Kann eine Spätfolge von Corona tatsächlich Unfruchtbarkeit sein? In den sozialen Medien wird das Thema heiß diskutiert. Was wir vom jetzigen Stand der Forschung wissen.

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Unter dem Hashtag #HodenCOVID gab es auf dem Kurznachrichtendienst Twitter eine rege Diskussion über das Thema männliche Fruchtbarkeit und SARS-CoV-2. Müssen wir im Rahmen der Pandemie um unsere Fortpflanzungsfähigkeit bangen?

Um mögliche Antworten auf die Frage zu finden, ob das Coronavirus SARS-CoV-2 auch die männlichen Fortpflanzungsorgane betreffen könnte, hilft ein Blick darauf, wie sich das Virus im Körper verbreitet:

SARS-CoV-2 gelangt über eine Tröpfcheninfektion in Nase oder Hals. Im Körper kann es sich danach über sogenannte ACE-2-Rezeptoren weiter vermehren. Bei ACE-2 (Angiotensin-konvertierendes Enzym 2) handelt es sich um ein biologisch aktives Eiweiß, das in Zellen unter anderem der Lungen vorkommt und die Zielstruktur von SARS-CoV-2 ist.

Gelangt das Virus an die Aufnahmestelle (Rezeptoren) von ACE-2 an der Oberfläche einer Zelle, kann es an diese andocken und in sie eindringen.

Hat das Virus das Zellinnere erreicht, wird sie zur Wirtszelle. Über das Erbgut von SARS-CoV-2 entstehen in der Zelle dann so viele Virenklone, bis die Zelle zerstört ist. Dann treten die neuen Viren aus und können das umliegende Gewebe befallen.

Studie: Männer können häufiger erkranken

Eine Studie legt nahe, dass Männer allgemein über mehr ACE-2-Rezeptoren verfügen als Frauen. Deshalb könnten sie häufiger an COVID-19 erkranken. Die Rezeptoren finden sich im Körper unter anderem auch an Herz, Gehirn und Hoden. Deshalb wäre denkbar, dass SARS-CoV-2 auch die männlichen Fortpflanzungsorgane befallen kann.

Forscher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen und der US-amerikanischen Cornell University haben zelluläre Faktoren für die Ausbreitung von SARS-CoV-2 im Körper untersucht. Ihrem Ergebnis zufolge könnten Hoden, Nieren und Darm, aber auch die Plazenta sogar "Hotspots" sein. In ihrem Gewebe seien die ACE-2-Rezeptoren in Kombination mit einem weiteren Enzym so ausgerichtet, dass der virale Eintritt besonders erleichtert wird.

Wirkung von Viren auf Hoden nicht selten

"Viele Viren, zum Beispiel auch beim hämorrhagischen Fieber, können auf die Hoden wirken", sagt Thorsten Diemer, leitender Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Urologie, Kinderurologie und Andrologie am Universitätsklinikum Gießen, im Gespräch mit unserer Redaktion. "Allerdings verschwindet der Virenbefall dann mit dem Ende der Erkrankung, sodass oft keinerlei Zusammenhang zur späteren Fortpflanzungsfähigkeit besteht", so der Facharzt.

Auch eine Erkrankung an Mumps kann sich anhand von Beschwerden an den Hoden äußern. Ein Zusammenhang zwischen Virusinfektionen und dem männlichen Geschlechtsorgan kann folglich bestehen. Aber selbst wenn SARS-CoV-2 die Hoden befallen könnte, weiß man nicht, welche Auswirkungen dies mit sich bringen würde.

Widersprüchliche Ergebnisse zu SARS-CoV-2 und Samenflüssigkeit

In kleineren Studien wurde bislang untersucht, ob das Virus in Samenflüssigkeit nachweisbar ist. Solche Ergebnisse sind vor allem wichtig, um die sexuelle Übertragbarkeit durch SARS-CoV-2 zu klären. Hier ist das Fazit jedoch widersprüchlich.

Zwei Untersuchungen mit jeweils weniger als 50 Probanden testeten das Sperma von Corona-Infizierten auf SARS-CoV-2. In einer Studie, die Samenflüssigkeit nach überstandener Infektion untersuchte, fanden die Forscher keinen Hinweis auf Viren im Sperma. Eine andere Gruppe von Wissenschaftlern untersuchte die Samenflüssigkeit akut Infizierter und konnte bei sechs von 38 Proben das Coronavirus nachweisen.

Auch eine Studie mit ähnlich wenigen Probanden an der Universitätsklinik Düsseldorf untersuchte die Spermienqualität Corona-Infizierter. Hier konnten weder bei akut Infizierten noch nach überstandener Infektion Erbinformationen des Virus im Sperma nachgewiesen werden.

Jedoch weisen die Wissenschaftler darauf hin, dass die Samenflüssigkeit nach überstandener mittelschwerer Infektion eine schlechtere Qualität aufwies als das der Vergleichsgruppen. Da alle drei Studien nur sehr wenige Probanden enthielten, können sie lediglich als Hinweise, jedoch keinesfalls als wissenschaftlich gesicherte Ergebnisse gelten. Es müssten weitere, großangelegte Studien folgen, um Rückschlüsse ziehen zu können.

Studien zur Fruchtbarkeit derzeit nicht Priorität

Die Frage nach einem Zusammenhang zwischen dem Coronavirus SARS-CoV-2 und einer Unfruchtbarkeit bei Männern ist derzeit wissenschaftlich nicht seriös zu beantworten", so Androloge Diemer.

Studien zur Fertilität würden bislang nicht im Fokus bei der Erforschung des neuartigen Virus stehen. "Meine Einschätzung wäre, dass es für die Reproduktionsorgane des Mannes nicht primär gefährlich ist und die Hoden kaum betrifft", sagt der Facharzt.

Eine wissenschaftliche Betrachtung der Auswirkungen von COVID-19 auf die Fruchtbarkeit als Spätfolge werde allerdings auch erst nach Monaten oder Jahren möglich sein, so der Experte.

Verwendete Quellen:

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