der Regel immer möglich, auch wenn Betroffene geduldig sein müssen. Im Rahmen dieser psychotherapeutischen Sprechstunde kann eine professionelle Person eine erste Einschätzung bezüglich einer möglichen Diagnose geben.

Die von Ihnen angesprochenen begrenzten Therapieplätze spielen für viele Betroffene eine große – und frustrierende – Rolle …

So ist es und ich kann diesen Frust gut verstehen. Es wurde in den vergangenen Jahren eine Menge Aufklärungsarbeit geleistet. Dazu kommt der Effekt durch Social Media, der gewissermaßen wie ein Aufklärungs-Katalysator fungiert. In der Folge zeigen sich jetzt auch mehr Menschen bereit, sich psychotherapeutische Hilfe zu holen, doch der Therapieplatzmangel erschwert dieses Vorhaben. Umso dringender benötigen wir mehr Anlaufstellen. Doch die bestehenden Strukturen sind träge. Auch aus diesem Grund habe ich meinen Social-Media-Kanal ins Leben gerufen, um auf diese Problematik aufmerksam zu machen.

Was macht es mit Ihnen als Therapeutin, dass so viele Betroffene keinen Therapieplatz bekommen oder monatelang auf diesen warten müssen?

Es macht mich wütend. Die BPtK (Bundes Psychotherapeuten Kammer; Anm. d. Red.) weist seit Jahren darauf hin, dass wir mehr Therapieplätze benötigen. Doch diesbezüglich passiert relativ wenig. Die Bedarfsplanung für die Kassensitze wurde bereits in den Neunzigerjahren festgelegt, doch insbesondere in Ballungsräumen reicht sie nicht mehr aus, um die Versorgung aufrechtzuerhalten. Dementsprechend macht die Verzweiflung vieler Menschen natürlich etwas mit mir. Denn ich muss Patientinnen und Patienten, die einen Therapieplatz suchen, immer wieder absagen und vertrösten, weil die Kapazitäten ausgeschöpft sind.

Was können Menschen, die auf einen Platz in der Psychotherapie warten, tun?

Tatsächlich lautet mein Rat: dranbleiben! Ich ermutige dazu, in regelmäßigen Abständen bei den Psychotherapeuten und -therapeutinnen anzurufen und das Interesse für einen Therapieplatz zu bekunden. Mir ist bewusst, dass das sehr herausfordernd sein kann – vor allem dann, wenn eine Person ohnehin psychisch belastet ist. Dennoch sehe ich im Dranbleiben das A und O.

Was raten Sie Menschen, die keinen Psychotherapieplatz haben, sich aber in einer sehr verzweifelten Situation befinden?

Betroffene sollten dann zum Beispiel den Krisendienst anrufen. Diese Dienste sind bundesweit aktiv und rund um die Uhr kostenlos erreichbar. Hier wird einem niederschwellig weitergeholfen. Alternativ kann auch die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes gewählt werden. Bei akuten Suizidgedanken, kann man auch zur nächstgelegenen Psychiatrie fahren oder sich fahren lassen.

Über die Gesprächspartnerin

  • Nike Hilber ist Psychologin und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapeutin. In der psychodynamischen Psychotherapie sieht sie das Potenzial, sowohl psychische Erkrankungen erfolgreich zu behandeln als auch, dank ihrer Nähe zur Psychoanalyse, gesellschaftspolitische Prozesse unter die Lupe zu nehmen. Seit 2018 ist Nike Hilber wissenschaftsjournalistisch auf Instagram unter @la_psychologista aktiv. Dort macht sie ihre Inhalte unter dem Hashtag #ohnefachgedöns einem breiten Publikum zugänglich. Im März ist ihr Sachbuch "Psychotherapie ohne Fachgedöns" erschienen.