Russland nutzt Waffen, Öl und Diplomatie, um in Lateinamerika wieder Fuß zu fassen. Das ist in den letzten Jahren gut gelungen – trotz Ukraine-Krieg und internationaler Ächtung. Die USA stehen deshalb in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft vor neuen Herausforderungen.
Im Juni 2024 nahmen mehrere Schiffe der russischen Marine Kurs auf Havanna. Teil des Verbands waren die Fregatte Admiral Gorshkov, ausgestattet mit modernsten Hyperschallraketen, sowie das Atom-U-Boot Kazan, dessen Raketen im Ernstfall Ziele in bis zu 2.000 Kilometern Entfernung erreichen könnten.
Um einen dritten Weltkrieg auszulösen, brauchte es solche Reichweiten aber nicht: Die USA sind von Havanna nur eine Armlänge entfernt, die Ferienstadt Key West liegt gerade einmal 170 Kilometer nördlich. Es war zwar nicht das erste Mal, dass russische Kriegsschiffe so nah an den Vereinigten Staaten einliefen. Im Kontext des Ukraine-Kriegs war diese Machtdemonstration trotzdem eine Provokation erster Güte.
Lateinamerika ist eine Bühne für Wladimir Putin
Dass Russland ausgerechnet in Kuba die Muskeln spielen ließ, ist nicht besonders überraschend. Havanna ist seit Jahrzehnten der verlässlichste Partner Moskaus in Lateinamerika. Wo im Kalten Krieg sowjetisches Öl floss, liefert heute das Putin-Regime Diesel und Devisen in das von Sanktionen gebeutelte Land. Kuba revanchiert sich mit politischer Rückendeckung, stimmt in der UN häufig im Sinne Russlands oder dient
Es dürfte westliche Beobachter darum eher besorgen, dass es Moskau trotz Ukraine-Krieg und internationaler Ächtung zunehmend gelingt, mit einer Mischung aus gezielter Energie-Diplomatie und militärischer Kooperation seinen Einfluss in anderen lateinamerikanischen Staaten auszubauen. Für Gerhard Mangott, Politikwissenschaftler an der Universität Innsbruck, ist dies Teil einer größeren Strategie: Russland verschafft sich Einfluss in der traditionellen US-Hemisphäre und schwächt zugleich die Dominanz Washingtons. "Durch militärische Kooperationen und diplomatische Unterstützung autoritärer Systeme positioniert sich Russland als Alternative zum politischen Druck der USA", so Mangott im Gespräch mit unserer Redaktion. Die USA seien dadurch zu "ressourcenintensiven Gegenoperationen" gezwungen.
Energielieferungen als ökonomisches Druckmittel
Was das ökonomisch bedeutet, lässt sich vor allem an Brasilien ablesen. Lange Zeit schwankte das Land zwischen enger Anbindung an die USA und einer eigenständigeren Rolle. Die persönliche Nähe zwischen Ex-Präsident Jair Bolsonaro und
Während beispielsweise Europa russisches Öl boykottiert, liefen brasilianische Häfen ab 2023 geradezu mit Tankern aus Russland über, die in ihren Bäuchen verhältnismäßig günstiges russisches Öl geladen haben. Für Brasilien, dessen Landwirtschaft und Transportindustrie massiv auf billigen Treibstoff angewiesen sind, ist das ein enormer Vorteil. Engpässe konnten abgefedert werden, die Preise in dem Land sind weitgehend stabil und die Inflation im Energiebereich unter Kontrolle gehalten werden. So etwas kommt auch bei der heimischen Bevölkerung gut an.
Gegenüber Russland revanchiert sich Brasilien auf der internationalen Bühne, indem es der NATO etwa eine Mitschuld am Ukraine-Krieg zuschreibt oder russische Positionen in multilateralen Foren zumindest rhetorisch stützt. Russland kann durch den neuen Absatzmarkt wiederum die Folgen westlicher Sanktionen zumindest teilweise abmildern.
Bolivien könnte zu Moskaus politischem Joker werden
Auch Bolivien steht im Fokus der russischen Energie- und Rohstoffdiplomatie. Das Land ist nicht nur ein Absatzmarkt für russischen Treibstoff, sondern zugleich auch Teil von Projekten im Lithiumabbau, also jenem strategischen Rohstoff, der für Batterien und moderne Technologien unverzichtbar ist. Gelingt es Moskau, sich hier dauerhaft Einfluss zu sichern – was stand heute noch nicht ausgemacht ist – hätte es einen geopolitischen Joker in der Hand und würde sich gleichzeitig unabhängiger von China machen.
Billige Energie ist aber längst nicht der einzige Köder, den Russland hinwirft, um sich in Lateinamerika auszubreiten. Forscher der National Defense University in Washington schätzen, dass Russland allein in den letzten zehn Jahren rund 2,3 Milliarden US-Dollar an Rüstungsgütern nach Lateinamerika exportiert hat: Kampfflugzeuge, Luftabwehrsysteme und Hubschrauber für Venezuela, die auch gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden, Panzer und Polizeiberater für Nicaragua oder Militärtechnik für Kuba. Für die Empfängerstaaten hat das einen zusätzlichen Reiz: Im Unterschied zu westlichen Partnern knüpft Moskau seine Lieferungen in der Regel nicht an die Einhaltung von Menschenrechtsstandards. Das macht diese Art der Kooperation insbesondere für autoritäre Staaten interessant.
