Zum ersten Mal ist es Forschern gelungen, die tödliche Huntington-Krankheit erfolgreich zu behandeln. Eine neue Gentherapie verlangsamte das Fortschreiten der Erkrankung um 75 Prozent – ein Ergebnis, das die Forschenden zu Tränen rührte.
Wissenschaftlern ist ein historischer Durchbruch bei der Behandlung der Huntington-Krankheit gelungen. Laut einer Pressemitteilung der University College London (UCL) zeigten Patienten, die eine neue Gentherapie erhielten, 75 Prozent weniger Krankheitsfortschritt im Vergleich zu unbehandelten Betroffenen.
Es ist das erste Mal, dass eine Therapie das Fortschreiten der tödlichen Erbkrankheit statistisch signifikant verlangsamen konnte. Die Ergebnisse bewegten das Forschungsteam so sehr, dass sie laut BBC während der Präsentation der Daten zu Tränen gerührt waren.
"Wir hätten in unseren kühnsten Träumen nie eine 75-prozentige Verlangsamung der klinischen Progression erwartet", sagte Professorin Sarah Tabrizi, Leiterin des UCL Huntington Disease Centre, der BBC.
Hoffnung für Tausende Betroffene
Die Huntington-Krankheit betrifft allein in den USA und Europa etwa 75.000 Personen. Es gibt starke regionale Unterschiede: Die Erbkrankheit kommt in europäischen Bevölkerungen deutlich häufiger vor als in asiatischen oder afrikanischen. Sie wird durch eine einzelne Genmutation verursacht und führt zu einer fortschreitenden Zerstörung von Gehirnzellen. Kinder von Betroffenen haben eine 50-prozentiges Risiko, die Mutation zu erben.
Was ist die Huntington-Krankheit?
- Die Huntington-Krankheit ist eine seltene, erblich bedingte Erkrankung des zentralen Nervensystems. Im Verlauf der Krankheit kommt es zu einer zunehmenden Schädigung von Nervenzellen.
- Neben unkontrollierbaren Bewegungen und Gleichgewichtsstörungen kommt es zu kognitiven Problemen (etwa Schwierigkeiten bei Planung, Konzentration, Entscheidungsfindung) sowie psychiatrischen Symptomen (zum Beispiel Depressionen, Angstzustände, Reizbarkeit).
- In Deutschland sind schätzungsweise 8.000 bis 12.000 Menschen von der Huntington-Krankheit (HK) betroffen. In Österreich und der Schweiz sind es jeweils etwa 400 bis 800 Personen.
- Die Krankheit wird auch als Huntingtonsche Erkrankung bezeichnet; ältere Bezeichnungen sind Chorea Huntington oder erblicher Veitstanz. Im Englischen lautet der Fachbegriff Huntington’s Disease (HD).
- Eine Heilung ist bislang nicht möglich, und die Krankheit schreitet kontinuierlich fort. Für die Betroffenen und ihre Familien bedeutet das, die täglichen Herausforderungen über viele Jahre, teils sogar Jahrzehnte, zu bewältigen.
Eine Heilung für die Huntington-Krankheit gibt es bisher nicht. Die meisten Patienten erkranken laut der Deutschen Hirnstiftung zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr. Wie schnell der Krankheitsverlauf voranschreitet, ist allerdings von Person zu Person sehr unterschiedlich. Auch die Ausprägung der jeweiligen neurologischen und psychiatrischen Symptome kann sehr unterschiedlich sein. Letztlich führt die Krankheit nach meist langer Pflegebedürftigkeit zum Tod.
Die aktuelle Studie bietet vielen Betroffenen und ihren Familien daher Hoffnung – auch wenn die Behandlung keine Heilung verspricht, sondern lediglich eine Verlangsamung der Krankheit.
Komplexe Gentherapie direkt im Gehirn
Die Behandlung namens AMT-130 wurde vom niederländisch-amerikanischen Unternehmen uniQure entwickelt. Wie die UCL-Forscher berichten, handelt es sich um die erste Gentherapie, die bei Menschen mit Huntington getestet wurde.
Die Therapie erfordert eine 12 bis 18 Stunden dauernde Gehirnoperation. Wie das Forscherteam der BBC erklärte, werden dabei mithilfe von Echtzeit-MRT-Aufnahmen winzige Katheter zu den betroffenen Gehirnregionen geführt. Ein harmloses Virus transportiert dann neue DNA-Anweisungen, welche über sogenannte iRNA zum Huntington-Eiweiß-Abbau führt, in die Nervenzellen. Das Gen selbst wird dabei nicht verändert.
