Ein Platz im Schlauchboot ist heiß begehrt – und lebensgefährlich. Migranten machen sich von Nordfrankreich aus auf den Weg, um auf die andere Seite des Ärmelkanals zu gelangen.

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Die Sonne ist kaum aufgegangen, als sich am Strand von Gravelines in Nordfrankreich Dutzende Migranten auf das Meer zu bewegen, beobachtet von fast ebenso vielen Polizisten. Einige von ihnen werden es schaffen, einen Platz in einem der Schlauchboote Richtung Großbritannien zu ergattern. Sie riskieren ihr Leben, weil sie sich auf der anderen Seite des Ärmelkanals eine neue Existenz aufbauen wollen. Die übrigen werden enttäuscht am Strand zurückbleiben.

Sobald die Wetterbedingungen gut sind, nimmt die Zahl der häufig lebensgefährlichen Überfahrten auf dem Ärmelkanal zu. Am vergangenen Freitag erreichten mehr als 900 Menschen die britische Küste, am Samstag waren es trotz einer Gewitterwarnung immerhin 134. Seit Jahresbeginn sind bereits mindestens 15 Migranten im Ärmelkanal ertrunken. Im vergangenen Jahr kamen mindestens 78 Menschen bei Überfahrten ums Leben, ein trauriger Rekord.

Eine Gruppe von Migranten steht an diesem Morgen knietief im Wasser und wartet auf ein Boot, das nicht kommt. Die sogenannten Taxiboote sind seit einigen Jahren eine beliebte Methode von Schleusern, die Migranten im Wasser einsteigen zu lassen, um Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften an Land zu vermeiden.

Polizisten greifen nicht ein

Die Polizisten beobachten die Szene, ohne einzugreifen. Solange sich Migranten auf französischem Boden befinden und nicht gegen Gesetze verstoßen, dürfen sie sich grundsätzlich frei bewegen. Der bloße Versuch, das Land zu verlassen, ist keine Straftat.

Sobald die Boote im Wasser sind, können französische Behörden nach geltendem Seerecht nur eingreifen, um Menschen zu retten. Der französische Innenminister Bruno Retailleau will die Regeln ändern, um künftig "Taxiboote" bis in eine Entfernung von 300 Metern vor der Küste abzufangen. Dies soll Thema des nächsten britisch-französischen Gipfeltreffens im Juli sein.

Polizisten, Gravelines
Polizisten bewachen die Vorgänge am Strand von Gravelines. (Aufnahmedatum: 16. Juni 2025) © AFP/SAMEER AL-DOUMY

Eine andere Gruppe von Migranten, die meisten von ihnen mit Rettungswesten ausgestattet, stürmt aus den Dünen hervor in Richtung Meer. Die Polizei setzt Tränengas ein, die Menschen laufen weiter, verstecken sich etwas weiter wieder in den Dünen. Unterdessen surrt eine Drohne am Himmel, und ein Flugzeug der Grenzschutzagentur Frontex überfliegt die Küstenlinie.

Nicht alle bekommen einen Platz im Schlauchboot

Schließlich nähert sich das von den Migranten erwartete "Taxiboot" der Küste. Männer, Frauen und Kinder rennen erneut in Richtung Wasser, Kleinkinder werden von ihren Eltern auf den Schultern getragen. Minutenlang herrscht Chaos, die Menschen versuchen aufgeregt, in das Boot zu klettern. Sie stehen im schultertiefen Wasser, manche von ihnen verlieren den Boden unter den Füßen, viele schreien.

Ein Motorboot der französischen Marine nähert sich und umkreist das Flüchtlingsboot. Mitglieder einer anderen Gruppe versuchen im allgemeinen Chaos ebenfalls einen Platz in dem Boot zu ergattern. Die Polizei hält zwei Frauen zurück, die Kleinkinder an der Hand halten.

Nicht allen gelingt es, in das Boot zu klettern. Während das Schlauchboot schließlich die französische Küste hinter sich lässt, läuft eine kleine Gruppe wieder zurück in Richtung eines nahe gelegenen Flüchtlingslagers.

Gravelines, Migranten
Nicht alle Migranten schaffen es an Bord des Schlauchboots. (Aufnahmedatum: 16. Juni 2025) © AFP/SAMEER AL-DOUMY

Nach Angaben der Hilfsorganisation Salam halten sich in der Gegend von Loon-Plage zwischen Calais und Dünkirchen derzeit zwischen 1.500 und 2.000 Menschen auf, die auf eine Überfahrt nach Großbritannien hoffen. Die Lage ist äußerst angespannt. Erst am Wochenende wurden bei einer gewaltsamen Auseinandersetzung in einem der Flüchtlingslager zwei Menschen getötet und sieben weitere verletzt, unter ihnen ein Baby. (AFP/bearbeitet von tas)