Regelmäßige Bewegung und ein gesunder Lebensstil gelten schon lange als das Mittel erster Wahl, um Krebs vorzubeugen. Neue Studien zeigen nun: Sport kann noch mehr. Das könnte die Krebsbehandlung und -nachsorge grundlegend ändern.

Mehr zum Thema Gesundheit

Auf dem Laufband rennt Terri Swain-Collins um den Sieg. Es ist ein Wettlauf – nicht gegen einen anderen Sportler, nicht gegen die Zeit. Terri läuft gegen ihren Krebs. Wenn sie weiter rennt, immer weiter, könnte sie den Wettlauf gewinnen. Der Krebs, er könnte für immer fortbleiben.

Früher hat sie sich nie etwas aus Sport gemacht. Dass sie sogar Spaß daran finden könnte, war unvorstellbar. Dabei wusste auch sie, was wir alle wissen: Sport hat viele positive Effekte auf die Gesundheit. Aber seien wir ehrlich: Nur, weil Bewegung gesund ist, heißt das noch lange nicht, dass wir sie alle enthusiastisch in unseren Alltag einbauen oder uns regelmäßig unserem Sportprogramm widmen. Allzu oft bleibt es bei guten Vorsätzen oder, wenn es mal wieder nicht passt, beim schlechten Gewissen. Es ist nun mal nicht gerade leicht, sich zum Sport zu motivieren, besonders wenn man damit neu anfängt.

Aber vielleicht ändert sich die Motivation zum Sporttreiben, wenn die Ärztin oder der Arzt ein Programm empfiehlt, mit dem sich das Risiko für einen Rückfall nach einer Krebsbehandlung reduzieren lässt? Welche bessere Belohnung für Sport könnte es geben?

Lesen Sie auch

Das Beispiel der Darmkrebspatientin Terri Swain-Collins zeigt jedoch, dass allein die Aussicht auf eine Belohnung nicht reicht. Nach ihrer Krebsbehandlung nahm sie an einer Studie des Krankenhauses im kanadischen Kingston teil. Die Forschenden wollten herausfinden, wie sich ein Bewegungsprogramm auf das Rückfallrisiko für Darmkrebs auswirkt. Terri war skeptisch: "Wenn man mir einfach gesagt hätte, dass ich mich mehr bewegen soll, hätte das nicht viel gebracht."

Statt die Patientinnen und Patienten mit ihrem Motivationsproblem allein zu lassen, stellten die Forschenden der einen Hälfte der Studienteilnehmenden Coaches und Physiotherapeuten zur Seite, die sie bei ihren Übungen begleiteten. Terri gehörte zu dieser Gruppe. Die andere Hälfte bekam lediglich eine Broschüre, die das Bewegungsprogramm und gesunde Ernährung erklärte. Es war ihnen selbst überlassen, wie sie mit diesen Informationen umgehen wollten.

Wirkt Sport besser als Medikamente?

17 Jahre lang verglich die Studie mit dem Namen CO 21 Challenge beide Gruppen. Insgesamt 889 Darmkrebspatientinnen und -patienten nahmen daran teil. Die Ergebnisse wurden auf dem diesjährigen Jahreskongress der American Society of Clinical Oncology (Asco) in Chicago vorgestellt und gleichzeitig im "New England Journal of Medicine" veröffentlicht – und fanden viel Beachtung.

"Sport hat nicht die Nebenwirkungen, die Medikamente haben."

Julie Gralow, Medizinerin

Die Ergebnisse wecken weltweit Hoffnung, dass Bewegung genauso wie Operation, Bestrahlung und Chemotherapie zur Standardbehandlung bei Krebs werden könnte. Julie Gralow, leitende Medizinerin des ASCO-Kongresses, sagt: "Wir haben dem Vortrag zur Studie die Überschrift gegeben: 'So gut wie Medikamente'. Wir hätten ihn aber betiteln sollen mit: 'Besser als Medikamente'. Denn Sport hat nicht die Nebenwirkungen, die Medikamente haben."

