Im Netz wird "Reta" als Fettkiller der Zukunft gefeiert. Erste Studien versprechen Abnehmerfolge, die bisher nur durch eine Operation möglich waren. Ein Experte erklärt, was man von dem Medikament erwarten darf und wo Risiken liegen.
Es hat noch nicht einmal eine Zulassung, trotzdem wird "Reta" in Fitness-Foren schon als neuer Wunder-Fettburner gefeiert. Reta ist die Kurzform von Retatrutid, ein neues Abnehm-Medikament des US-Pharmakonzerns Eli Lilly. Es gehört zur gleichen Wirkstoffklasse wie Ozempic oder Mounjaro, soll deren Wirkung aber noch übertreffen.
Was ist Retatrutid?
"Retatrutid ist ein Triagonist, also ein einzelnes Molekül, das gleich drei Rezeptoren anspricht: GLP-1, GIP und Glukagon", erklärt Prof. Dr. Timo Müller, amtierender Direktor des Instituts für Diabetes und Adipositas am Helmholtz Zentrum München. Die Idee, alle drei Rezeptoren in einem Wirkstoff anzusprechen, stammt ursprünglich aus Müllers Labor, entwickelt gemeinsam mit seinen Kollegen Matthias Tschöp und Richard DiMarchi.
Das US-Pharmaunternehmen Eli Lilly setzte dieses Konzept in einem eigenen Wirkstoff-Präparat um: Retatrutid. Unter welchem Markennamen der Wirkstoff später verkauft werden wird, ist bislang noch nicht bekannt.
Wie wirkt Retatrutid?
Einfach ausgedrückt greift Retatrutid an drei Stellen im Stoffwechsel an: GLP-1 und GIP bremsen den Appetit und fördern die Insulinausschüttung. Glukagon wiederum erhöht den Energieverbrauch und reduziert außerdem gezielt das Leberfett.
Dieser Effekt ist für Menschen mit Typ-2-Diabetes besonders relevant. Denn Fettablagerungen in der Leber verschlechtern die Wirkung von Insulin. Die Zellen nehmen den Zucker aus dem Blut schlechter auf, der Blutzuckerspiegel steigt. Nimmt das Fett in der Leber ab, wirkt auch Insulin wieder zuverlässiger.
Wie unterscheidet sich Retatrutid von Ozempic und Mounjaro?
Ozempic mit dem Wirkstoff Semaglutid spricht nur den GLP-1-Rezeptor an. Mounjaro mit Tirzepatid aktiviert GLP-1 und GIP. Retatrutid geht einen Schritt weiter und bindet zusätzlich an den Glukagon-Rezeptor. Dadurch summieren sich die Effekte: weniger Appetit, mehr Insulinfreisetzung, gesteigerter Energieverbrauch und ein gezielter Abbau von Leberfett.
"Genau darin liegt auch der Vorteil von Retatrutid: Man kann mit niedrigeren Dosen jedes einzelnen Bausteins einen stärkeren Gesamteffekt erzielen", erklärt Müller. Wie Ozempic oder Mounjaro wird auch Retatrutid einmal pro Woche über eine Injektion verabreicht.
Wie wirksam ist das Mittel?
Der Unterschied zu bisherigen Abnehmspritzen zeigt sich besonders deutlich auf der Waage: "Im Schnitt verliert man mit Retatrutid 24 Prozent des Körpergewichts in einem Jahr, viele Patientinnen und Patienten sogar mehr", sagt Müller.
Solche Effekte waren bisher nur mit bariatrischer Chirurgie (chirurgische Maßnahmen zur Behandlung von Adipositas, etwa Magenverkleinerungen) erreichbar. Zum Vergleich: GLP-1-Agonisten wie Ozempic erzielen im Schnitt einen Gewichtsverlust von 17 bis 18 Prozent, Co-Agonisten wie Wegovy etwa 22 Prozent.
Konkret heißt das: Eine Person mit 120 Kilo würde mit Retatrutid im Schnitt fast 30 Kilo abnehmen, während es mit Ozempic eher 20 und mit Mounjaro rund 25 Kilo wären.
Welche Nebenwirkungen gibt es?
Ganz ohne Risiken kommt auch Retatrutid nicht aus. Wie bei anderen Abnehmspritzen drohen Magen-Darm-Beschwerden: Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall. Selten treten Gallensteine oder eine Bauchspeicheldrüsenentzündung auf. Bei Retatrutid kommt eine Besonderheit hinzu: "Wir sehen eine Erhöhung der Herzfrequenz um fünf bis sechs Schläge pro Minute", so Müller.
