Vom kostenlosen Freizeitpark bis zum Stimmenkauf – Gagausien wird zum Instrument Russlands gegen die Republik Moldau. Versuche proeuropäischer Kräfte, die autonome Region für sich zu gewinnen, bleiben erfolglos.
Löwe, Elefant und Hund drehen sich im Kreis. Aus dem Lautsprecher tüdelt fröhliche Musik. Im Karussell sitzt als einziger Fahrgast ein Junge. Die Eltern winken ihm vom Rand aus zu. Kaum kommen die sich drehenden Wagons zum Stehen, springt das Kind heraus und rennt zur nächsten Attraktion. Im Vergnügungspark "GagauziyaLand" können die Menschen den Alltag hinter sich lassen. Abschalten. Ihren Kindern etwas bieten. Der Eintritt ist frei.
Auf einer Brachfläche, umgeben von Feldern, erbaut der moldauische Oligarch Ilan Schor ein Stück Freude. Der Freizeitpark steht nahe dem Dorf Congaz in dem autonomen Gebiet Gagausien in der Republik Moldau. Im Zuge einer Pressereise der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung besucht unsere Redaktion die Region im Vorfeld der Parlamentswahlen.
"GagauziyaLand", der Oligarch Schor und Gagausien versinnbildlichen, wie es Russland gelingt, Einfluss in der ehemaligen Sowjetrepublik Moldau auszuüben. Der prorussische Moldauer Geschäftsmann und Politiker Schor stahl rund eine Milliarde US-Dollar aus dem moldauischen Bankensystem und floh zunächst nach Israel und später nach Russland. Mittlerweile wurde gegen ihn eine Gefängnisstrafe von 15 Jahren verhängt und seine nach ihm benannte Partei für verfassungswidrig erklärt.
Aus dem russischen Exil zieht er weiter seine Strippen, um proeuropäischen Kräften wie der Präsidentin Maia Sandu und ihrer sozialliberalen Partei Partidul Acțiune și Solidaritate (PAS, deutsch: Partei der Aktion und Solidarität) zu schaden. Mit dem kostenlosen Freizeitpark in der verarmten Region Gagausien "erkauft" er sich das Vertrauen und die Sympathie der Menschen. Doch das ist nur ein Teil der Einflussnahme.
Russland oder EU? Das Sorgenkind Gagausien in der Moldau
Auf der Fahrt von der Hauptstadt Chișinău holpert der Kleinbus über die ehemaligen sowjetischen Straßen, bestehend aus Betonplatten. Die Farben der EU-Flagge sind außerhalb Chișinăus nur noch vereinzelt auf großen Schildern anzutreffen. Sie weisen darauf hin, wenn etwas mit Geldern der Europäischen Union gebaut wurde. Wie zum Beispiel ein ebener, asphaltierter Fahrweg, der für eine Weile Erholung für Kopf und Nacken bringt. Zwischen Mais und Sonnenblumen blitzt eine Pferdekutsche hervor, ein Feld weiter erntet ein moderner Mähdrescher Getreide. Kyrillische Buchstaben springen einem ins Auge. Südlich von Chișinău dominiert das Russische.
In Gagausien blickt eine deutliche Mehrheit der Bewohner nach Moskau. Europa ist den Menschen fremd. Die dort lebende turksprachige Volksgruppe wurde während der Sowjetzeit russifiziert. Nach der Unabhängigkeit Moldaus 1991 erklärten die Gagausen in der Sowjetunion eine eigene "Gagausische Sozialistische Sowjetrepublik". Es kam zu einem Separationskonflikt, der 1994 mit der Verabschiedung eines Autonomiestatuts für Gagausien endete. Zu den knapp 160.000 Einwohnern gehören heute neben den Gagausen auch Russen, Moldauer, Bulgaren und Ukrainer. Die Region verfügt über eine weitreichende Autonomie innerhalb Moldaus mit drei Amtssprachen, einer eigenen Regierung und einer Gouverneurin, die jüngst internationale Schlagzeilen machte.
