Ruben Mawick ist ausgebildeter Rettungssanitäter, zuvor diente er sieben Monate lang in der Bundeswehr. Als Russland den Großangriff auf die Ukraine 2022 startete, stand für ihn fest: Er will helfen – und zwar vor Ort. Freunde und Familie hielten ihn für verrückt. Bei einem Einsatz kam er beinahe ums Leben.
Gemütliche Grillabende mit Freunden, durch die Nächte tanzen oder ein Date im Kino mit der Freundin stehen bei dem 22-jährigen Ruben Mawick diesen Sommer nicht an. Er wird warmes Blut von anderen Menschen auf der Haut spüren. Schreie von Verletzten hören, Schweiß und Staub auf den Lippen schmecken und dem enormen Druck standhalten, im Ausnahmezustand zu funktionieren.
Ruben rettet als freiwilliger Sanitäter Leben in der Ukraine. Als Russland das Nachbarland 2022 überfällt, kann er nicht einfach nur zusehen. Seiner Ansicht nach verteidigen die Ukrainer die Demokratie und Freiheit auch für Europa. Er will seinen Beitrag leisten.
Der junge Mann schiebt sein bequemes und sicheres Leben in Deutschland beiseite und fährt im Sommer 2023 zum ersten Mal ins Kriegsgebiet. Seine Familie und Freunde, sagt er, seien stolz auf ihn, aber nicht sonderlich glücklich über die Entscheidung. Später teilt er seine Eindrücke auf Social Media und geht viral.
Junger Sanitäter unterstützt die Ukraine im Donbass
Seine graugrünen Augen baden auf dem Bildschirm in einem dunklen Schatten unter den Lidern. Voller Energie erzählt er im Videocall von der Ukraine. Doch zwischen den kurzgeschorenen Haaren, buschigen Brauen, kurzem Oberlippenbart und blassem Kinn erkennt man auch eine tiefe Müdigkeit. Mit 22 Jahren hat Ruben schon einiges von seinem Energiekonto abgehoben.

Im Gespräch mit unserer Redaktion erzählt er von Momenten, die vielen Deutschen wohl nur aus Kriegsfilmen vertraut sind. Er sagt, es fällt Leuten schwer, mit ihm umzugehen, wenn er in seine Heimatstadt Werl in Nordrhein-Westfalen zurückkehrt.
Ruben war bereits mehrmals im Einsatz in der Ukraine. Oft ist er für zwei bis sechs Wochen als Sanitäter im Donbass, im Osten des Landes, unterwegs. Unterkunft findet der freiwillige Helfer bei verschiedenen NGO-Häusern oder bei ukrainischen Freunden. Mittlerweile kennt er viele Menschen im Land. "Da ist immer irgendwo eine Couch für mich frei", sagt er.
In der Ukraine arbeitet Ruben für keine bestimmte Organisation, sondern versucht dort zu helfen, wo Hilfe gebraucht wird. Daher sieht jeder Tag anders aus: Zivilisten evakuieren, verwundete Soldaten versorgen, Hilfsmaterial organisieren.
Vom freiwilligen Wehrdienst direkt in die Ukraine
Ganz ohne militärische Kenntnisse ist der junge Mann allerdings nicht ins Kriegsgebiet gezogen.
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Im November 2022 startete Ruben seinen freiwilligen Wehrdienst bei der Bundeswehr. Er will bereit sein, sollte Deutschland jemals angegriffen werden. Vielleicht wäre er Berufssoldat geworden, hätte Russland die Ukraine nicht überfallen.
Im Mai 2023 endete seine siebenmonatige Ausbildung, er verließ die Armee, um eine Woche später in die Ukraine zu fahren.
Auch in diesem Sommer ist er wieder vor Ort. Daheim hat er Abschiedsbriefe hinterlegt. Ruben ist sich der Gefahr des Krieges bewusst. Für die Russen sind Sanitäter ein beliebtes Angriffsziel. Das bekam er am eigenen Leib zu spüren.
Deutscher Rettungssanitäter überlebt russischen Angriff
Während seines zweiten Einsatzes 2023 gerieten er und drei weitere Kollegen unter Beschuss. Für eine humanitäre Hilfsaktion für die NGO "Road to Relief" befanden sie sich in der Umgebung von Bachmut, als eine russische Rakete ihr Fahrzeug traf.
Die Einsatzleiterin starb an Ort und Stelle. Ruben konnte sich selbst aus den Trümmern befreien. Metallsplitter hatten sich durch seine Haut gefressen, ausgelaufener Diesel brannte an den Beinen. Sein Kiefer fühlte sich taub an. Mit den Fingern tastete er seine Zähne im Mund ab. Seine Hände waren komplett mit Blut bedeckt.
Er hält inne, starrt an der Kamera vorbei ins Leere, als spielte sich die Szene vor seinen Augen im Schnelldurchlauf ab.
Bis heute erinnert er sich an den Geruch von verbrannter Haut. "Ich hatte Brandwunden am Bein und ein Loch im Oberschenkel", erzählt er ein Jahr später, während er auf einem Gaming-Stuhl in seinem Wohnzimmer in Deutschland sitzt.
