Wie steht die EU bei ihrer Verteidigungspolitik da? Ein Experte sieht die Europäische Union nicht auf einen militärischen Angriff vorbereitet. Daniel Fiott glaubt nicht daran, "dass die EU auf eigene Faust handeln würde".

Mehr aktuelle News

Der Verteidigungsexperte Daniel Fiott sieht die Europäische Union nicht auf einen militärischen Angriff vorbereitet. Ein solcher Angriff sei derzeit "unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich", sagte der Brüsseler Politikwissenschafter im APA-Interview. "Das bedeutet, dass wir die Situation ernst nehmen sollten." Zwar sei die EU-Verteidigungspolitik schon jetzt nicht nur symbolisch, "aber ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass die EU auf eigene Faust handeln würde".

Fragen sieht der Professor am Zentrum für Sicherheit, Diplomatie und Strategie an der Brussels School of Governance auch, was die Kooperation mit dem nordatlantischen Verteidigungsbündnis Nato betrifft. "Wir sind heute in Europa nicht vorbereitet auf eine Koordination oder Kooperation von EU und Nato im Fall eines militärischen Angriffs", sagte Fiott. Er wies darauf hin, dass die meisten EU-Staaten auch der Nato angehören und vermutlich sowohl die Beistandsverpflichtung nach Artikel 5 des Nato-Vertrags als auch jene nach Artikel 42.7 des EU-Vertrags aktivieren würden. Dies würde eine gemeinsame Antwort von EU und Nato erforderlich machen, "aber es gibt keinen institutionellen Mechanismus zur Regelung dieser Antwort".

Wie positionieren sich die neutralen EU-Staaten?

"Viel nachdenken" müsste man indes über das Szenario im Fall der neutralen EU-Staaten (Irland, Österreich, Malta und Zypern), die sich nur auf den EU-Vertrag berufen könnten. Schließlich verpflichte dieser Artikel nicht die Europäische Union als solche zu einer "institutionellen Antwort", sondern ruft lediglich die einzelnen EU-Staaten zum gegenseitigen Beistand auf, erläuterte Fiott. Zwar seien die neutralen Staaten nicht zu militärischem Beistand verpflichtet, doch würde eine Berufung ihre Solidarität infrage stellen. "Deshalb denke ich, dass auch die neutralen Staaten über ihre Reputation nachdenken werden, bevor sie (militärische) Hilfe verweigern", sagte der gebürtige Maltese.

"Ich glaube nicht, dass die EU eine eigene Armee braucht."

Verteidigungsexperte Daniel Fiott

Faktisch würden die neutralen EU-Staaten aber "nur eine sehr geringe Rolle" bei der Bereitstellung militärischer Kapazitäten spielen, fügte er hinzu.

Kritisch sieht der Mitautor des aktuellen Risikobildes des Bundesheeres die im EU-Wahlkampf etwa von NEOS-Spitzenkandidat Helmut Brandstätter propagierte Idee einer eigenen EU-Armee. "Ich glaube nicht, dass die EU eine eigene Armee braucht. Ich spreche nicht gerne darüber, weil ich das als große Ablenkung ansehe. Für die Verteidigung Europas braucht man keine gemeinsame Armee." Vielmehr brauche die EU "schnell" entsprechende Fähigkeiten und Investitionen.

Lesen Sie auch

Bedeutung der Europäischen Union hat zugenommen

Zwar sei die Nato für die meisten EU-Staaten weiterhin "die wichtigste Struktur für die europäische Verteidigungsstruktur", doch habe die Bedeutung der Europäischen Union während der wachsenden gemeinsamen Verteidigungsausgaben jüngst zugenommen, so Fiott. "Wegen finanziellen Mechanismen wie dem Europäischen Verteidigungsfonds richten viele Mitgliedsstaaten ihre Aufmerksamkeit zunehmend auf die EU. Das Problem ist, dass die Verteidigungsausgaben auf EU-Ebene nicht mit (konkreten) Verteidigungsoperationen verbunden sind", erläuterte er.

"Nicht überzeugt" ist Fiott von dem Plan, in der künftigen EU-Kommission den Posten eines Verteidigungskommissars zu schaffen, "vor allem, wenn es nur darum geht, den bisherigen Kommissar für die Verteidigungsindustrie und den Weltraum umzubenennen". Einen Mehrwert hätte die Position nur, wenn sie mehr Kompetenzen hätte, also auch Cyberangriffe und hybride Bedrohungen sowie militärische Mobilität. Allerdings würde dies nichts daran ändern, dass die Verteidigungspolitik weiterhin in Zuständigkeit der einzelnen EU-Staaten sei, gab der Experte zu bedenken.

Die neutralen Staaten sieht der Politikwissenschafter nicht als Hindernis für die Entwicklung der EU-Verteidigungspolitik. So hätten die Neutralen die EU-Unterstützung für die Ukraine nach dem russischen Angriff nicht torpediert. Auch hätten sie sich an zahlreichen EU-Missionen beteiligt. Zwar beeinflusse die Neutralität den Grad der politischen Integration, "aber es gibt so viele (andere) Themen, die die EU-Verteidigung behindern". Sollten die neutralen Staaten irgendwann einmal eine "tatsächliche Integration" im Verteidigungsbereich blockieren, "dann werden die Staaten entweder ihre Bemühungen innerhalb der Nato verstärken oder 'minilaterale' Formate unter Ausschluss der Neutralen bilden". (Stefan Vospernik/APA/tas)

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.