Die USA veröffentlichen eine Liste mit Büchern und Dokumenten, die im Versteck von Osama bin Laden gefunden wurden. Ein genauer Blick zeigt: Der Chef von Al-Kaida beschäftigte sich auch mit Deutschland - und hatte Ideen, wie er Berlin zum Abzug aus Afghanistan bewegen könnte.

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Wie kann man Deutschland zum Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zwingen? Diese Frage hat offenbar den Al-Kaida-Chef Osama bin Laden in seinem Versteck beschäftigt. Das geht aus einem Dokument hervor, das die US-Geheimdienste zusammen mit anderen Fundstücken aus Bin Ladens Unterschlupf veröffentlicht haben - unter dem Namen "Bin Ladens Buchregal".

Darin finden sich Briefe an seine Frau, Bücher von Verschwörungstheoretikern - und auch ein Dokument mit der Überschrift "Deutsche Wirtschaft". Wer genau das Schreiben zu welchem Zweck verfasst hat, ist unklar. In der englischen Übersetzung liest es sich wie eine Mischung aus Datenblatt und Strategie-Papier.

"Das schadet nur unserer Sache"

Zunächst notiert der Verfasser einige Daten zum Außenhandel und schlichte Erkenntnisse wie "Deutschland gilt als Motor der europäischen Wirtschaft." Aus den dünnen Fakten leitet der Autor ab, wie man Deutschlands Wirtschaft schaden könnte - nämlich mit einem Boykott der Automobilbranche, unter dem auch die Zulieferer leiden würden. "Das würde Arbeitsplätze vernichten, Steuereinnahmen mindern und weiteren Schaden anrichten." Das Ziel so eines Boykotts, auch das geht aus dem Schreiben hervor, wäre ein Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.

Noch eine weitere Möglichkeit zieht der Verfasser in Betracht: Angst unter Journalisten schüren. "Wenn sie um ihr Leben fürchten, werden die Medien so berichten, dass die Leute den wählen, der die Soldaten nach Hause holt." Wer gegenüber Deutschen für den Abzug werbe, solle einen wichtigen Rat beachten: "Sprecht nicht über die Juden und Palästina, wenn ihr mit Deutschen redet. Das Thema ist heikel, das schadet nur unserer Sache."

Detaillierte Informationen über Frankreich

In dem umfangreichen Material aus Bücherlisten, Briefen und Texten, die einen Einblick in das Denken von Osama bin Laden geben, spielt Deutschland eine untergeordnete Rolle. Offenbar hat sich der Terror-Chef aber mit dem Islam in Deutschland befasst - zumindest fanden die US-Geheimdienste das Dossier "Islam and Identity in Germany" in Bin Ladens Besitz. Der Bericht war 2007 von der NGO "International Crisis Group" veröffentlicht worden und gibt eine Übersicht über die Situation der Muslime und des Islam in Deutschland.

Allerdings konzentrierten sich die Verfasser auf die türkischstämmigen Muslimen - und unter denen, so die "International Crisis Group", habe der Dschihad nicht viele Anhänger. Das Kapitel über islamistischen Terrorismus wird Bin Laden eher ernüchtert haben: Die Hamburger Zelle um den 9/11-Attentäter Mohammed Atta wird als Einzelfall gewertet, die Wahrscheinlichkeit eines terroristischen Angriffs eher als niedrig eingeschätzt.

Vielleicht ist das ein Grund, warum sich Bin Laden eher auf Frankreich konzentriert hat. Allein 19 Bücher und Dokumente im Besitz des Al-Kaida-Chefs beschäftigen sich mit Deutschlands Nachbarland, das den höchsten Anteil an Muslimen in Westeuropa hat. Darunter finden sich historische Werke über das Frankreich des 18. Jahrhunderts, Berichte über die heutige Einkommensungleichheit - aber auch Abhandlungen über die Wasserversorgung, die Lagerung von Atommüll und den Export von französischer Nukleartechnik.

Allerdings: Wie tiefgründig sich Bin Laden wirklich mit Frankreich und Deutschland beschäftigte - und zu welchem Zweck - wird wohl ein Geheimnis bleiben. Insgesamt haben die US-Geheimdienste angeblich drei Terrabyte Daten gefunden, nur 103 Dokumente wurden nun veröffentlicht. Noch unterliegt der Großteil der Fundstücke also der Geheimhaltung - darunter übrigens auch die Porno-Sammlung des Al-Kaida-Chefs.

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