Forschende haben erstmals das beeindruckende Jagdverhalten von Europas größter Fledermausart, dem Riesenabendsegler, dokumentiert: Er stürzt sich im Flug von oben auf seine Beute und verschlingt diese noch in der Luft. Dieses Vorgehen bezeichnet das Forschungsteam als "etwas Außergewöhnliches".
Mit einer Körperlänge bis zu zehn Zentimetern und einer Flügelspannweite bis zu knapp einem halben Meter gilt der Riesenabendsegler (Nyctalus lasiopterus) als die größte Fledermausart Europas. Das Besondere: Im Gegensatz zu anderen Arten ernährt sie sich nicht ausschließlich von Insekten, sondern jagt auch Singvögel.
Spanische Fledermausforscher fanden das bereits vor fast 25 Jahren heraus, als sie im Kot der Art Federn entdeckten. Da der Riesenabendsegler Insekten im Flug fängt und frisst, gingen die Forscher davon aus, dass er das auch mit Vögeln macht. Die Annahme wurde in Wissenschaftskreisen allerdings mit Skepsis betrachtet – schließlich sind einige Vögel fast halb so schwer wie die Fledermäuse selbst.
Jetzt ist es einem internationalen Forschungsteam gelungen, das besondere Jagdverhalten zu dokumentieren und damit die Hypothese zu bestätigen. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift "Science" veröffentlicht.
Biologger zeigen Jagdtechnik von Europas größter Fledermausart
Das Team unter der Leitung von Laura Stidsholt von der Universität Aarhus sowie Carlos Ibáñez und Elena Tena von der Biologischen Station Doñana befestigte kleine "Rucksäcke" mit sogenannten Biologgern (elektronische Geräte zur Erfassung und Aufzeichnung von Daten) an 14 Riesenabendseglern in Spanien, um die Annahme zu überprüfen.
Und tatsächlich: Unter den mehr als 600 erfassten Jagdflügen der mit Sendern ausgestatteten Fledermäuse stachen zwei hervor, heißt es in einer Mitteilung zu Studie. Sie flogen nachts hoch in den Himmel und starteten dann Angriffe auf Singvögel, die sie in steilen, rasanten Sturzflügen in Richtung Boden verfolgten.
Die Singvögel führten "wilde Ausweichmanöver wie Loopings und Spiralen" aus – was sie zu einer schweren Beute macht. Eine Fledermaus habe die Jagd nach 30 Sekunden aufgegeben, berichten die Forschenden. Die zweite allerdings war erfolgreich: Sie habe ein Rotkehlchen in Bodennähe nach fast dreiminütiger Verfolgung gefangen.
Beute wird noch in der Luft verschlungen
Das Mikrofon des Biologgers habe 19 Rufe des verfolgten Vogels aufgezeichnet, gefolgt von 23 Minuten deutlich vernehmbaren Kaugeräuschen der Fledermaus, die noch immer in geringer Höhe geflogen sei, so die Forschenden. Außerdem wurden unter den Jagdgebieten der Fledermäuse Flügel von Singvögeln gefunden, die das Team mit Röntgen- und DNA-Analysen untersuchte.
Aus diesen lässt sich schließen, dass die Vögel mit einem kräftigen Biss getötet und ihnen die Flügel abgebissen wurden. Das hätten die Fledermäuse wahrscheinlich gemacht, um Gewicht und Luftwiderstand zu reduzieren, so die Vermutung. Zudem geht das Forschungsteam davon aus, dass die Fledermäuse die Membran zwischen ihren Hinterbeinen wie einen Beutel nach vorne stülpen und ihre Beute im Flug verspeisen.
"Ein solcher Vogel wiegt etwa halb so viel wie die Fledermaus selbst – das wäre so, als würde ich beim Joggen ein 35 Kilogramm schweres Tier fangen und essen."
Studienleiterin Stidsholt bezeichnet dieses Jagdverhalten als "faszinierend": "Ein solcher Vogel wiegt etwa halb so viel wie die Fledermaus selbst – das wäre so, als würde ich beim Joggen ein 35 Kilogramm schweres Tier fangen und essen."
Elena Tena, eine der Hauptautorinnen der Studie, beschreibt die Tonaufnahme der erfolgreichen Jagd auf einen Singvogel als intensiven Moment: "Es weckt zwar Mitgefühl für die Beute, aber es ist Teil der Natur. Wir wussten, dass wir etwas Außergewöhnliches dokumentiert hatten." Sie habe es sich mehrmals anhören müssen, "um vollständig zu begreifen, was wir aufgenommen hatten". Für das Team habe dies bestätigt, "wonach wir so lange gesucht hatten".
Riesenabendsegler in vielen Regionen vom Aussterben bedroht
Die größte Fledermaus Europas ist in weiten Teilen des Kontinents zu Hause, von der Iberischen Halbinsel über Mittel- und Osteuropa sogar bis nach Asien ist sie zu finden. In vielen Regionen ist sie allerdings vom Aussterben bedroht.
Christian Voigt, Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung, appelliert, Zugvögel und deren Fressfeinde zu schützen. "Für die Riesenabendsegler bedeutet dies insbesondere den Erhalt von natürlichen Wäldern mit alten Bäumen, die reich an Höhlen sind."
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Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels wurde berichtet, dass auch die Wasserfledermaus eine der größten Arten Europas ist. Richtig ist, dass die Wasserfledermaus eine mittelgroße Art ist.
Verwendete Quellen
- Pressemitteilung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung: "Auf frischer Tat ertappt: Europas größte Fledermaus jagt und verzehrt Singvögel in der Luft"
- Studie in "Science": Greater noctule bats prey on and consume passerines in flight
- Carl von Ossietzky Universität Oldenburg: "Riesenabendsegler - Nyctalus lasiopterus"