Staaten sind für Jahrzehnte von Russland abhängig
Für Russland geht es dabei weniger um kurzfristige Einnahmen als um langfristige Pfadabhängigkeiten, also die Möglichkeit, sich für Jahrzehnte den Zugriff auf die beteiligten Länder zu sichern. Wo immer sich Russland engagiert, verkauft es nämlich meist komplette Sicherheitspakete, also nicht nur das Gerät, sondern auch Wartung, Ausbildung und Berater. Einmal abhängig, bleiben Länder wie Venezuela dann auf russische Unterstützung angewiesen. Selbst wenn der Westen liefern wollte, könnte Caracas nicht von einem Tag auf den anderen von russischer auf NATO-Technik umstellen.
Der wahrscheinlich wichtigste Nutzen für Russland ist jedoch die geopolitische Präsenz in unmittelbarer Nähe zu den USA. Ein Beispiel dafür ist Nicaragua, das nach Ansicht des Osteuropa-Experten Mangott "ein strategischer Brückenkopf in Lateinamerika" für Russland ist. Russland hat in dem Land, das wegen schwerster Menschenrechtsverletzungen und Wahlbetrugs international isoliert ist, Zugang zu Häfen, Stützpunkten und militärischer Infrastruktur und liefert über 90 Prozent der nicaraguanischen Militärausrüstung. "Das generiert Einnahmen für Russland und längerfristige Abhängigkeit Nicaraguas von Russland", so Mangott.
Für besondere Aufmerksamkeit sorgt seit 2017 eine von Russland betriebene Satellitenstation für das Navigationssystem GLONASS, dem Pendant zum amerikanischen GPS. Die streng abgeschirmte Anlage, die von russischem Personal betrieben wird, liegt wenige Gehminuten von der US-Botschaft in Managua entfernt. Für Mangott spricht vieles dafür, dass es weniger um zivile Navigation geht als vielmehr darum, den US-Militärverkehr in der Region zu überwachen oder gar Spionage zu betreiben.
Nicht zu unterschätzen ist auch die Propagandawirkung, wenn russische Kriegsschiffe in unmittelbarer Nähe der USA einlaufen. Solche Vorposten sind für Russland ein kostengünstiges Mittel der Machtprojektion: Mit vergleichsweise geringen Investitionen erzielt Moskau eine enorme symbolische Wirkung, wenn Kriegsschiffe im Karibikraum auftauchen oder modernste Technologie direkt an der US-Grenze betrieben wird.
Freihandel als Möglichkeit für Einflussnahme
Sorge bereitet Washington inzwischen auch Mexiko. Die Migrationsbewegungen an der Grenze machen sind eines der wichtigsten innenpolitischen Themen in den USA, mittlerweile wird befürchtet, dass Russland Geheimdienstmitarbeiter nach Mexiko einschleusen könnte. US-General Glen VanHerck, Leiter des Nordkommandos, warnte bereits 2022 im Senat, Moskau beobachte "seine Einfluss- und Zugangsmöglichkeiten in den Vereinigten Staaten sehr genau". Mexiko könnte damit zu einem Einfallstor werden.
Die USA reagieren auf die Aktivitäten Russlands in Lateinamerika mit einer Mischung aus diplomatischem, militärischem und ökonomischem Druck. In den letzten Jahren haben die Amerikaner etwa die Kooperation mit Guatemala, Panama und Kolumbien intensiviert. Kolumbien erhält seit Jahrzehnten umfangreiche Militär- und Polizeihilfe, Panama öffnete zuletzt erneut seine Häfen für US-Nutzung, und Guatemala arbeitet eng mit Washington beim Grenz- und Migrationsmanagement zusammen. Zudem hat auch die Präsenz von US-Streitkräften in der Region zugenommen.
Experten bezweifeln jedoch, dass ein Fokus auf reine Sicherheitszusammenarbeit ausreicht, um lateinamerikanische Staaten dauerhaft aus der russischen Einflusssphäre rauszuhalten oder gar wieder herauszulösen. Das Atlantic Council, eine einflussreiche US-Denkfabrik, kritisiert in einer umfangreichen Studie genau diesen Ansatz: Washington habe seine Kooperationen mit lateinamerikanischen Staaten zu lange auf Migration, Drogenbekämpfung oder Sicherheit verengt. Felder wie Handel, Investition und Zukunftstechnologie seien dagegen gezielt von Russland, und zunehmend auch von China, besetzt worden.
Empfehlungen der Redaktion
Die USA müssten deshalb demonstrieren, dass eine Partnerschaft mit ihnen nicht nur Sicherheit bringt, sondern auch Wohlstand. Das könne über Freihandelsabkommen mit Staaten gelingen, die sonst stärker in Richtung China oder Russland tendieren, über den erleichterten Zugang zu amerikanischem Kapital oder über Versorgungsgarantien bei internationalen Krisen.
Sollte den USA unter Donald Trump das nicht gelingen, droht die geopolitische Balance in Lateinamerika neu austariert zu werden – mit Folgen weit über die Karibik hinaus.
Über den Gesprächspartner
- Gerhard Mangott ist Professor für Politikwissenschaft mit den Schwerpunkten Internationale Beziehungen und Sicherheit im postsowjetischen Raum an der Universität Innsbruck.
Verwendete Quellen
- National Defense University: Dangerous Alliances, Russia’s Strategic Inroads in Latin America
- elpais.com: US general: Russia has more spies deployed in Mexico than in any other country
- atlanticcouncil.org: Redefining US Strategy with Latin America and the Carribean for a new era