Entsetzen, Wut und Empörung nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd: Landesweite Anti-Rassismus-Proteste beherrschen seit einer Woche die USA. US-Präsident Donald Trump hat den Demonstranten nun mit dem Einsatz der Armee gedroht. Die rechtlichen Grundlage dafür legt ein über 200 Jahre altes Gesetz.

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Es sind Szenen wie aus einem Hollywood-Film: Die Nationalgarde patrouilliert durch eine augenscheinlich völlig ruhige Gegend von Minneapolis, Minnesota. Ausgangssperre ist verordnet.

Vorneweg fährt ein Humvee. Dem beigen Armee-Fahrzeug folgen Dutzende dunkel gekleidete Soldaten. Sie brüllen: "Gehen Sie rein" und "in Ihr Haus, jetzt!" Doch auf der Straße sind keinerlei Menschen zu sehen, die meisten Fenster sind dunkel.

Eine Gruppe junger Leute hat die Szene am Abend des 31. Mai von der Veranda ihres Hauses aus mit dem Smartphone festgehalten. Als Sie den Kommandos der Uniformierten nicht sofort nachkommen, schießen die Soldaten auf die Gruppe – mit Farbpatronen.

Die Nationalgarde gehört zur Reserve der US-Streitkräfte, sie wird nur für Ausnahmesituationen um Hilfe gebeten. So wie dieser Tage gleich in mehreren US-Bundesstaaten, darunter auch Minnesota.

Der dortige Gouverneur hatte wegen der seit mehr als einer Woche andauernden Anti-Rassismus-Proteste, die sich nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd durch die Polizei entfacht sind, den Notstand ausgerufen und die Nationalgarde mobilisiert.

Erst die Nationalgarde, dann die Armee

Das kommt in den USA des Öfteren vor. So holte 2017 der Gouverneur von Virginia die Nationalgarde wegen rechtsextremer Aufmärsche und deren Gegenproteste nach Charlottesville, 2018 schickte US-Präsident Donald Trump die Garde an die US-Grenze.

Soweit, so normal. Doch Trump reicht die Nationalgarde in den aktuellen Unruhen nicht aus – er droht den Protestierenden mit dem Einsatz der Armee.

Sollten Städte und Bundesstaaten nicht die nötigen Maßnahmen ergreifen, "dann werde ich das Militär der Vereinigten Staaten einsetzen und das Problem schnell für sie lösen", sagte Trump am Montag bei seiner Ansprache im Rosengarten des Weißen Hauses.

Für die Hauptstadt Washington kündigte der Präsident den Einsatz von "tausenden schwer bewaffneten" Soldaten und Polizisten an. Und als sich der republikanische Senator Tom Cotton auf Twitter für den Einsatz von Luftlandetruppen gegen "Antifa-Terroristen" aussprach, begrüßte Trump diese Idee.

Darf Trump das?

Doch darf Trump tatsächlich die Armee gegen die eigene Bevölkerung einsetzen?

Wie in Deutschland ist auch in den USA der Einsatz der Armee im eigenen Land ausgeschlossen. Allerdings macht ein über 200 Jahre altes Gesetz eine breite Ausnahme. Der 1807 erlassene Insurrection Act (Aufstandsgesetz) gibt dem US-Präsidenten die Vollmacht, neben der Nationalgarde auch Teile des Heeres und der Marine "in allen Fällen des Aufstands oder der Behinderung der Gesetze" in den Vereinigten Staaten einzusetzen.

Nach Angaben des wissenschaftlichen Dienstes des US-Kongresses wurde das Gesetz das bislang letzte Mal 1992 während der Unruhen in Los Angeles angewandt.

Der Insurrection Act sieht zwar eigentlich vor, dass die Bundesstaaten selbst den Präsidenten um Hilfe bitten müssen. Doch dieser Abschnitt des Gesetzes wird faktisch von einem anderen wieder aufgehoben. Dieser gibt dem Präsidenten das Recht in die Hand, Einsätze ohne vorhergehende Anforderung aus den Bundesstaaten durchzuführen. Freie Bahn also?

Nicht ganz. Wenn sich der Präsident auf den Insurrection Act beruft (Trump hat das bis dato nicht getan), muss er "zunächst eine Proklamation herausgeben, in der den Aufständischen befohlen wird, sich innerhalb einer bestimmten Zeit zu zerstreuen". Das geht aus einem Bericht des wissenschaftlichen Dienstes des US-Kongresses aus dem Jahr 2006 hervor. Erst wenn sich die Situation nicht von selbst löse, könne der Präsident demnach einen Befehl zur Entsendung von Truppen erlassen.

Rechtliche Hürden für Trump

Dazu kommt möglicherweise noch eine weitere Hürde. Eine einseitige Berufung Trumps auf das Aufstandsgesetz ohne die Zustimmung der jeweiligen Gouverneure könnte rechtswidrig sein. So hatte die Generalstaatsanwältin des Bundesstaates New York, Letitia James, bereits angekündigt, im Falle eines solchen Schrittes des US-Präsidenten alles zu unternehmen, um die Entsendung von Soldaten anzufechten.

Ebenso haben demokratische Gouverneure Trumps Vorstoß nach einem Militäreinsatz im Inland empört zurückgewiesen. Der Gouverneur des Bundesstaats New York, Andrew Cuomo, nannte es "beschämend", dass Trump die Armee gegen US-Amerikaner einsetzen wolle.

Der Gouverneur des Bundesstaats Illinois, J. B. Pritzker, sagte dem TV-Sender CNN, der Präsident habe keine rechtliche Grundlage, um das US-Militär in Bundesstaaten zu entsenden. "Ich lehne die Vorstellung ab, dass die Bundesregierung Truppen nach Illinois schicken kann", sagte Pritzker. Seine Kollegin Gretchen Whitmer, Gouverneurin des Bundesstaats Michigan, sagte, Trump könne das Militär nicht ohne ihre Zustimmung einsetzen. Whitmer nannte Trumps Aussagen "gefährlich und erschütternd".

Armeeeinsatz gegen den Willen der Gouverneure

Ob die Gegenwehr von Gouverneuren, zumahl aus den Reihen der Demokraten, tatsächlich erfolgsversprechend ist, lässt zumindest in Blick in die US-Geschichte bezweifeln.

CNN verweist auf ehemalige US-Staatschefs wie Dwight Eisenhower, John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson, die alle in Zeiten der Bürgerrechtsbewegung Truppen trotz Einwände aus den Bundesstaaten in Bewegung setzten. So berief sich Eisenhower 1957 auf den Insurrection Act, als er die Nationalgarde von Arkansas dem Kommando des Bundes unterstellte und Tausend Soldaten der 101. Luftlandedivision in die dortige Hauptstadt schickte. Gegen die Proteste von Weißen stellten die Soldaten den Schulunterricht von schwarzen Kindern in einer bis dahin weißen Highschool sicher.

Genau auf jene Luftlandetruppen spielte nun auch Senator Cotton in seinem Tweet an – unter völliger Ignoranz der historischen Hintergründe.

Donald Trump droht Demonstranten mit Einsatz des Militärs

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