Doch lässt sich das wirklich so sagen? Hilft Sport allen Krebs-Patientinnen oder -patienten?

Der Studienleiter Christopher Booth, Professor für Onkologie an der Queen's University in Kingston und Onkologe an der Klinik in Kingston, sagt: "Eine Frage, die uns Patienten oft stellen, ist, was sie tun können, um die Behandlungsergebnisse zu verbessern. Diese Studie gibt darauf eine Antwort." Für Booth ist klar: Ein Sportprogramm nach der Operation und der Chemotherapie reduziert das Risiko eines Rückfalls oder einer neuen Krebserkrankung bedeutend. Außerdem erhöht das untersuchte Programm die Langzeitüberlebenschancen. "Das erlaubt den Patienten, ein längeres und besseres Leben zu führen", so Booth.

Was die Challenge-Studie über Sport nach Darmkrebs herausfand

Vor der Challenge-Studie hatten bereits andere Studien darauf hingedeutet, dass Bewegung das Krebswachstum reduzieren kann. Doch diese Studien konnten aufgrund ihres Designs keinen eindeutigen Wirkungszusammenhang belegen, weil sie nachträglich Daten von Krebspatientinnen und -patienten auswerteten. Dabei kommt es leicht zu Verzerrungen und es ist schwierig, daraus Empfehlungen abzuleiten. Die Challenge-Studie liefert nun zum ersten Mal Evidenz dafür, dass Sport den Behandlungserfolg bei Krebs verbessert und könnte auch die Empfehlungen in Behandlungsleitlinien verändern.

Wie die Challenge-Studie zu ihren Ergebnissen kam

  • Die Challenge-Studie lief über 17 Jahre an 51 Untersuchungszentren, überwiegend in Kanada und Australien, aber auch in Europa, etwa Belfast (Nordirland) und Montpellier (Frankreich).
  • An der Studie nahmen Patientinnen und Patienten teil, bei denen ein Darmkrebs im Stadium II oder III diagnostiziert worden war. Die Internationale Vereinigung gegen Krebs (UICC) teilt Darmkrebs in vier Stadien und zwölf Kategorien ein. In Stadium II hat der Krebs die äußere Schicht der Darmwand erreicht, in Stadium III sind zusätzlich noch Lymphknoten befallen, aber noch keine anderen Organe.
  • Die Studie lief jeweils über drei Jahre und begann sechs Monate nach dem Ende der Chemotherapie. Die Teilnehmenden wurden dabei zufällig zwei Gruppen zugeteilt. In der Sportgruppe waren nach Abschluss der Untersuchung insgesamt 445 und in der Kontrollgruppe 444 Patientinnen oder Patienten.
  • Teilnehmende der Sportgruppe trafen sich im ersten Jahr alle zwei Wochen mit ihren Physiotherapeuten oder den Coaches, ab dem zweiten Jahr einmal im Monat. Teilweise trainierten sie auch unter deren Aufsicht. Das Ziel war, die körperliche Aktivität um einen bestimmten Wert zu steigern, nämlich um 10 MET-Stunden in den ersten sechs Monaten des Trainingsprogramms. Danach sollte das Bewegungspensum für drei Jahre gehalten werden. Mit MET (metabolischem Äquivalent) lässt sich das Bewegungspensum und die -intensität messen.
  • In der Studie konnten sich die Patientinnen und Patienten aussuchen, welchen Ausdauersport sie wie oft und wie intensiv ausüben. Bedingung war lediglich, dass sie 10 MET-Werte mehr beim Training erreichten als vor dem Start des Sportprogramms. Für die Kontrollgruppe wurde kein Bewegungsziel definiert.

Wie wird Bewegung gemessen?

