Am Sonntag haben in den USA tausende Menschen Abschied von Charlie Kirk genommen, dem Mitbegründer der konservativen Organisation Turning Point USA. Ein Politikwissenschaftler warnt vor gezielter Instrumentalisierung durch Trump und die radikale Rechte zur Unterdrückung jeder Regierungskritik.
Am Sonntag ist in den USA der Mitbegründer der konservativen Bewegung Turning Point USA, Charlie Kirk, mit einer großen Trauerfeier verabschiedet worden. Die Veranstaltung zog tausende Menschen an.
Besonders die Rede von Kirks Witwe Erika, die erklärte, dem Attentäter zu vergeben, ging um die Welt. Ebenso wie die Erwiderung des US-Präsidenten, er hasse seine Gegner und wolle ihnen nichts Gutes. Unsere Redaktion hat mit dem Politikwissenschaftler Thomas Greven gesprochen, um das Geschehene einzuordnen.
Die Trauerfeier am Sonntag für Charlie Kirk wirkt in ihrer Bildsprache fast wie eine Heiligsprechung. Welche Bedeutung hat die Inszenierung?
Thomas Greven: Kurzfristig wirkt die Inszenierung natürlich sehr bildgewaltig. Das Ganze läuft mittelfristig darauf hinaus, dass die Trump-Regierung und andere radikal rechte Kräfte den Anschlag für ihre Zwecke ausnutzen wollen. Diese Inszenierung ist nicht der Auftakt, aber ein Puzzlestück in einer groß angelegten Instrumentalisierung, um jegliche Kritik an der Regierungspolitik in Misskredit zu bringen.
Dass der Mann nicht hätte gewählt werden dürfen. Demokraten in allen Ländern müssen sich davor in Acht nehmen, Menschen zu wählen, die schon klar erkennbar in ihren Aussagen für solche Ämter nicht geeignet sind. Das ist ja nicht neu. Trump hat schon bei seinem ersten Wahlkampf Dinge gesagt, die man als Warnsignal hätte lesen müssen, beispielsweise: "Ich akzeptiere ein Wahlergebnis nur, wenn ich gewinne". Und jetzt folgt die Rache. Die hatte er schon im Wahlkampf angekündigt.
Wie sieht diese Rache aus?
Einerseits sagt er, er werde selbst ungerechterweise verfolgt und das sei alles eine Hexenjagd. Im gleichen Atemzug erklärt er aber, "wenn ich kann, werde ich alle meine Feinde bis aufs Letzte verfolgen, und ich bin der Präsident und ich darf alles tun, was ich will". Mehr muss man doch nicht wissen, um zu verstehen, dass so jemand nicht in ein Amt gewählt werden darf. Nichts davon ist überraschend.
Es gab auch so eine Art Verbrüderungssituation zwischen Donald Trump und
Ich habe keine großartigen Zerwürfnisse bei der radikalen Rechten in den USA gesehen.
Auch nicht bei Musk und Trump? Musk kündigte sogar an, eine eigene Partei zu gründen …
Die Interessenunterschiede zwischen Musk und Trump gibt es weiterhin. Aber es war ohnehin nie eine Allianz in dem Sinne eines ideologischen Bündnisses. Das sind transaktionale Akteure, die einfach darauf schauen, was für sie am besten ist, ob kommerziell oder politisch. Das gilt für Trump wie für Musk. Ein wirkliches Zerwürfnis innerhalb der amerikanischen radikalen Rechten hat es jenseits dieser kurzfristigen Missstimmung gar nicht gegeben.
"Sehr vielen der radikal rechten Akteure ist das Christentum nämlich völlig gleichgültig."
Wie deuten Sie dann die Verbrüderungsszene zwischen den Beiden?