"Ein anderer Kollege lag schwer verletzt auf der Straße. Ich habe ihn noch erstversorgt, so gut es ging, aber …" Ruben stockt mitten im Satz, atmet durch. "Wir mussten ihn zurücklassen", sagt er. Der Mann starb. Eine Entscheidung, mit der der junge Mann bis heute zu kämpfen hat. Er erhielt schwere Vorwürfe, die Person dort liegen gelassen zu haben. Aber er und sein Kollege waren selbst verletzt. Es sei für sie unmöglich gewesen, ihn zu tragen.
"Wären wir geblieben, würde ich heute nicht hier sitzen", sagt der 22-Jährige. Denn nach dem Angriff gerieten sie unter russischen Beschuss. Während der Flucht wiederholte Ruben in Gedanken ein Wort wie ein Mantra: "Weiterlaufen, weiterlaufen." Zähne zusammenbeißen, wie bei den kilometerweiten Märschen während seiner Bundeswehr-Ausbildung.
Sie trafen auf ukrainische Soldaten, waren in Sicherheit. Überlebten.
Narben und ein schwerer Tinnitus erinnern Ruben jeden Tag an diesen Vorfall. Er erhielt eine Hauttransplantation und verlor 40 Prozent seines Hörvermögens. Doch sobald er wieder auf den Beinen war, stand für ihn fest: Er kehrt in die Ukraine zurück.
Ruben kehrt nach schwerer Verwundung zurück in die Ukraine
Seine Eltern hielten ihn für verrückt. Sie konnten es schwer verkraften, dass Ruben zurückwollte. Doch für ihn stand das Ob nie zur Debatte, sondern nur das Wann.
Sätze ihres Sohnes wie "Der Krieg endet nicht, nur weil ich verletzt bin" konnten sie nicht nachvollziehen – schon gar nicht seine endlose Motivation, sein Leben für die Ukraine aufs Spiel zu setzen.
"Die Dinge, die ich dort erlebe, treiben mich an, weiterzuhelfen", sagt Ruben. Es sind für ihn nicht mehr nur Bilder im Fernsehen, sondern echte Menschen, die durch russische Raketen sterben. "Es sind Freunde. Wie könnte ich einfach wegschauen?"
Am Ende geht es Ruben auch darum, Europa vor dem russischen Aggressor zu schützen. Gerade die Deutschen sollten aus ihrer Geschichte lernen, sagt er. "Ich will auf der richtigen Seite der Geschichte stehen."
Ruben ist kein Einzelfall. Als Russland 2022 die Welt mit einer groß angelegten Invasion schockierte, strömten Tausende Ausländer freiwillig in die Ukraine, um bei der Verteidigung des Landes zu helfen, darunter Veteranen, Aktivisten, Ärzte und Sanitäter.
Nicht jeder feiert sie dafür.
Russland-Trolle und Hasskommentare
Ruben erhält auf Social Media viel Hass bis hin zu Morddrohungen. Nicht nur von russischen Bots, sondern auch von Accounts aus den USA. "Mich hassen beide Seiten: die extrem Linken und Rechtsextremen. Doch am Ende überwiegt das positive Feedback", sagt er.
Viral ging etwa ein Post über sein Tattoo. Darauf angesprochen, springt der junge Mann vom Stuhl auf und zieht sein T-Shirt seitlich hoch. Fette, dunkle Buchstaben zieren die helle Haut entlang seiner Taille: Freedom isn't Free (auf Deutsch: Freiheit ist nicht selbstverständlich). Darunter ein Feld aus Kreuzen. Auf zweien sind die Namen der gestorbenen Kollegen des Angriffs in blauer Tinte verewigt.
Von den einen wird er gefeiert, von den anderen gehasst. Aber der Deutsche ist überzeugt, das Richtige zu tun, egal, wie viel Kritik ihm so manche Menschen entgegen schmettern. Auf der Plattform Instagram lässt er fast 24.000 Follower an seinen Einsätzen teilhaben.
Mit seinem Content will Ruben den Menschen ein Gefühl davon geben, wie sich der Alltag in der Ukraine anfühlt.
Am Ende sei es ein normales Leben nur mit Bomben, sagt Ruben. Einkaufen, Auto tanken, im Café Freunde treffen – aber jederzeit kann eine Rakete einschlagen. Demnach ist auch gleichzeitig nichts mehr so wie zuvor. Auch in Rubens Leben.
Er verschränkt die Arme hinter dem Kopf, lehnt sich in die Lehne seines Stuhles und wippt leicht auf und ab. Irgendwie denke er schon manchmal darüber nach, dass er seine "besten Jahre" opfere. Für ihn ist es mit 22 Jahren ganz normal, dass Freunde sterben. Wenn sein Handy vibriert, könnte wieder ein Kollege vermisst oder tot sein.
Verwendete Quellen
- Gespräch mit Ruben Mawick
- instagram.com: Ruben Mawick