Erst ein paar wütende Kommentare, dann steigert sich die Empörung – und plötzlich ist er da, der Shitstorm. Wie kommt es zu solchen digitalen Wutausbrüchen einer anonymen Masse und wie kann man einen Shitstorm möglicherweise verhindern?

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Der Sportreporter Frank Buschmann, Schauspieler Christian Ulmen, die Redaktion des Magazins "Eltern", Sänger Sam Smith, Moderatorin Annemarie Carpendale, CDU-Rechtsaußen Erika Steinbach und das Freilichtmuseum Hessenpark: Sie alle standen in den letzten Tagen und Wochen im Zentrum eines virtuellen Wirbelsturms, dem sogenannten Shitstorm.

Doch der Shitstorm wurde jeweils aus ganz unterschiedlichen Gründen entfacht. Mal ging es um einen Oscar-Gewinn, den andere Fans unfair fanden, mal um ein Magazin, von dessen Titelbild - eine Mutter mit Kopftuch - sich Rechte provoziert fühlten, dann wieder um einen vermeintlichen sexistischen Kommentar sowie um Zustimmung für Angela Merkels Flüchtlingspolitik.

Die Personen, die Redaktion und das Museum wurden zur Zielscheibe des geballten Zorns der Nutzer. Viele bombardierten vor allem deren Facebook-Seiten mit kritischen Kommentaren, manche pöbelten, andere sprachen sogar Morddrohungen aus, gegen die "Eltern"-Chefredakteurin.

Eine kritische Masse vernetzter Akteure

Braut sich ein Shitstorm zusammen, können verschiedene Ursachen dahinterstecken. Die Empörung wird oft gezielt von Kritikern angezettelt. Sie kann aber auch durch einen kritischen Kommentar oder ein Versehen ausgelöst werden.

Oft reicht ein einziger Facebook-Eintrag, um geballte Empörung vieler Nutzer heraufzubeschwören. Ein Merkmal des Shitstorms ist das lawinenartige und plötzliche Auftreten negativer Kommentare bei Facebook, Twitter oder in Kommentaren auf Webseiten.

Die User schießen sich auf ein Ziel ein, schreiben zornige und aggressive Einträge und leider viel zu oft auch Beleidigungen und menschenverachtende Hetze.

Aber wie entsteht ein Shitstorm, was muss passieren, damit sich so viele Menschen auf ein Thema stürzen und ihren Unmut im Netz mitteilen?

Der Social-Media-Experte Thomas Zorbach von der Berliner Agentur "VM-People" erklärt: "Es braucht erstens einen konkreten Anlass, beispielsweise ein offenkundiges Fehlverhalten eines Unternehmens oder enttäuschte Erwartungen auf Seiten der Kunden. Zweitens, eine kritische Masse vernetzter Akteure, die sich zeitnah und lautstark in den sozialen Medien darüber empören. Und drittens einen Redakteur eines Leitmediums, der das Thema aufgreift und darüber berichtet. Fertig ist der Shitstorm!"

Von Windstille bis zum Orkan

Das Ziel der empörten Schreiber: Sie wollen zeigen, dass sie Recht haben, und sie möchten die Zielscheibe des virtuellen Sturms zwingen, das wahrgenommene falsche Verhalten zu korrigieren. Dazu üben sie maximalen Druck aus.

Der Entrüstungssturm kann alle treffen, ob Personen, Redaktionen und Firmen. Der Begriff Shitstorm bezeichnet nur im Deutschen ein solches Internetphänomen, er wurde 2011 zum Anglizismus des Jahres gewählt.

Im englischsprachigen Raum ist mit dem Wort einfach eine unangenehme oder chaotische Situation gemeint. Die Hetze im Netz heißt dort "Online firestorm".

Die Entwicklung eines Shitstorms kann man sogar kategorisieren, auf einer Skala von Null bis Sechs.

Null bedeutet Windstille: Es gibt "keine kritischen Rückmeldungen", also auch keinerlei Empörung. Sechs dagegen steht für einen Orkan, für "ungebremsten Schneeballeffekt mit aufgepeitschtem Publikum. Tonfall mehrheitlich aggressiv, beleidigend, bedrohend".

Diese Skala haben die Schweizer Social-Media-Experten Barbara Schwede und Daniel Graf entwickelt.

Nicht aus dem Affekt heraus handeln

Doch was ist die richtige Reaktion auf einen Shitstorm? Wie schafft man es, dass sich der Orkan beruhigt und wieder nur ein laues Lüftchen weht?

Zorbach erklärt: "Auf gar keinen Fall sollte man aus dem Affekt heraus handeln. Stattdessen sollte man als Kommunikationsverantwortlicher erst einmal tief durchatmen und sich einen Überblick über den Sachverhalt verschaffen und diesen möglichst genau analysieren."

Ganz falsch wäre es zu versuchen, die Kritik abzuwürgen, denn das geht nach hinten los. Diesen Fehler hatte Nestlé 2010 gemacht, und einen gigantischen Shitstorm geerntet.

Die Umweltorganisation Greenpeace hatte in einem drastischen Video gezeigt, dass für die Gewinnung von Palmöl in Nestlés Kitkat-Riegeln die Lebensräume von Orang-Utans zerstört werden. Nestlé wollte das Video verbieten lassen, doch gerade das das heizte die Empörung gegen den Nahrungsmittelproduzenten erst recht an.

Wer hat die Empörung losgetreten?

"Um die richtige Interventionsmaßnahme ergreifen zu können, sollte man nicht nur versuchen, die Ursache der Empörungswelle zu verstehen, sondern auch wissen, von wem sie losgetreten wurde", sagt Social-Media-Experte Zorbach. "Es ist beispielsweise ein großer Unterschied, ob hinter dem Shitstorm enttäuschte Kunden, vernetzte Aktivisten oder Trolle stecken."

Ideal ist es, so schnell wie möglich lösungsorientiert auf die Kritik zu antworten. Eine Firma etwa sollte umgehend signalisieren, dass sie das Problem ernst nimmt und sich darum kümmert.

Fatal dagegen ist es, gar nicht zu reagieren und zu hoffen, dass sich der Sturm verzieht – das stachelt die Kritiker nur noch mehr an. Im Fall von rassistischer Hetze sollte eine Redaktion oder Person klar dagegen Stellung beziehen.

Am besten ist es allerdings, wenn der Shitstorm von vornherein verhindert werden kann. Was man präventiv dagegen tun kann, erläutert Zorbach: "Im Idealfall springen bei einem Shitstorm wohlgesonnene Fürsprecher ein und weisen unflätige Pöbler in die Schranken, so dass das betroffene Unternehmen gar nicht immer selbst aktiv werden muss."

Doch dafür braucht man eine solche wohlwollende Fan-Basis: "Um dafür die Voraussetzungen zu schaffen, empfiehlt es sich, frühzeitig ein stabiles Beziehungs- bzw. Fan-Netzwerk zu knüpfen, das einen im Krisenfall auffängt. Das klappt am besten mit einem offenen, wertschätzenden und empathischen Dialog mit seinem Publikum."

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