Drohnen können Milliarden Euro teures Kriegsgerät und massenhafte Rekrutierung überflüssig machen, behauptet ein deutsches Start-up. Kann Verteidigung so einfach sein? Experten sehen die Aussage kritisch.

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Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sowie im Konflikt zwischen Israel und dem Iran kommen sie zum Einsatz: Kampfdrohnen sind aus der modernen Kriegsführung nicht mehr wegzudenken. Warum auch? Wenn kleine, mit Sprengstoff bestückte Fluggeräte Militärgerät zerstören können, das teilweise das Zehntausendfache kostet, als die Drohne selbst.

Jetzt hat ein deutsches Start-up eine kühne Behauptung aufgestellt. Wie der "Spiegel" schreibt, behauptet das Rüstungsunternehmen Helsing, man könne Europa mit einem Wall aus 100.000 Drohnen verteidigen. Co-Chef Torsten Reil sagte, 100.000 HX-2-Kampfdrohnen (geschätzter Wert pro Drohne: 16.700 Euro), die von einer KI gesteuert würden, würden ausreichen, um eine Landinvasion des Kontinents "ein für alle Mal zu verhindern". Dabei spricht er bei der Nato-Ostflanke immerhin von rund 3.000 Kilometern.

Zum Schutzschirm für Europa in nur einem Jahr?

Innerhalb eines Jahres könnte der "Drohnenwall" stehen, so seine Prognose. Ein unglaubliches Tempo, wenn man bedenkt, dass hierzulande eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht in die nächste Legislaturperiode verschoben werden könnte.

Aber das Geld ist da. Ein Sondervermögen für das Militär hat nicht nur Deutschland, sondern auch die EU beschlossen. Und ein Stück vom Kuchen könnte sich auch der deutsche Drohnenhersteller Quantum Systems sichern wollen. Und die Niederlande kündigten jüngst an, mit der Ukraine Drohnen im Wert von 500 Millionen Euro produzieren zu wollen. Kann die Lösung für Europa wirklich so einfach sein?

Estland will einen "Drohnenwall" aufbauen

Estland, ein Nato-Land in direkter Nachbarschaft zu Putins Russland, will es herausfinden. Hier soll ein Drohnenvorhang Richtung Osten installiert werden, schreibt der "Spiegel". Betrieben werden soll er von der Polizei und dem Grenzschutz. In einem Jahr wollen sie in Estland zwar noch nicht fertig sein, aber bis 2027 könnten entscheidende Teile des Systems realisiert werden, sagt Tomas Jermalavičius, Militäranalyst vom International Centre for Defence and Security.

Rund 70 Millionen Euro will das baltische Land dafür ausgeben. Viel zu kurz gegriffen, sagt der Hamburger Forscher Tobias Fella vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. "Heute einmalig Drohnen zu liefern, die dann zehn Jahre im Dienst sein sollen, dürfte nicht ausreichen." Drohnen müssten ständig auf dem neuesten Stand der Technik gehalten werden – und das kostet Geld.

Experten sehen Drohnen-Schutzschirm kritisch

Einen ganzen Kontinent nur mit fliegenden Chips und Schaltkreisen zu verteidigen, hält Andreas Rapp vom German Institute for Defence and Strategic Studies in Hamburg für "unterkomplex". "Es ist nicht damit getan, 100.000 Drohnen zu kaufen", so der Militäranalyst. "Dieses Waffensystem allein wird nicht die Verteidigung sicherstellen."

Fella sagt zu der Idee: "Der Begriff Drohnenwall suggeriert fälschlicherweise, es könnte eine einfache, günstige und flächendeckende Lösung zur Verteidigung der Nato-Ostflanke geben, die völlige Sicherheit bietet. Aber Drohnen sind keine Wunderwaffen, sie können Soldaten und Artillerie nicht ersetzen."

Und dennoch gelingt es ihnen regelmäßig, großen Schaden anzurichten. Erst am Dienstag wurden bei einem russischen Drohnenangriff im Gebiet Sumy im Nordosten der Ukraine einem Medienbericht zufolge mindestens drei Menschen getötet. Unter den Todesopfern sei ein Achtjähriger, berichtete das Portal "Kyiv Independent" unter Berufung auf den Militärgouverneur des Gebiets, Oleh Hryhorow. Auch ein Mann und eine Frau seien bei dem Angriff auf ein Dorf ums Leben gekommen. Weiter Menschen wurden verletzt.

Drohnen haben ihre Nachteile

Nur ein Beispiel, das zeigt, wie verheerend der Einsatz von Drohnen sein kann. Dennoch wünschen sich die Frontoffiziere in der Ukraine keine weiteren Drohnenlieferungen, sondern mehr Artillerie. Denn, so heißt es beim "Spiegel" weiter, 60 bis 80 Prozent der ukrainischen FPV-Drohnen (First Person View) erreichen ihr Ziel nicht. Das ergab eine Analyse der unabhängigen Denkfabrik Royal United Services Institute (Rusi). Die Drohnen werden allerdings von Menschen gesteuert. Ob jedoch KI-gesteuerte Drohnen bessere Ergebnisse liefern würden, ist ungewiss.

Drohnen haben auch noch weitere Schwachstellen. Schlechtes Wetter, starker Wind oder Nebel können ihren Einsatz erschweren. Auch durch Störsender kann ihre Einsatzfähigkeit beeinträchtigt werden. Man spricht hier von "Jamming". Nicht nur die Drohnentechnik macht rasant Fortschritte, sondern auch ihre Abwehr.

Die Bundeswehr sieht in Drohnen ebenfalls nur ein Puzzlestück im großen Ganzen. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will zwar in die fliegenden Kampfgeräte investieren. Für eine "glaubhafte Abschreckung und Verteidigung" seien neben Drohnen aber "weiterhin Großwaffensysteme wie Kampfpanzer, Kampfflugzeuge, Artillerie und Schiffe nötig", sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. (tel)

Verwendete Quellen