Die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz vollzieht sich in atemberaubendem Tempo. Das betrifft Sprachmodelle genauso wie Videos. Aber es zeichnet sich jetzt schon ab, dass die Macher der KI möglicherweise die Rechnung ohne die Nutzer gemacht haben. Denn die Aufmerksamkeit ist ein knappes Gut, das wir jetzt schon kaum noch haben. Und der Überraschungseffekt von immer neueren, immer besser gemachten KI-Videos nutzt sich ab – bis zu dem Punkt, an dem man einfach nur noch genervt zum Buch greifen möchte.

Bob Blume
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Bob Blume dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

In den letzten Tagen habe ich Videos davon gesehen, wie Stephen Hawking, der weltbekannte britische Physiker, in seinem Rollstuhl auf einer riesigen Skateboard-Rampe mit Raketenantrieb Tricks macht, wie er bei einem Autorennen mitfährt und beim Wrestling mit einem Gabelstapler in den Ring geschmissen wird. Realistische Bilder, dazu Sportkommentatoren, die das Ganze enthusiastisch beschreiben.

Nichts davon ist echt. Natürlich nicht. Denn erstens stehen physikalische Gesetze solchen Stunts generell im Weg, zweitens saß Stephen Hawking im Rollstuhl und drittens ist er mittlerweile auch schon seit sieben Jahren tot.

Kaninchen auf dem Trampolin

Bevor man darüber spricht, wie solche Videos wirken, muss man objektiv festhalten, wie unglaublich schnell die Entwicklung gegangen ist. Schaut man sich heute das im Jahr 2023 virale KI-Video des Spaghetti essenden Will Smith an, ist das absurd künstlich. Und dämonisch, wie es damals schon hieß. Man erkennt zwar, wer hier dargestellt werden soll, aber die Gesichtszüge verändern sich laufend und verrutschen ins Monströse.

Zwei Jahre später gibt es Videos, die so echt erscheinen, dass man auch nach mehrmaligem Hinschauen nicht weiß, ob es sich um echte Aufnahmen handelt. Schon im Sommer dieses Jahres sorgte ein entsprechendes Video für Aufmerksamkeit und Irritation. Innerhalb von Tagen erreichte ein Video, das scheinbar Kaninchen zeigt, die auf einem Trampolin hüpfen, über 220 Millionen Aufrufe und mehr als 22 Millionen Likes auf TikTok. Die niedlichen Szenen lösten eine Welle von Kommentaren und Reactions aus. Viele hielten das Video zunächst für eine echte Aufnahme aus einer Überwachungskamera.

Überall KI-Videos

Seitdem kommt man an KI-Videos nicht mehr vorbei. Und ich gebe zu: Die Straßenumfragen, in denen (KI-generierte) Passanten in Frankfurt die Relativitätstheorie erklären oder Bauarbeiter die Notwendigkeit eines radikalen Feminismus, haben schon humoristisches Potenzial.

Auf der anderen Seite verschieben sich Grenzen. Zelda Williams, die Tochter des Schauspielers Robin Williams, bat jüngst die Fans, keine KI-Filme mehr zu erstellen: "Wenn ihr etwas Anstand habt, hört auf, ihm und mir das anzutun." Sie kritisierte die TikTok-Slops als Inhalte mit niedriger Qualität, die sich nun sehr einfach produzieren lassen. Und die das Netz überfluten.

Ich als Papst

Und als wenn das alles nicht genug wäre, hat Open AI, jene Firma also, die mit ChatGPT den KI-Hype auslöste, nun mit Sora 2 vor, die KI-Generierungsindustrie auf ein neues Level zu heben. Im Grunde ist Sora 2 eine App für Deepfakes, mit der sich jeder seine individuellen Träume zumindest virtuell erfüllen kann: Mal Papst sein und auf dem Balkon des Petersdoms zu seinen Anhängern sprechen, als Stürmer für Barcelona das entscheidende Tor in der Champions League schießen, ein Gangster, Rapper oder gar König von Deutschland sein? Alles möglich. Und weil das Ganze ja "sozial" sein soll, kann man seine "Freunde" gleich mit in seine Fantasiewelt nehmen. Was soll da schon schiefgehen?

Da könnte man über sehr viele Themen sprechen: Darüber, wie jetzt schon Leute mit KI diskreditiert werden. Wie Mobbing in der Hosentasche auf ein neues Level gehoben wird. Wie Menschen manipuliert werden können, von einem Enkeltrick 2.0 bis zu politischen Fakes in großem Stil. Das sind alles Diskussionen, die geführt werden müssen – und auch schon werden.

Noch realistischer? Gähn

Aber mein eigentlicher Punkt hier ist ein anderer: Was genau haben die Macher von KI eigentlich für ein Menschenbild, wenn sie meinen, dass es der größte Wunsch der Massen ist, sich dauernd in Action-Film-Bewegtbilder zu morphen?

Ich schließe nicht aus, selbst naiv zu sein, was mein Menschbild angeht. Aber was die momentane Entwicklung von KI im Segment Unterhaltung angeht, bin ich vor allem eins: gelangweilt! Was als der neueste heiße Scheiß präsentiert wird, ist vor allem eins: scheiße langweilig. Ein Netzwerk, in dem jeder alles sein kann in einem kurzen Video. Wow! Das ist ungefähr so spannend wie das neueste iPhone. Wissen Sie, warum Sie das kaufen sollten? Ich auch nicht.

Und wenn ich schon naiv bin, dann denke ich das weiter: Vielleicht helfen die KI-Techno-Milliardäre unfreiwillig dabei, dass ein Teil der Bevölkerung zur Besinnung kommt und sich fragt, ob es wirklich die beste Beschäftigung im Leben ist, toten Physikern im Rollstuhl beim doppelten Backflip zuzuschauen.

Ich will es nicht gleich übertreiben, aber so ein Buch, also diese Blätter, die schaffen all das, was uns als irre Neuigkeit verkauft wird, schon seit ein paar hundert Jahren. Alles ist möglich! Und dazu gibt es noch Wissen und Differenzierung gratis dazu. Und fast meditative Ruhe. Ich gebe zu, jetzt ist der Lehrer aus mir rausgebrochen. Man verzeihe mir.

Empfehlungen der Redaktion

Aber jeder, der es geschafft hat, seine Aufmerksamkeit bis zur letzten Zeile dieses Textes zu fokussieren, stimmt wahrscheinlich zu, dass das Leben zu kurz dafür ist, stundenlang absurde Video-Snippets zu konsumieren. Meint ihr, liebe Sam Altmans, Elon Musks, Peter Thiels und Mark Zuckerbergs dieser Welt, ihr könntet uns alles aufquatschen? Da kann ich nur mit einem philosophischen Aphorismus antworten, der einst ein physisches Technik-Geschäft bewarb: "Ich bin doch nicht blöd."