Die Wehrpflicht ist zurück auf der politischen Agenda. Doch was würde eine Wiedereinführung eigentlich für junge Menschen bedeuten, die es konkret betrifft? Welche Auswirkungen hätte ein Pflichtdienst auf deren berufliche und persönliche Zukunft?
Seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine wird verstärkt über eine Rückkehr zum Pflichtdienst nachgedacht – sei es als Wehrdienst oder als gesellschaftliches Jahr. Meist stehen dabei sicherheitspolitische oder staatliche Perspektiven im Vordergrund. Doch was ist mit jenen, die es betrifft? Den jungen Leuten, für die das mehr als nur eine Debatte ist – nämlich ein echter Einschnitt in ihre Lebensplanung?
Damit beschäftigt sich unter anderem der 17. Kinder- und Jugendbericht des Bundesministeriums für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Dabei wurden mehrere Studien ausgewertet, die sich mit der Einschätzung junger Menschen beschäftigen. Die Ergebnisse ähneln sich: Je nach Studie stimmen um die 60 Prozent der Wiedereinführung der Wehrpflicht zu.
60 Prozent Zustimmung bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass um die 40 Prozent nicht zustimmen. Das betont Jens Pothmann vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München. "Das passt durchaus zu Studien, nach denen die häufigste Angst der Jugendlichen die vor einem Krieg ist", so Pothmann. "Die Werte lagen hier noch höher als etwa bei der Angst vor Umweltzerstörung, Armut oder anderem."
Verstärkt ein Pflichtdienst soziale Ungleichheiten?
Leichte regionale und demographische Unterschiede gibt es: In Ostdeutschland ist die Zustimmung stärker als in Westdeutschland, bei Männern liegt sie ebenfalls etwas höher als bei Frauen. Außerdem stehen junge Menschen mit einem Abitur der Wehrpflicht skeptischer gegenüber.
Das wirft die Frage auf, inwiefern sich ein Pflichtdienst auf soziale Ungleichheiten auswirkt. Könnte er diese verstärken oder sogar abmildern? Das komme auf die Ausgestaltung an, sagt Jens Pothmann. "Wenn es ein Pflichtdienst ist, der auf so etwas wie Ausbildung und Studium keine oder zu wenig Rücksicht nimmt, dann können Bildungs- und Berufsbiographien darunter leiden. Das kann diejenigen härter treffen, die keine familiäre Unterstützung haben."
Wehrdienst oder Pflichtjahr: Welche Rolle spielt der finanzielle Aspekt?
Konkret könnte das zum Beispiel bei finanziell Schwächeren der Fall sein, die dringend auf ein Einkommen angewiesen sind. Auch eine höhere Ausbildung wie etwa ein Studium könnte durch den Dienst hinausgeschoben werden und der finanzielle Druck dadurch steigen.
"Andererseits", so Pothmann, "je nachdem wie hoch der Sold oder das Taschengeld ist, kann das für junge Menschen, die finanziell schlechter gestellt sind, eine gewisse Attraktivität bedeuten und eine finanzielle Verselbstständigung sogar befördern."
Aber es geht nicht nur ums Geld. Eine Pflichtzeit kann wertvoll für die persönliche und politische Bildung junger Menschen sein. Allerdings seien die Bildungserfolge höher, so Pothmann, wenn es sich um eine bewusste Entscheidung handele. "Wer sich für einen bestimmten Dienst entscheidet, verbindet damit gewisse Erwartungen und hat Ambitionen."
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Eine Jugendvertreterin sagt: Wehrpflicht ist nicht auf Jugendliche zugeschnitten
Die wissenschaftlichen Studien ergeben zwar eine eher positive Stimmungslage gegenüber einem möglichen Pflichtdienst. Doch es gibt durchaus auch andere Stimmen: "Wir müssen ganz deutlich sagen: Die Wehrpflicht war schon damals nicht auf Jugendliche zugeschnitten – und ist es auch heute nicht." Das sagt Selin Akin vom Dachverband der Jugendgemeinderäte, Baden-Württemberg e.V. (JGR). "Es gibt kaum wahrnehmbare Vorteile, stattdessen verlieren wir wertvolle Zeit."
Viele junge Menschen wollten nach der Schule direkt ins Studium starten, so Akin, was durch ein Dienstjahr verzögert werde. Zudem stelle sich die Frage, ob die körperlichen und psychischen Voraussetzungen vieler 18-Jähriger überhaupt mit den Anforderungen eines Wehrdienstes vereinbar seien. "Die Zeiten haben sich deutlich verändert: Die reale Einsatzwahrscheinlichkeit ist massiv gestiegen. Es ist wenig sinnvoll, junge Menschen an die Grenze zu schicken, die gerade erst volljährig geworden sind und möglicherweise weder physisch noch mental auf solche Belastungen vorbereitet sind."
Welche Alternativen gibt es zum Pflichtdienst?
Akin beklagt, dass das Thema immer mehr mit zunehmendem politischem Druck behandelt wird. "Die Diskussion wurde durch den Ukraine-Krieg zwar dringlicher, doch sollte sie nicht überstürzt, sondern im konstruktiven Austausch geführt werden", so die Jugendsprecherin.
Tatsächlich gibt es zahlreiche Alternativen, um gesellschaftliches Engagement junger Menschen zu fördern. Jens Pothmann denkt vor allem an Freiwilligendienste wie das freiwillige soziale Jahr oder das freiwillige ökologische Jahr. "Aus meiner Sicht wäre es die naheliegende Alternative, diese Freiwilligendienste auszubauen und noch attraktiver zu machen", so der Jugendforscher. Allerdings müssten einige Punkte verbessert werden. Pothmann nennt die Bekanntheit solcher Angebote, Zugangsmöglichkeiten und natürlich die finanziellen Aspekte.
Experten sind sich einig: Die Perspektive junger Menschen kommt zu kurz
"Eine Überlegung wäre es auch, das Spektrum der Träger und der Einsatzstellen zu erweitern", so Pothmann. "So sollten Migrantenselbstorganisationen stärker mit eingebunden werden, um gerade auch jungen Menschen mit einer Migrationsgeschichte den Zugang zu einem Freiwilligendienst zu erleichtern, auch für muslimische junge Menschen mit Interesse, die aber vielleicht nicht auf die Idee kommen, zur Evangelischen Jugend zu gehen."
Selin Akin wünscht sich, dass die Perspektiven junger Menschen mehr Beachtung finden. Ähnlich äußert sich auch Jens Pothmann: "Was mir in der Diskussion häufig zu kurz kommt, ist die Stimme der Jugendlichen zu hören. Es wäre wichtig, die jungen Menschen stärker in die politische Entscheidungsfindung mit einzubeziehen."
Über die Gesprächspartner
- Prof. Dr. Jens Pothmann ist Leiter der Abteilung Jugend und Jugendhilfe beim Deutschen Jugendinstitut in München.
- Selin Akin ist Pressesprecherin des Dachverbandes der Jugendgemeinderäte Baden-Württemberg e.V.
Verwendete Quellen:
- Interview mit Jens Pothmann
- Interview mit Selin Akin
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: 17. Kinder- und Jugendbericht
- Deutsches Jugendinstitut: Startseite