Der russische Angriffskrieg in der Ukraine sorgt in einzelnen NATO-Staaten für Debatten um die eigene Wehrhaftigkeit. Besonders in Deutschland wird bereits vermehrt in die Bundeswehr und deren Aufrüstung investiert. Bei "Markus Lanz" warnte Joachim Gauck eindringlich davor, die Kriegsgefahr zu verharmlosen oder gar Alarmismus zu vermuten.
Das Thema der Runde
Die Debatten um die deutsche Kriegstüchtigkeit und Aufrüstung der Bundeswehr reißen nicht ab. Bei "

Die Gäste
Bundespräsident a.D.
Die Offenbarung des Abends
Am Donnerstagabend traf Markus Lanz den ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck zum traditionellen Sommergespräch. Dabei wollte der ZDF-Moderator wissen: "Wenn wir Milliarden für Rüstung ausgeben, werden wir dann auch automatisch wehrtüchtig in unseren Köpfen?"
Gauck offenbarte, dass ihm die mentale Schwäche der Bevölkerung tatsächlich mehr Sorgen bereite als "die militärische Schwäche", denn: "Es ist nicht ein Krieg, der droht, sondern ein Krieg, der existiert - und der existiert in Europa." Gauck ergänzte, dass er "nervös" werde, wenn er merke, dass einige Bürger die Kriegsbedrohung nicht ernst nehmen: "Ich will mit Leuten darüber reden. Und das Reden soll bedeuten: Aufwachen! Nicht das Wort Zeitenwende immer mal wieder zitieren, aber die tatsächlich erforderliche Wende im Inneren, (...) die verschieben wir."
Wenn "ein Teil der Bevölkerung (...) die Warnungen" als "übertrieben" abtut, verschleiere das laut Gauck "die tatsächliche Bedrohungslage. (...) Wir haben genug Hinweise, dass auch eine Form von Krieg im Gange ist, der hybrid ist".
Laut des Politikers nutze Putin mehrere Eskalationsstufen: "Dieses Angstmachen, das ist eine seiner Waffen. Er kennt uns Deutsche, wir ängstigen uns schneller als unsere Nachbarn." Gauck redete sich weiter in Rage und sagte: "Ich hasse diesen Krieg und ich hasse Kriege! Ich sehe noch die Angst in den Augen meiner Großeltern als kleines Kind."
"All das, was mit Krieg zusammenhängt" sei laut Gauck "ganz tief in meinem Herzen verankert und ich bin total glücklich, in einem Land zu leben, das ein Land des Friedens ist". Gerade deshalb brauche es "ein neues Bewusstsein davon, was diese Freiheit wert ist". Wie Gauck erklärte, sei es "nicht friedensgefährdend, (...) wenn wir anfangen, zu lernen, uns wieder zu verteidigen".
In dem Zusammenhang wollte Lanz wissen, warum "das Autoritäre" plötzlich für viele Menschen wieder "so attraktiv" zu sein scheint. Joachim Gauck verriet, dass "das große Versprechen der Freiheit" für viele zur Enttäuschung wurde. Daraus entstanden sei "eine große Unsicherheit".

"Es ist nicht eine Gegnerschaft schon zur Demokratie, aber eine Fremdheit. (...) Fremdheit ist immer mit Ängsten verbunden", so Gauck. Er merkte an: "Wenn diese Ängste dann von der demokratischen Mitte nicht aufgenommen werden, (...) dann ist das ein weites Feld für die Populisten aller Couleur."
Wie der ehemalige Bundespräsident weiter erklärte, komme "aus der Fremdheit" häufig "so eine Sehnsucht danach, doch stärker behütet zu sein". Grund genug für Lanz, zu fragen: "Sollte die AfD verboten werden?" Gauck antwortete prompt: "Nein! (...) Ich finde, dass wir sie dann ja noch größer machen." Als Lanz weiter nachhakte, ob eine Zusammenarbeit zwischen Union und AfD denkbar wäre, wiegelte Gauck erneut ab: "Eine anständige Union kann mit dieser AfD nicht koalieren. Wir wissen nicht, was in 20 Jahren sein wird. (...) Aber im Moment: Nein!"
Der Erkenntnisgewinn
Bei "Markus Lanz" äußerte sich Joachim Gauck kritisch zur aktuellen Verfasstheit der deutschen Bevölkerung. "Eigentlich könnten wir an uns glauben", so der Politiker, der von einer "Kultur des Verdrusses" sprach, die in bestimmten Kreisen mit Intelligenz verwechselt werde.
"Mir reicht es manchmal", so Gauck streng. Der ehemalige Bundespräsident ergänzte, dass den Deutschen "das Vermögen abhandengekommen" sei, "an uns selber zu glauben, als Personen, die imstande sind, das Gelingen zu organisieren. (...) Da gibt es ein Defizit (...). Das Land glaubt zu wenig an das, was es selber geschaffen hat".
Empfehlungen der Redaktion
Doch nicht nur der Blick auf die eigene Bevölkerung machte Gauck sichtlich emotional. Auch Israels Militärschläge in Gaza lösten bei dem Politiker gemischte Gefühle aus. Er offenbarte, dass er immer an der Seite Israels stehen werde, gab jedoch unter Tränen zu: "Meine Kritik an der israelischen Politik, (...) das muss ich aus mir rauspressen. Das sage ich quasi unter Tränen."
Gauck weiter: "Wenn diejenigen, auf die man so viel Hoffnung gesetzt hat, (...) wenn man dann sieht, dass dieses Land, dem man sich so verbunden fühlt, auf diese Abwege gerät, dann ist da nicht nur Zorn, sondern auch einfach eine tiefe Traurigkeit in einem." © 1&1 Mail & Media/teleschau