Hier scheint es weiterhin darauf hinauszulaufen, dass man sich den Staat zur Beute macht. Der autokratische Kurs wird weiterverfolgt. Dieses vorübergehende Zerwürfnis zwischen Musk und Trump ist da eigentlich nur eine Petitesse. Man muss befürchten, dass die Fairness der Wahlen in den USA genauso in Mitleidenschaft gezogen wird durch die Politik dieser radikalen Rechten wie die Unabhängigkeit der Medien und die Unabhängigkeit der Wissenschaft.
Charlie Kirk hat in seinen Äußerungen erklärt, er kenne keine Trennung zwischen Kirche und Staat. Seine Trauerfeier machte den Anschein, als ob da der Staat mit der Religion verschmelzen würde. Müssen wir hier nun eine neue Form der Zivilreligion fürchten?
Der Begriff Zivilreligion war in den USA eigentlich immer eher positiv besetzt, im Sinne einer nicht-religiösen Religion, die man im Amerikanismus gefunden hat, mit den bekannten amerikanischen Werten. Diese Werte gelten immer weniger. Ich glaube aber nicht, dass der Amerikanismus durch einen christlichen Staat ersetzt wird. Sehr vielen der radikal rechten Akteure ist das Christentum nämlich völlig gleichgültig.
Donald Trump beschwört immer wieder seine Religiosität, ebenso wie Vize-Präsident
Für Vance mag das gelten, Trump ist einfach ein Heuchler. An den entscheidenden Schaltstellen haben wir es nicht mit überzeugten Christen zu tun. Sondern Religion, das Christentum, wird eben auch instrumentalisiert. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch Akteure gibt, die so einen christlichen Nationalismus mit der Bibel oder ihrer besonderen Auslegung der Bibel als Leitbild der amerikanischen Gesellschaft und Politik anstreben, beispielsweise ist Mike Johnson, der Sprecher des Repräsentantenhauses, ein Vertreter dieses christlichen Nationalismus. Aber ob die sich nun am Ende durchsetzen, weiß man nicht. Kurzfristig reagiert nach wie vor das Interesse von Akteuren, die nicht in erster Linie christlich oder religiös motiviert sind, sondern über kommerzielle Interessen und Machtinteressen agieren. So eine Art Verschmelzung zwischen Staat und Religion wird es jedenfalls kurz- und mittelfristig nicht geben.
Diese Trauerfeier hat trotzdem den Eindruck einer Art Heiligsprechung vermittelt. Ist zu befürchten, dass Charlie Kirk so eine Art Märtyrer für die Trump-Bewegung wird?
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Ich glaube, das ist er schon geworden. Es geht hier um eine Instrumentalisierung. Für diese Instrumentalisierung ist es völlig gleichgültig, wer am Ende aus welchen Gründen diese Tat begangen hat. Es wird einfach erklärt, hier gebe es einen groß angelegten Angriff auf "uns" von links. Und mit links meinen diese radikalen Rechten dann eben auch die Demokraten, die in ihrer großen Zahl ja nicht wirklich links sind. Und darauf antworten die rechten Kräfte um Trump mit staatlicher Repression und der Einschränkung von Meinungsfreiheit.
Also genau mit der Art von "Cancel Culture", die man jahrzehntelang eigentlich umgekehrt vorgeworfen hat …
Exakt. Man muss befürchten, dass es eine weitere Drehung in der schon laufenden Eskalationsspirale gibt. Die nächste Gewalttat wird sicherlich kommen. Denn die Repression und die "Cancel Culture" von rechts werden nicht ohne Folgen bleiben. Andere werden dann sagen, "das ist Tyrannei, und gegen diese Tyrannei weiß ich mir jetzt nicht anders zu helfen als mit politischer Gewalt". Selbst wenn jetzt der Mörder von Charlie Kirk überhaupt nicht politisch motiviert gewesen sein sollte, was man stand jetzt noch nicht ganz genau weiß, die nächste politisch motivierte Gewalt wird sicherlich kommen.
Über den Gesprächspartner
- Dr. Thomas Greven ist Privatdozent für Politikwissenschaft am Kennedy-Institut der FU Berlin und selbstständiger Autor und Politikberater.