"Sie fuhr mehrmals im Monat per Auto nach Moskau", sagt der gagausische Journalist Mihail Sirkeli in seinem Büro in Comrat, der Hauptstadt der autonomen Region. Bei Kaffee und Tee kritisiert er offen Gouverneurin Evghenia Gutul. Mit seinem Nachrichtenportal nokta.md ist er eine der wenigen proeuropäischen Stimmen in Gagausien. Schor bezeichnet er als "Gamechanger" in der Region. Das zeige der Fall Gutul.
Russlands langer Arm in Moldau: Ein verurteilter Oligarch und seine Komplizin
Die Gouverneurin der autonomen Region Gagausien wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf: Wahlbeeinflussung mit russischem Geld. Zwischen 2019 und 2022 soll die heute 38-Jährige in ihrer Eigenschaft als Sekretärin der Schor-Partei laut der moldauischen Antikorruptionsstaatsanwaltschaft rund 2,2 Millionen Euro von Moskau in die Republik Moldau transferiert haben. Mit dem Geld habe sie politische Kampagnen unterstützt, Wähler beeinflusst und prorussische Narrative gefördert, die den Interessen der Schor-Partei dienen.

Im Regierungsgebäude in Comrat gibt es nur wenige Politiker, die sich gegen den Einfluss von Schor wehren. Einer von ihnen ist Alexandr Tarnavschi, Abgeordneter der Volksversammlung von Gagausien (PAG). Er habe Gutul damals aufgerufen, sich von Schor zu distanzieren. Mit verschränkten Armen vor der Brust spricht er bestimmend. Zwischen den Worten schwingt Frust. Gagausien, wie er meint, ist heute isoliert und die Gesellschaft radikalisiert.
Die Schor-Leute hätten den Menschen viel versprochen: Investitionen von 5 Millionen, 700.000 neue Arbeitsplätze und einen Flughafen. Die Realität sieht anders aus: Anzahl der Unternehmen, Haushaltseinkommen, Investoren – alles sei geschrumpft. "Und wem schieben die Schor-Leute die Schuld zu? Der Zentralregierung in Chișinău", sagt der Politiker. Sie würde angeblich alle Vorhaben verhindern – auch die monatliche Auszahlung von 100 Euro.
Seit April 2024 wird dieser "Hilfsbetrag" ausgezahlt, nach Absprache mit Moskau, wie Tarnavschi sagt. Das Geld gelangt über dubiose Wege zu den Menschen. Eine Undercover-Recherche der unabhängigen Zeitung "Ziarul de Garda" hat den Vorgang des Stimmenkaufs durch das Schor-Netzwerk vor der Präsidentschaftswahl 2024 aufgedeckt. "Die Behörden haben die Menschen aufgerufen, die Anträge zu stellen, aber ihnen verheimlicht, dass diese Vereinbarung im Rahmen der Gesetzgebung illegal ist", sagt er. Chișinău sieht es als Wahlkorruption an und droht mit Geldstrafen von bis zu 2000 Euro. Viel Geld für eine Person in Gagausien, wo die Durchschnittsrente bei rund 100 Euro liegt.
Tarnavschi zeigt auf ein Plakat, das neben seinem Schreibtisch hängt. "Damit will Chișinău die Leute abschrecken." Auf Rumänisch warnt es davor, das Geld anzunehmen. Viele hätten schon eine Strafe erhalten und ziehen damit vor Gericht. Meist erfolgreich mit dem Argument, dass die Hilfsbeiträge nicht nur während der Wahl auf das Konto flossen. Auch Journalist Sirkeli erhielt Post von der Polizei.

