• Bei den Impfungen gegen das Coronavirus kommt Großbritannien weit schneller voran als Österreich deuund andere EU-Länder.
  • Mit Kate Bingham setzte Premier Boris Johnson im vergangenen Jahr eine Risikokapitalunternehmerin aus der Medizinbranche als Leiterin der Impf-Taskforce ein.
  • Sie sicherte mit ihrem Team frühzeitig Impfstoffe – das zahlt sich jetzt aus.

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Mehr als 30 Millionen Britinnen und Briten haben inzwischen mindestens die erste Impfdosis gegen das Coronavirus erhalten. In Österreich sind es bisher nur knapp 1,8 Millionen Menschen. Für die erfolgreiche Strategie in Großbritannien ist vor allem eine Frau verantwortlich: die Risikokapitalunternehmerin Kate Bingham.

Die 55-Jährige hatte im Frühjahr des vergangenen Jahres die Leitung der Impf-Taskforce übernommen. In dieser Zeit gehörte Großbritannien neben Italien zu den europaweit am härtesten von der Pandemie betroffenen Ländern. Boris Johnsons Krisen-Politik stand schwer in der Kritik: Lockdowns kamen zu spät, Maßnahmen wurden nicht konsequent durchgezogen und das Früherkennungssystem "Test and Trace" erwies sich als teuer und wenig wirksam.

Bestellung schon vor Zulassung

Doch inzwischen schauen die EU-Länder staunend bis neidisch auf die Insel. Binghams Auftrag war es, so schnell wie möglich sehr viel Impfstoff zu sichern. Dafür stellte sie ein Expertenteam zusammen. Es analysierte Daten, filterte die vielversprechendsten Impfstoffkandidaten heraus und verhandelte frühzeitig mit den Herstellern.

Bingham setzte schon Lieferverträge auf, als noch gar nicht sicher war, ob die entsprechenden Impfstoffe tatsächlich wirken und zugelassen werden. Insgesamt sicherte ihr Team so vorzeitig rund 350 Millionen Dosen. Großbritannien war das erste Land, das mit Pfizer und Biontech einen Vertrag abschloss. Schon am 8. Dezember begann das Vereinigte Königreich mit den Impfungen, Österreich erst mehr als zweieinhalb Wochen später.

Bei den Verhandlungen kamen Bingham, die Biochemikerin ist, ihre 30 Jahre Erfahrung im Medizingeschäft zugute: "Wir haben Beziehungen", sagte sie im britischen Parlament über sich und ihr Team. Zu allen westlichen Unternehmen, die sie auswerteten, hätten bereits Kontakte bestanden. Die Taskforce arbeitete hart: rund um die Uhr, abends, an Wochenenden.

Außerdem setzte sich Bingham dafür ein, dass Entscheidungen schneller getroffen werden konnten als üblich, wie sie in einem Interview mit der "Times" verriet: "Ich wusste nicht viel über den Staat. Aber wenn du 58 Menschen in Kopie setzen musst, wird es nicht länger möglich sein, Entscheidungen schnell zu treffen. Wir hatten nur eine Chance, es richtigzumachen – und keine Zeit."

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Beim Anruf vom Premier "erstmal vom Stuhl gefallen"

Mit der Frau aus der Privatwirtschaft hat Boris Johnson die richtige Wahl für eine schnelle Impf-Strategie getroffen. Dabei hatte sie anfangs zögerlich reagiert, als der Premierminister sie per Telefon bat, das Ehrenamt zu übernehmen. Sie sei erst einmal vom Stuhl gefallen, berichtete sie in einem Podcast der BBC. Sie sei keine Impfexpertin. Bingham ist stattdessen Expertin für therapeutische Medizin und kennt sich vor allem mit Investitionen in innovative Technologien aus. Nach Johnsons Anruf brauchte sie einen Tag Bedenkzeit – und Zuspruch von ihrer Tochter.

Im Dezember hat Kate Bingham die ehrenamtliche Leitung der Impf-Taskforce abgegeben. In der britischen Presse wird sie als "Impfzarin" gefeiert. Doch sie musste im vergangenen Jahr auch viel Kritik einstecken: Dass sie für ihr schnelles Handeln die Bürokratie umging, hat nicht allen gefallen. Zudem stand die 55-Jährige in der Kritik, weil sie mehr als 600.000 Pfund Steuergeld, umgerechnet mehr als 700.000 Euro, für PR-Berater ausgegeben haben soll.

Auch ihre Nähe zur konservativen Partei missfiel Kritikern: Bingham ist mit Jesse Norman verheiratet, Tory-Politiker und Staatssekretär im Finanzministerium. Sie studierte mit Boris Johnson in Oxford und besuchte dieselbe Schule wie dessen Schwester.

Impf-Erfolg dank Brexit?

Brexit-Befürworter feierten den britischen Impf-Erfolg auch als eine Folge des EU-Austritts. Doch das ließ Kate Bingham so nicht gelten: "Es hat nichts mit dem Brexit zu tun", betonte sie unter anderem in einem Interview mit der "Welt". Es habe auch nichts damit zu tun, dass die Leute in ihrem Team besser oder erfahrener seien als Verantwortliche in anderen europäischen Ländern.

Sondern es liege an unterschiedlichen Strategien: Während Großbritannien möglichst schnell gehandelt habe, hätten andere Staaten sich zunächst intensiver mit dem Kosten-Nutzen-Verhältnis auseinandergesetzt. Bingham ist – wie in ihrem Job – Risiken eingegangen. Für die britische Bevölkerung hat sich ihr Einsatz ausgezahlt.

Verwendete Quellen:

  • BBC-Podcast: Political Thinking With Nick Robinson – The Kate Bingham One
  • House of Commons: Public Accounts Committee Oral evidence: Covid-19: Planning for a vaccine, HC 930
  • The Times: Kate Bingham interview: ‘There will be another nasty virus, but next time Britain will be ready’
  • The Guardian: UK vaccine taskforce chief Kate Bingham expected to quit
  • Spiegel.de: Größtes und schnellstes Impfprogramm in Europa - Großbritanniens Impfkönigin
  • Welt.de: Former UK vaccines chief says yes to Russian jab if data is good
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