Das mag harmlos klingen, ist für Patientengruppen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen jedoch hochrelevant. Denn ein erhöhter Puls belastet das Herz zusätzlich. Deshalb betont Müller: "Für stark übergewichtige junge Menschen kann Retatrutid ein enormer Gewinn sein. Für Patientinnen und Patienten, die gerade einen Herzinfarkt hinter sich haben oder deren Herz ohnehin geschwächt ist, muss man gegebenenfalls auf ein anderes Medikament ausweichen."
Wann kommt Retatrutid auf den Markt?
Noch ist Retatrutid weder in den USA noch in Europa zugelassen. Die entscheidenden Phase-3-Studien laufen derzeit. Mit einem zeitnahen Marktstart rechnet Müller nicht: "Es ist wissenschaftlich nicht seriös zu sagen: Die Studie endet im Oktober und im Januar ist das Medikament auf dem Markt." Wenn alles planmäßig verläuft, könne die Zulassung in ein bis zwei Jahren erfolgen. Erfahrungsgemäß startet sie in den USA, anschließend prüft die europäische Arzneimittelbehörde die Daten für eine Zulassung in Europa.
Warum taucht "Reta" schon auf dubiosen Präparaten auf?
Obwohl Retatrutid noch nicht als Medikament zugelassen ist, lässt sich mit wenigen Klicks im Netz (angeblich) bereits Retatrutid bestellen. Angeboten werden Ampullen zur Injektion mit dem Hinweis "nur für Forschungszwecke".
Offiziell sind diese Substanzen also nicht für den menschlichen Gebrauch bestimmt. In Fitness-Communities und der Bodybuilding-Szene kursieren sie dennoch als Geheimtipp für schnellen Fettabbau bei gleichzeitigem Erhalt von Muskelmasse und Energie.
Inhalte in Sozialen Medien wie TikTok oder Instagram zeigen gestählte Körper, die, laut Angabe der Posierenden, dank "Reta" in Topform sind. Fachleute wie Müller warnen eindringlich vor diesem Graumarkt: "Was da als 'Reta' oder 'GLP-1-Booster' verkauft wird, ist kein Retatrutid. Das ist Betrug und reine Geldmacherei." Auch die US-Arzneimittelbehörde FDA berichtet von Anbietern, die Retatrutid und ähnliche Substanzen als "Forschungschemikalien" deklarieren und dennoch direkt an Verbraucherinnen und Verbraucher verkaufen.
Dieses Vorgehen verstößt gegen geltendes Recht. Nach Einschätzung der Behörde drohen gravierende Gesundheitsrisiken, etwa durch Verunreinigungen, unklare Dosierungen oder toxische Nebenwirkungen.
Für wen ist das Medikament gedacht?
Nach den medizinischen Leitlinien kommt Retatrutid nur für Menschen mit starkem Übergewicht infrage. Konkret heißt das: Bei einem Body-Mass-Index (BMI) über 30 oder über 27, wenn zusätzlich Erkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck vorliegen. Müller stellt klar: "Diese Medikamente wurden nicht entwickelt, damit sich ein Schauspieler für die nächste Rolle in Form bringt oder jemand schnell vor einer Hochzeit abnimmt. Sie haben Nebenwirkungen, in seltenen Fällen auch gravierende."
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Die Entscheidung über den Einsatz müsse bei den behandelnden Ärztinnen und Ärzten liegen. Müller unterstreicht: "Es sind verschreibungspflichtige Medikamente, die leitliniengerecht angewendet werden müssen. Nur so profitieren die Menschen, die sie wirklich brauchen."
Über den Gesprächspartner
- Prof. Dr. Timo Müller ist amtierender Direktor des Instituts für Diabetes und Adipositas am Helmholtz Zentrum München und W3-Professor am Walther-Straub-Institut für Pharmakologie und Toxikologie der LMU München. Er studierte Tierphysiologie an der Philipps-Universität Marburg und promovierte 2009 an der Universität Duisburg-Essen. Als Postdoktorand forschte er am Metabolic Disease Institute der University of Cincinnati, bevor er 2011 nach München zurückkehrte, wo er die Abteilung Molekulare Pharmakologie übernahm. Seit 2023 leitet er das IDO, seit 2024 ist er zudem Professor an der LMU. Müller hat mehr als 190 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, unter anderem in "Cell", "Nature Medicine" und "Nature Metabolism". Für seine Forschung zur Entwicklung neuer Medikamente gegen Adipositas und Diabetes wurde er mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Werner-Creutzfeldt-Preis der Deutschen Diabetes Gesellschaft.
Verwendete Quellen
- Interview mit Prof. Dr. Timo Müller
- fda.gov: FDA’s Concerns with Unapproved GLP-1 Drugs Used for Weight Loss
- reuter.com: US FDA warns online vendors selling unapproved weight-loss drugs
- businessinsider.de: Eli Lilly bringt offenbar stärkstes Abnehm-Mittel aller Zeiten auf den Markt: Was es verspricht – und wer es schon testet