  • Um zu bestimmen, wie herausfordernd eine körperliche Aktivität ist, betrachtet man den Energieverbrauch. Er wird durch das metabolische Äquivalent ausgedrückt, kurz MET. Wer auf dem Sofa sitzt und sich nicht bewegt, verbraucht 1 MET.
  • Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt pro Woche mindestens 10 MET-Stunden Bewegung. Das sind zum Beispiel entweder 2,5 Stunden schnelles Gehen oder 1,25 Stunden Joggen im Laufe von sieben Tagen (hier eine Liste mit MET-Werten für unterschiedliche Aktivitäten).
  • Das MET wird in MET-Minuten oder MET-Stunden angegeben. Um herauszufinden, wie viele MET-Minuten oder -Stunden eine Person innerhalb einer Woche körperlich aktiv war, wird die aufgewendete Zeit mit dem MET-Wert der Aktivität multipliziert.

Die Teilnehmenden der Studie wurden durchschnittlich acht Jahre lang beobachtet. Dabei zeigte sich, dass bei 93 von 445 Patientinnen oder Patienten, die das Sportprogramm bekamen, ein Rezidiv auftrat, sie einen neuen Krebs bekamen oder verstarben. Bei der Kontrollgruppe erging es 113 Personen so. Etwa 80 Prozent der Sporttreibenden überlebten die ersten fünf Jahre nach der Diagnose ohne weitere Krebserkrankungen, in der Kontrollgruppe waren es circa 74 Prozent.

Schaute man nach acht Jahren, wer noch lebte (mit oder ohne neue Krebserkrankung), erhöhte sich die Zahl in der Sportgruppe auf etwa 90 Prozent und in der Kontrollgruppe auf circa 83 Prozent. Das Sportprogramm reduzierte die Häufigkeit von Lebermetastasen (3,6 statt 6,5 Prozent) und neuen Krebserkrankungen (5,2 statt 9,7 Prozent), vor allem in der Brust, in der Prostata und am Darmausgang.

Eine Nebenwirkung hat Sport allerdings schon: Die Teilnehmenden des Sportprogramms verletzten sich öfter als diejenigen in der Kontrollgruppe. 18,5 Prozent der Sporttreibenden berichteten über Verletzungen am Muskel-Skelett-System gegenüber 11,5 Prozent in der Kontrollgruppe.

Bemerkenswert ist auch, dass das Bewegungsprogramm wirkte, obwohl die Patientinnen und Patienten im Laufe der Zeit tendenziell nachließen. In den ersten sechs Monaten nahmen 79 Prozent ihre Pflichttermine wahr. In dieser Zeit trainierten sie unter Aufsicht. Zusätzlich übten circa 20 Prozent in den ersten sechs Monaten freiwillig. Diese Quote kletterte auf maximal 54 Prozent in den folgenden sechs Monaten, sank danach aber kontinuierlich und landete im letzten halben Jahr der Studie bei 38 Prozent. Das zeigt: Selbst wer die zuvor gesteckten Ziele nicht vollständig erfüllt, kann von einem Plus an Bewegung profitieren.

Wie Experten die Ergebnisse einordnen

Viele Krebs-Expertinnen und -Experten halten die Ergebnisse der Studie für sehr wichtig. Manche sprechen sogar von einem Durchbruch.

"Dass das strukturierte Sportprogramm die Rückfallquote um 30 Prozent senken konnte, ist ziemlich beeindruckend. Der Effekt ist vergleichbar mit dem, den Chemotherapie gezeigt hat."

Marco Gerlinger, Onkologe

Der Onkologe Marco Gerlinger von der Queen Mary University in London freut sich darüber, dass er nun den Patientinnen und Patienten, die nach einer Darm-OP und anschließender Chemotherapie fit genug sind, ein Sportprogramm empfehlen kann, das nachweislich wirkt: "Dass das strukturierte Sportprogramm die Rückfallquote um 30 Prozent senken konnte, ist ziemlich beeindruckend. Der Effekt ist vergleichbar mit dem, den Chemotherapie gezeigt hat". Er betont aber auch, dass die Unterstützung von dafür ausgebildetem Gesundheitspersonal so gut wie immer nötig sei, um den Effekt zu erzielen.

