Wenn am 12. Mai in den Philippinen Halbzeitwahlen anstehen, bekämpfen sich die zwei mächtigsten Familien im Land. Eine davon droht mit der Abspaltung ihrer Machtbasis im Süden des Landes und der Gründung eines neuen Staates. Droht dem Land der Zerfall?
Droht den Philippinen wirklich eine Sezession, also die Abspaltung eines Teilgebiets, das mit diesem Schritt dann einen neuen Staat gründet? Dies ist jedenfalls zuletzt immer wieder Thema in dem südostasiatischen Land mit 114 Millionen Einwohnern.
Der Weg zu einem unabhängigen Mindanao, einer südlichen Inselgruppe der Philippinen, glaubt Benito Ranque, dürfte sich in den letzten zwei Monaten deutlich geebnet haben. "Einige Anführer haben vorgeschlagen, das Vorhaben vom 26. April 1986, die Erklärung der Unabhängigkeit, wiederzubeleben", erklärte der philippinische Politiker und Befürworter einer Sezessionsbewegung im Süden des Landes in diesen Wochen. Denn indem der populärste Politiker aus Mindanao festgenommen bleibe, so Ranque, sähen die Menschen keinen Ausweg mehr.
Jener populäre Politiker, dessen Freilassung Ranque und seine Mitstreiter fordern, ist der philippinische Ex-Präsident Rodrigo Duterte. Er wurde am 11. März durch einen Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshof festgenommen und befindet sich seither in Den Haag.
Die Festnahme von Ex-Präsident Duterte
Duterte, der als Präsident von 2016 bis 2022 im Zuge seines blutigen Drogenkriegs für den Tod von bis zu 30.000 Menschen verantwortlich gemacht wird, werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Aber die Unterstützer des 79-jährigen, die vor allem über soziale Medien immer wieder mit Fakenews Stimmung machen, nennen die Festnahme illegal. Und drohen damit, was Duterte selbst schon vor einem guten Jahr laut dachte: Die Abspaltung von Mindanao, wo die Familie Duterte ihre Machtbasis hat.
Das Thema kocht auch deshalb wieder auf, weil in den Philippinen am 12. Mai Halbzeitwahlen stattfinden, in denen zwar nicht der Präsident gewählt wird, aber das Parlament und Teile des Senats. Und der Wahlkampf hat sich zu einem Zweikampf der im Land derzeit mächtigsten Familien entwickelt: Auf der einen Seite ist da das "Marcos-Camp", angeführt von Ferdinand Marcos Junior, Sohn des gleichnamigen Ex-Diktators. Ihm gegenüber die Dutertes. Sara, die Tochter des Ex-Präsidenten, ist Vizepräsidentin.
Bei der letzten Präsidentschaftswahl 2022 hatten die Marcoses und Dutertes noch als "Einigkeitsteam" die Wahl gewonnen. Im von Politikerdynastien geprägten Land konnten sich die zwei Familien so gegenseitig vor rechtlicher Verfolgung schützen: Die Marcoses müssten aus der 1986 geendeten Militärdiktaturzeit eigentlich noch Milliarden gestohlener US-Dollar zurückzahlen. Den Dutertes haften dagegen vor allem die Tötungen von Menschen an, durch die sie das Land offiziell sicherer machen wollten.
Die mächtigsten Familien: Aus Freund wird Feind
Aber das Tischtuch zwischen den Familien ist zerschnitten. Sara Duterte hat gegenüber Präsident Marcos Junior bereits Morddrohungen geäußert, gegen sie läuft seither ein Amtsenthebungsverfahren.
Die Festnahme Rodrigo Dutertes wäre wiederum ohne Mithilfe durch Marcos Junior schwer zu erklären. So sehen sich die Dutertes von der Macht verdrängt – und sehen einen Ausweg aus ihrer Misere nun in der Unabhängigkeit ihrer Heimatregion.
