Mit Karol Nawrocki als Präsident sieht Polen unsicheren Zeiten entgegen. Der Polen-Experte Pawel Karolewski erwartet, dass der neue Präsident gezielt den Konflikt mit der Regierung suchen wird, um die PiS-Partei zurück an die Macht zu bringen.
Ein gespaltenes Polen hat bei der Präsidentschaftswahl knapp für Karol Nawrocki als neuen Präsidenten gestimmt. Im Ringen um die politische Zukunft Polens ist das ein herber Schlag für die liberalen Kräfte. Durch das umfassende Veto-Recht kann Nawrocki die Regierung blockieren.
Kommt es nun zum Stillstand oder gibt es bald Neuwahlen? Der Politikwissenschaftler Pawel Karolewski erklärt die verschiedenen Szenarien.
Herr Karolewski, Karol Nawrocki ist ein ehemaliger Hooligan mit Verbindungen zur kriminellen Szene. Warum hat ihn trotzdem die Mehrheit der Polen gewählt?
Pawel Karolewski: Bei manchen Wählern hat ihm dieses Image sogar geholfen. Bei der Stichwahl ging es für Nawrocki darum, die überwiegend jungen Wähler des Rechtspopulisten Slawomir Mentzen zu überzeugen, der in der ersten Runde auf 15 Prozent kam. Das ist ihm offenbar gelungen. Gleichzeitig hat die katholische Kirche im Osten Polens und in ländlichen Gebieten seine Kandidatur unterstützt, was ebenfalls sehr wichtig war. Nawrocki hat sich nämlich abtreibungskritisch gegeben, wobei die anderen Aspekte seiner Vergangenheit die katholische Kirche offenbar wenig stören.
Er übernimmt das Amt von Andrzej Duda, der früher PiS-Mitglied war. Nawrocki war zwar nie Teil der Partei, steht ihr aber inhaltlich sehr nahe. Ändert sich durch die Wahl überhaupt etwas?
Ich erwarte, dass Nawrocki als Präsident noch konfrontativer auftreten wird. Duda hat zwar auch vieles blockiert, aber er hat zumindest teilweise mit der Tusk-Regierung kooperiert. Nawrocki könnte sich als noch größerer Störfaktor erweisen.
Sie spielen auf das Veto-Recht des Präsidenten an. Er kann praktisch alle Gesetze blockieren.
Das könnte er. Er müsste das auch nicht mal begründen. Mit Blick auf die Parlamentswahlen könnte er damit aber auch Tusk in die Hände spielen.
Wie meinen Sie das?
Die Regierung hätte eine Rechtfertigung, warum nichts vorangeht. Ob das im Wahlkampf verfängt, ist offen, aber es wäre eine Chance. Die Frage ist auch, ob die Parlamentswahlen wirklich 2027 stattfinden oder nicht schon früher.
Denken Sie, die Regierung strebt Neuwahlen an?
Es wird gerade spekuliert, ob Tusk die Vertrauensfrage stellt, um das Signal zu geben, dass er weiterhin die Mehrheit im Parlament hat. Er würde wahrscheinlich das Vertrauen ausgesprochen bekommen. Die kleineren Parteien in seiner Koalition haben aktuell kein Interesse an Neuwahlen. Sie stehen schlecht da und könnten an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.
"Aktuell dominiert eine populistische Welle in Polen."
Für Neuwahlen spräche, dass es die einzige Möglichkeit ist, die Blockadesituation aufzulösen. Dazu bräuchte die Regierungskoalition allerdings 60 Prozent. Ist das realistisch?
Das wäre aussichtslos. Ich sehe nicht, wie diese Mehrheit in naher Zukunft zustande kommen soll. Aktuell dominiert eine populistische Welle in Polen, was jetzt auch zu diesem Ergebnis bei der Präsidentschaftswahl geführt hat. Wenn es direkt Neuwahlen gäbe, würde die Tusk-Regierung sehr wahrscheinlich die Macht verlieren und die PiS wäre wieder am Ruder.
Kann die PiS frühere Neuwahlen erzwingen?
Anfang 2026 muss der Haushalt für das nächste Jahr beschlossen werden. Wenn Nawrocki diesen blockiert, käme es zu vorgezogenen Parlamentswahlen. Das schreibt die polnische Verfassung so vor. Nawrocki könnte das parteitaktisch nutzten, wenn sich die PiS einen Vorteil von früheren Wahlen erhoffen sollte.
Während ihrer achtjährigen Amtszeit hat die PiS-Regierung den Rechtsstaat in Polen abgebaut und damit die Demokratie geschwächt. Wie würde sie agieren, wenn sie wieder an die Macht kommt?
Die PiS würde die Entdemokratisierung Polens weiter vorantreiben. Sie würde die Veränderungen, die sie schon am Rechtssystem vorgenommen hat, zementieren und vertiefen. Die Demokratie in Polen ist schon seit 2015 in Gefahr, mit einer neuen PiS-Regierung wäre es noch gefährlicher, dass Polen auch den ungarischen Weg geht.
Die Tusk-Regierung konnte die Rechtsstaatlichkeit in Polen bislang nicht wiederherstellen. Sollte die EU gegen Polen nun wieder ein Verfahren eröffnen und Gelder streichen?
Die Tusk-Regierung kann die Gesetze, die die Gerichte betreffen, ohne die Zustimmung des Präsidenten nicht ändern. Auch die wegen Korruption angeklagten PiS-Politiker wird der Präsident vermutlich weiter begnadigen. Ich glaube aber, Brüssel hat Verständnis für die vertrackte Situation und wird erstmal abwarten, wie sich die Lage in den nächsten zwei Jahren entwickelt.
Über den Gesprächspartner
- Ireneusz Pawel Karolewski ist Professor für Politische Theorie und Demokratieforschung an der Uni Leipzig. Er war zuvor Professor für Politikwissenschaft an der Universität Breslau in Polen. 2022 schrieb er gemeinsam mit dem Politikwissenschaftler Claus Leggewie das Buch "Die Visegrád-Connection", in dem die jüngste politische Entwicklung in Polen und den anderen Visegrád-Staaten analysiert wird.