Nachweis der Wirksamkeit durch Biomarker
Die UCL-Wissenschaftler konnten die Wirksamkeit durch biologische Marker belegen. Sie maßen die Konzentration von Neurofilament-Proteinen in der Rückenmarksflüssigkeit – diese werden freigesetzt, wenn Nervenzellen geschädigt werden. Normalerweise steigen diese Werte bei Huntington-Patienten innerhalb von drei Jahren um 20 bis 30 Prozent an. Bei den behandelten Patientinnen und Patienten sanken sie jedoch sogar.
Die Studie umfasste 29 Teilnehmer, von denen zwölf eine hohe Dosis erhielten und vollständige 36-Monats-Daten lieferten. Die teilnehmenden Patienten kamen aus den USA, Großbritannien und Polen. Laut UCL wurde die Krankheitsprogression anhand der Unified Huntington's Disease Rating Scale gemessen, die motorische, kognitive und funktionale Aspekte berücksichtigt.
Zulassung und hohe Kosten erwartet
UniQure plant Anfang 2026 einen Zulassungsantrag bei der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA zu stellen. Anträge in Europa sollen folgen. Professor Ed Wild von der UCL warnte jedoch im Gespräch mit der BBC, dass die Behandlung "sicher teuer" werde, denn Gentherapien kosten oft Millionen.
Doch auch er äußerte sich in der Pressemitteilung der Universität sehr euphorisch: "Dieses Ergebnis verändert alles. Aufgrund dieser Resultate scheint es wahrscheinlich, dass AMT-130 die erste zugelassene Behandlung zur Verlangsamung der Huntington-Krankheit sein wird – das ist wirklich weltverändernd."
Huntington-Experte: "Daten gehen in die richtige Richtung"
Auch Carsten Saft, Leiter der Huntington–Ambulanz des Huntington Zentrums NRW, spricht im Gespräch mit unserer Redaktion von "sehr positiven Ergebnissen". Der Neurologe mahnt jedoch zur Vorsicht, da noch nicht alle Daten der Studie veröffentlicht sind. Zudem stammen die durchgeführten Studien von verschiedenen Patientengruppen, die wiederum verschieden lang beobachtet wurden, wie auf der Webseite von uniQure einzusehen ist. "Es ist mir nicht ganz klar, wie viele Patienten in die Analyse mit eingegangen sind. Jedoch scheinen die Daten insgesamt in die richtige Richtung zu gehen", sagt der Experte.
Besonders interessant findet er, dass es den Forschern wohl gelungen ist, eine Reduzierung von Neurofilament (NFL) im Nervenwasser um acht Prozent zu erreichen. Dabei handelt es sich um ein Eiweiß im Gehirn, das erhöht ist, wenn Nervenzellen geschädigt werden – wie es bei Huntington oder beispielsweise auch einem Schlaganfall der Fall ist.
"Bei der Huntington-Erkrankung ist das NFL schon Jahre vor dem Ausbruch erhöht und steigt im Verlauf an", erklärt Saft. Die deutliche Reduzierung von NFL zeige, "dass es hier einen echten Effekt gibt, der schützend ist". Wie stark dieser jedoch wirklich ist, sei aufgrund dieser Daten noch schwierig zu beurteilen, "aber es macht Hoffnung", so der Neurologe.
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Pläne für Präventionsstudien
Professorin Tabrizi von der UCL arbeitet bereits an der nächsten Phase: Laut BBC plant sie die erste Präventionsstudie mit jungen Menschen, die das Gen tragen, aber noch keine Symptome zeigen. Ziel sei es herauszufinden, ob die Krankheit erheblich verzögert oder sogar vollständig gestoppt werden kann.
"Dies ist der Beginn", sagte Tabrizi und fügte hinzu, dass die Gentherapie "die Tore für Therapien öffnen wird, die mehr Menschen erreichen können". Von einer Heilung kann man allerdings noch nicht sprechen.
Über den Gesprächspartner
- Prof. Dr. Carsten Saft ist Leiter der Huntington–Ambulanz des Huntington Zentrums NRW in Bochum und federführender Autor der Leitlinien zur Behandlung "Morbus Huntington / Chorea" der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) für den deutschsprachigen Raum.
Verwendete Quellen
- Telefonat mit Prof. Dr. Carsten Saft
- ucl.ac.uk: Gene therapy appears to slow Huntington's disease progression
- bbc.com: Huntington's disease successfully treated for first time
- uniqure.com: Huntington’s Disease
- Webseite der Deutschen Huntington-Hilfe e.V.
- hirnstiftung.org: Huntington-Krankheit