"Es ist ein Thema, das die Dutertes gerne zücken", beobachtet Danilo Arao, Professor für Medienwissenschaften an der University of the Philippines in Manila. "Das Narrativ, dass die Hauptstadt Manila im Norden wie ein Imperium alle nationale Macht konzentriere, ist populär." Wie ernst es die Dutertes und ihre Mitstreiter mit dem Vorhaben wirklich meinen, sei schwer zu sagen, so Arao: "Aber einfach nur Gerede ist es nicht. Eine Sezession könnte die Exit-Strategie sein."
Das wiederkehrende Thema der Abspaltung
Im überwiegend katholischen Land ist der Süden, wo mehr muslimische Menschen leben, schon lange ein Hort von Unabhängigkeitsbewegungen. Einst versuchte etwa die Moro Islamic Liberation Front, den Süden abzuspalten, ehe sie 2014 einen Waffenstillstand mit Manila erzielte. Rodrigo Duterte betonte schon vor gut einem Jahr, dass eine Abspaltung "keine blutige werden würde." Denn es gebe einen von den Vereinten Nationen (UN) geregelten Prozess dafür.
Wobei der Verweis auf einen geregelten UN-Vorgang zu den vielen Halbwahrheiten gehört, mit denen Duterte schon als Präsident auffiel. Dem Faktencheckportal Verafiles erklärte Domingo Cayosa, ehemaliger Vorsitzender der Anwaltsvereinigung Integrated Bar of the Philippines, eine rechtmäßige Sezession sei "praktisch unmöglich."
Zwar seien Unterschriftensammlungen für eine Unabhängigkeit Ausdruck von Selbstbestimmung. "Aber man bräuchte auch die Kooperation aller anderen Provinzen", sagte Cayosa.
Vermeintliche Unterstützung aus dem Ausland
Das Duterte-Camp streut die These, dass es auch international Befürworter einer Unabhängigkeit Mindanaos gebe. Auf sozialen Medien wurde etwa ein Tiktok-Post mehr als 1,2 Millionen Mal angesehen, der behauptet, Russlands
Das Onlineportal Rappler von der Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa widerspricht: "Keine Dokumente, offiziellen Regierungsstatements oder glaubwürdigen Berichte zeigen, dass Putin Unterstützung ausgedrückt hat."
Das Duterte-Camp insinuiert dennoch, dass man auf Unterstützung aus China oder Russland hoffe. Und sollten die Dutertes im Machtkampf gegen die Marcoses unterliegen, aus der Wahl am 12. Mai als Verlierer hervorgehen und der Patriarch Rodrigo vorm Internationalen Strafgerichtshof, wo der Prozess im Herbst beginnen soll, schuldiggesprochen werden, könnte das Thema noch mehr an Fahrt aufnehmen. Das erwartet nicht nur Duterte-Unterstützer Benito Ranque, sondern auch Danilo Arao.
Schlimmstenfalls könnte es dann blutig werden. Regierungsverantwortliche, die Marcos nahestehen, haben schon erklärt, dass sie alle Mittel verwenden würden, um eine Abspaltung zu verhindern. Rodrigo Duterte wiederum kokettiert gerne damit, dass er um die 500 Waffen besitzt.
Dass er und seine Vertrauten bereit sind, sie auch einzusetzen, wurde spätestens während Dutertes sechsjähriger Präsidentschaft im ganzen Land deutlich – weshalb er nun in Den Haag in Haft sitzt.
Verwendete Quellen
- theguardian.com: Philippines says it is ready to use force to quell secession attempts as Duterte row deepens
- newsinfo.inquirer.net: Duterte now wants ‘separate, independent’ Mindanao
- verafiles.org: FACT SHEET: Mindanao secession: Is it possible under Philippine, international laws and UN process?
- rappler.com: FACT CHECK: No statement from Putin backing calls for Mindanao secession
- tribune.net: Ranque warns FPRRD arrest may hasten independence of Mindanao
- Interview mit Danilo Arao