Moldau: Russland-Freund Schor und der Stimmenkauf in Gagausien
"Im Brief stand, dass man gegen mich ermittelt, Schor-Geld angenommen zu haben. Aber es war mein Vater", sagt er. Damals kaufte er ihm ein Handy und die Telefonnummer lief auf seinen Namen und genau die hat sein Vater auf dem Antrag angegeben. Sirkeli gilt in seiner Familie als Außenseiter mit seinen Ansichten. Eltern und Geschwister sind der russischen Propaganda verfallen. Seiner Meinung nach investiert Schor mit den monatlichen 100 Euro in die Menschen, um sie zu mobilisieren, damit sie die Person wählen, auf die er mit dem Finger zeigt.
Mit dem Geld könne Schor 30.000 Stimmen an sich binden, sagt Politiker Tarnavschi. Das bilde die Mehrheit der Wählerschaft in Gagausien, wo etwa 50.000 Menschen wählen. Er geht davon aus, dass Schor das gestohlene Geld aus den moldauischen Banken dafür nutzt. Ob er sich fürchtet, sich offen gegen den Oligarchen auszusprechen, verneint er. Der gebürtige Gagause hätte einfach seinen Mund halten und Karriere machen können. "Aber ich fühle mich der Wahrheit verpflichtet", sagt er und führt die Oppositionsarbeit fort, auch wenn diese mühsam ist. Viele Menschen würden seine Ansichten im Geheimen teilen. Er geht davon aus, dass 12 Prozent in Gagausien einen proeuropäischen Kurs unterstützen würden. "Die Leute verstehen immer besser, in welche Lage sie Schor gebracht hat", sagt er.
"Destroy it": Gagausien-Journalist fällt Urteil über seine Heimat
Sirkeli sieht die Zukunft pessimistisch: "Gagausien ist ein hoffnungsloser Fall." Auf die Frage, was Chișinău unternehmen könnte, um die Region zurückzugewinnen, sagt er trocken: "Destroy it", "Schafft es ab". Tarnavschi kritisiert hingegen das mangelnde Interesse an der Region. Er fragt etwa EU-Vertreter, warum sie nicht nach Gagausien kommen, sich nicht mit den Leuten in Betrieben, Kindergärten, Schulen austauschen, um ihnen zu zeigen, dass sie nicht isoliert seien, dass Russland nicht die einzige Option darstelle. "Comrat arbeitet mit Verbrechern und Chișinău übt Druck aus. Das führt zur Radikalisierung", warnt er. Ihm fehlt es an produktivem Austausch.
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Auch der Besuch beim Wahlkampfteam der PAS weckt den Eindruck, dass die Regierungspartei die Region weitgehend ignoriert. Fokus und Ressourcen liegen auf anderen Zielgruppen. Das zeigt etwa das Wahlprogramm, das es nur auf Rumänisch gibt. Kurz vor den Parlamentswahlen am 28. September ist von der PAS, die um die absolute Mehrheit ringen muss, nur wenig in Gagausien zu sehen. Für den Moldauer Journalist Mihail Nesteriuc ist das besorgniserregend.
Beim gemeinsamen Abendessen wechselt der junge Medienschaffende zwischen Russisch und Rumänisch. Dass die PAS nicht auch russischsprachige Wähler anspricht, sieht er als einen "Teufelskreis". "Nicht alle von ihnen seien pro-Putin und durchaus beeinflussbar, wenn sich jemand an sie wenden würde, sagt er. Gerade in Gebieten wie Gagausien, wo die Mehrheit der Bevölkerung Russisch spricht und dadurch die Kreml-Propaganda auf fruchtbaren Boden trifft. Dort, wo EU-Spenden auf vereinzelten Schildern übersehen und ignoriert werden, aber sich ein verurteilter Oligarch als "großzügiger Freund des gagausischen Volkes" inszeniert, indem er illegale Gelder auszahlt und Kindern eine Runde im Karussell spendiert.
Verwendete Quellen
- Recherche während der Pressereise in der Republik Moldau
- Gespräche vor Ort mit Politikerin, Vertretern der moldauischen Partei PAS, Experten und Journalisten
- zdg.md: Serving Moscow. Three months among Shor’s "slaves". ZdG undercover investigation