New York/Moskau/Kiew - Russland hat im UN-Sicherheitsrat vor den für Montag in der Türkei angesetzten Verhandlungen mit Vertretern der Ukraine seine Bereitschaft zu einer möglichen Waffenruhe erklärt. Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja nannte zugleich Bedingungen für ein Ende der Kampfhandlungen. "Für die Dauer der Waffenruhe ist es zumindest erforderlich, dass die westlichen Länder die Waffenlieferungen an das Kiewer Regime einstellen und die Ukraine ihre Mobilmachung beendet", sagte Nebensja in seiner auch in Moskau vom Außenministerium verbreiteten Rede.
Moskau hat für den 2. Juni in Istanbul eine zweite Verhandlungsrunde angesetzt, um mit Kiews Vertretern über eine mögliche Beendigung des Kriegs in der Ukraine zu sprechen. Die direkten Gespräche waren in diesem Monat auf russische Initiative erstmals seit 2022 wieder aufgenommen worden.
Nebensja zufolge könne eine Waffenruhe im Weiteren ermöglichen, an einer nachhaltigen Lösung der ursprünglichen Ursachen des Konflikts zu arbeiten. Russland hatte bisher stets betont, erst den Konflikt grundsätzlich lösen zu wollen und dann eine Waffenruhe zu erwägen. Die Ukraine fordert hingegen bereits seit März auf Grundlage eines US-Vorschlags, dass es zuerst eine 30-tägige Waffenruhe geben solle, um dann an der Lösung des Konflikts zu arbeiten. Der ukrainische
Nebensja nannte nun klar diese zwei Vorbedingungen. Die bisherigen Äußerungen der Ukraine deuteten seiner Meinung nach darauf hin, dass sie sich nicht darauf einlasse. Russland wiederum wolle keine Situation, in der die Ukraine die Waffenruhe zum Durchatmen und Kräftesammeln in dem Krieg nutze. Russland sei bereit, bei den Verhandlungen an diesem Montag in Istanbul über die Bedingungen für einen Frieden zu reden. Die Gespräche seien der "Lackmustest" für beide Seiten, um zu zeigen, ob sie es ernst meinten mit einem Streben nach einem Ende der Kämpfe.

Ukrainischer Außenminister wirft Russland Arroganz vor
In seiner Rede erklärte der russische UN-Vertreter außerdem, dass Moskaus Streitkräfte auch in der Lage seien, die Kampfhandlungen so lange wie nötig fortzusetzen. Schon jetzt könne sich jeder davon überzeugen, dass die russische Armee praktisch an der gesamten Frontlinie vorankomme.
Der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha warf Russland auf der Plattform X angesichts des Hinweises auf Moskaus militärische Stärke Arroganz vor. "Das ist Russlands Schlag ins Gesicht all jener, die sich für Frieden einsetzen", sagte er über Nebensjas Rede. Nötig sei mehr Druck auf Russland. "Sie verstehen weder eine normale Haltung noch die diplomatische Sprache; es ist an der Zeit, mit ihnen in der Sprache der Sanktionen und der verstärkten Unterstützung für die Ukraine zu sprechen", sagte Sybiha.
Selenskyj spricht mit Erdogan über Ukraine-Verhandlungen
Präsident Selenskyj ließ eine Teilnahme Kiews an der neuen Verhandlungsrunde weiter offen. Bei einem Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sei es um die Bedingungen einer Beteiligung der Ukraine an den Verhandlungen gegangen, teilte Selenskyj am Abend auf der Plattform X mit. Details nannte er nicht, sagte aber, dass es bei einer ukrainischen Teilnahme echte Ergebnisse geben müsse.
Der jüngste Gefangenenaustausch sei ein wichtiges Ergebnis der Verhandlungen in Istanbul gewesen, aber "leider das einzige". Eine Waffenruhe sei für eine Bewegung in Richtung Frieden notwendig, sagte Selenskyj. Das Töten müsse aufhören.
Moskau hat zu dem Treffen am Montag auch ein Memorandum in Aussicht gestellt, das die Ukraine zur Vorabbegutachtung angefordert hatte. Russland lehnte das ab – und will über die Absichtserklärung erst in der Türkei sprechen.
Verletzte bei Angriffen in Ukraine und Russland gemeldet
Die Kampfhandlungen gehen unvermittelt weiter. In der Nacht zum Samstag seien bei einem russischen Angriff auf das grenznahe ukrainische Gebiet Sumy Raketen in einem Wohngebiet eingeschlagen und Lagerhäuser zerstört worden, teilte die regionale Militärverwaltung mit. Mindestens ein Mensch wurde demnach verletzt. Auch aus den Gebieten Charkiw, Donezk, Mykolajiw und Winnyzja wurden Explosionen gemeldet.
Im russischen Gebiet Kursk wurden nach Angaben der Regionalverwaltung bei ukrainischen Drohnenangriffen mindestens zehn Menschen verletzt, wie die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass berichtete. Mehrere Wohnhäuser seien beschädigt worden. Die Angaben beider Seiten ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
Selenskyj trifft US-Senator Graham für mehr Druck auf Moskau
In Kiew traf Selenskyj unterdessen die US-Senatoren Lindsey Graham und Richard Blumenthal und bekräftigte seine Hoffnung auf schärfere Sanktionen gegen Russlands Kriegsmaschinerie. Er sei dankbar für die neue US-Sanktionsinitiative, die von 82 Senatoren unterstützt werde, teilte Selenskyj auf der Plattform X mit. Es brauche mehr Druck auf Russland, um das Land zum Frieden zu zwingen. Selenskyj warf Moskau vor, sich über diplomatische Initiativen lustig zu machen und die Verhandlungen als Tarnung zu benutzen, um eine neue Offensive vorzubereiten.
Russland führe Schläge gegen ukrainische Städte und Dörfer aus und lehne alle Vorschläge für eine Waffenruhe ab, sagte Selenskyj. "Deshalb ist zusätzlicher Druck nötig", betonte er. Der Präsident dankte dem Republikaner Graham und dem Demokraten Blumenthal, dass ihre beiden politischen Lager die Ukraine unterstützen. "Es ist das echte Engagement der Vereinigten Staaten in jeder Phase der Verhandlungen, das einen verlässlichen Frieden garantieren kann", sagte Selenskyj.
Graham: Ukraine kann US-Waffen kaufen
Graham und Blumenthal trafen sich bei ihrem Besuch in der ukrainischen Hauptstadt auch mit Regierungschef Denys Schmyhal, um über einen Ausbau der Handelsbeziehungen zu sprechen. "Ich erwarte, dass sich diese Geschäftsbeziehung auf den militärischen Sektor konzentrieren wird, dass der militärisch-industrielle Komplex der USA der Ukraine Waffen verkaufen wird, die wir entwickelt haben. Andere Länder könnten sie von uns kaufen und an die Ukraine liefern", sagte Graham der Agentur Interfax-Ukraine zufolge auf einer Pressekonferenz.
Graham und Blumenthal haben ein Paket neuer Sanktionen gegen Russland vorbereitet, das im US-Senat auf eine große, überparteiliche Mehrheit zählen kann. Graham will damit jedoch den Vermittlungsbemühungen seines Parteifreunds US-Präsident Donald Trump nicht zuvorkommen. Zudem ist aktuell noch unklar, ob das Sanktionspaket auch im Repräsentantenhaus auf eine Mehrheit zählen könnte. © Deutsche Presse-Agentur