Amy Berrington, Leiterin für klinische Krebs-Epidemiologie am Institut für Krebsforschung in London, fällt jedoch auf, dass es offenbar schwierig war, Patientinnen und Patienten zu finden, die bereit waren, sich auf das Sportprogramm einzulassen. Sie hofft, dass die positiven Ergebnisse ein Argument sind, sich zukünftig nach einer Darmkrebsbehandlung für mehr Bewegung zu entscheiden – unabhängig davon, ob sie professionell begleitet wird.

Für die Darmkrebspatientin Terri Swain-Collins war dies allerdings der Faktor, der den entscheidenden Unterschied machte. Das Gefühl der Verbindlichkeit, dass da jemand war, der mit ihr lief, sie anleitete, regelmäßig nachfragte: "Das hat es mir erst ermöglicht dranzubleiben." Der individuelle Trainingsplan und die kontinuierliche Begleitung half ihr und den anderen Patientinnen und Patienten, eine Fitnessroutine zu entwickeln, die sie gut in ihren Alltag integrieren konnten. Terri Swain-Collins trainiert übrigens immer noch regelmäßig – Jahre, nachdem ihre Krebsbehandlung abgeschlossen ist.

Sport könnte auch bei anderen Krebsarten vor Rückfällen schützen

Ob solche Programme in Zukunft allen Darmkrebspatientinnen und -patienten angeboten werden, hängt jedoch davon ab, ob diese Art der Bewegung in die Leitlinien-Empfehlungen eingeht. Leitlinien sollen es den behandelnden Ärztinnen und Therapeuten ermöglichen, evidenzbasierte Behandlungsprogramme für einzelne Patientinnen und Patienten zu entwickeln. Dafür kommt es aber auch darauf an, wie viel die Maßnahmen kosten, damit sie möglichst vielen Menschen angeboten werden können. Amy Berrington betont deshalb: "Es wäre wichtig zu wissen, wie teuer die Unterstützung der Verhaltensänderungen ist."

Viele Expertinnen und Experten glauben aber, dass Sport in Zukunft einen festen Platz in den Leitlinien für alle Krebserkrankungen haben wird. Schließlich ist Sporttherapie schon länger in der Nachsorge von Krebs etabliert, weil sie sich positiv auf Angst, das Fatigue-Syndrom (chronische Erschöpfung), die tägliche Aktivität und Leistungsfähigkeit sowie auf die Lebensqualität insgesamt auswirkt. Jetzt gibt es einen Beleg dafür, wie groß die Effekte dieser Therapie sein können, bezogen auf die Rückfallquote und die Überlebenschancen.

Dabei lassen sich die Ergebnisse der Challenge-Studie wohl auch auf andere Krebserkrankungen übertragen. Davon gehen Expertinnen und Experten aus. Und weitere Untersuchungen geben ihnen Recht. So konnte kürzlich eine Studie aus Heidelberg erneut belegen, dass Sport auch die Wirkung einer Chemotherapie für Brustkrebspatientinnen verbessern kann. Brustkrebstumore, die Rezeptoren für weibliche Hormone haben (hormonsensitive Tumore), verkleinerten sich, wenn die Patientinnen zusätzlich zur Chemotherapie mit Sporteinheiten (entweder Ausdauer- oder Krafttraining) behandelt wurden. Und Patientinnen mit Tumoren, denen die Hormonrezeptoren fehlten, waren besser in der Lage, die vorgesehene Dosis der Chemotherapie durchzuhalten.

Das, was früher einmal galt, sich bei Krebs körperlich zu schonen, ist damit wohl überholt. Immer mehr wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, wie wichtig regelmäßige Bewegung für die Erholung nach Krebs ist. Damit trägt Sport dazu bei, einen Meilenstein zu erreichen, von dem derzeit die Krebsforschung sowie Patientinnen und Patienten gleichermaßen träumen: Vision Zero. Also dem Wunsch, dass niemand mehr an Krebs sterben muss.

Über RiffReporter

  • Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter.
  • Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.

Verwendete Quellen

  © RiffReporter