Der Handelskrieg zwischen den USA und China eskaliert, weil beide Seiten um weltweite Dominanz kämpfen, nicht nur in der Wirtschaft. Im schlimmsten Fall droht ein Krieg. Das Ganze hat auch massive Auswirkungen auf Europa.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Dominik Bardow sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Im Handelskrieg ist ein Telefonat politisch. Es habe kein Gespräch von US-Präsident Donald Trump und Chinas Staatschef Xi Jinping gegeben, hieß es jüngst aus dem chinesischen Außenministerium.

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Zuvor hatte Trump behauptet, Xi habe bei ihm angerufen, aber dass dies kein Zeichen von Schwäche sei. In Peking sieht man das anders, seit Trump 145 Prozent Strafzölle auf Importe aus China verhängt hat.

Der Handelsrivale antwortete mit 125 Prozent Gegenzöllen. Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums erklärte, China werde "kämpfen bis zum Ende", damit trotzig Staatsgründer Mao Zedong zitierend.

Wie weit ist man im Reich der Mitte wirklich bereit zu gehen? Kann der Zollkonflikt eskalieren bis hin zu einem echten Krieg? Was bedeutet das alles für Europa, die deutsche Wirtschaft und Verbraucher?

Chinas Reaktion auf die US-Zölle: Nur scheinbar einheitlich

"Die Reaktionen in China auf diesen 'Zollkrieg', wie er dort genannt wird, sind nicht einheitlich", sagt Landeskennerin und Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik. Es gebe intern zwei Optionen: Der Wirtschaft zuliebe nachgeben und einen Deal aushandeln oder mit Härte dagegenhalten. Nach außen werde nur der harte Weg kommuniziert. "China will zeigen, dass es eine Weltmacht ist."

Viele Experten weltweit gehen davon aus, dass China auf Dauer bessere Karten hat im Handelskrieg. Die Amerikaner seien auf Importe angewiesen, während China fast alles selbst produzieren könne.

Weigelin-Schwiedrzik differenziert: "Die USA importieren Smartphones, Spielzeug, Dinge, die nicht überlebenswichtig sind." China benötige aber US-Produkte, insbesondere in kritischen Sektoren wie der Medizintechnik und der Luftfahrt.

Komplexe Medizingeräte, die für Diagnosen und Behandlungen unerlässlich sind, können in China zwar zunehmend hergestellt werden, jedoch fehlt es oft an der Technologie und Expertise, um die nötigen hohen Standards zu erfüllen. Auch in der Luftfahrtindustrie ist China trotz Fortschritten auf Importe angewiesen, um gute Flugzeuge zu bauen. Gleichzeitig können große US-Konzerne komplexe, über Jahrzehnte aufgebaute Lieferketten nicht so einfach entwirren, wie etwa Apple beim iPhone, das Rohstoffe wie Seltene Erden benötigt.

Kampf um die Weltherrschaft: Am Ende geht es um Politik

Auf beiden Seiten des Pazifiks meldet sich daher die Wirtschaft beim Staat und fordert Ausnahmen. Trump deutete solche für Elektronik und Rohstoffe an. "China hat eine Liste von Produkten erstellt, die von Zöllen ausgeschlossen sind, um die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Wirtschaft zu erhalten", erklärt Weigelin-Schwiedrzik.

Die US-amerikanischen Vorwürfe, dass China die USA ausnutze, teilt man dort nicht. "Aus Chinas Sicht haben Amerika und Europa erheblich profitiert von der Kooperation mit China." Durch die Verlagerung der Produktion wurden viele Waren für die Verbraucher daheim günstiger, Firmen boten sich neue Märkte in China. "Doch viele Politiker haben unterschätzt, dass China den wirtschaftlichen Erfolg in politischen Einfluss umsetzen würde." Das Land wolle eine Weltmacht werden, sagt die Sinologin.

Seit Xi Jinping 2013 Staatspräsident wurde, strebe China eine Aufteilung der Erde mit den USA an, zumindest eine neue Weltordnung, gemeinsam mit Russland. Daher geht es hier nicht nur um Zölle. "Die eigentliche Strategie Trumps ist, China zu isolieren, Länder auf die Seite der USA zu ziehen", sagt Weigelin-Schwiedrzik. China reagiert darauf, indem es wiederum Länder aus dem Einflussbereich der Vereinigten Staaten zieht.

Vietnam etwa zahlt die zweithöchsten Zölle, was laut Weigelin-Schwiedrzik darauf zurückzuführen ist, dass chinesische Betriebe viele Produkte, die für den US-Markt bestimmt sind, dort produzieren lassen, als Teil von Lieferketten, die in China beginnen. Japan und Südkorea zeigen sich enttäuscht über die Nachverhandlungen zu den Zöllen mit der Trump-Administration. Denn sie haben den Eindruck, dass es Trump dabei mehr um politische Machtspiele geht als um echte Handelslösungen.

Die wirtschaftliche Stabilität Chinas wird durch ungebrochen enge Handelsbeziehungen zu anderen asiatischen Ländern gestärkt. Es exportiert 44 Prozent seiner Waren in asiatische Märkte, während nur 14 Prozent in die USA gehen. Diese Tendenz ist seit Jahren rückläufig, China daher immer weniger abhängig von den USA. Trump hingegen sagte jüngst in einem NBC-Interview über China: "Sie wollen unbedingt Geschäfte machen, ihre Wirtschaft bricht zusammen."

Wirtschaftsexperten warnen hingegen vor leeren Regalen und einer Rezession in den USA, wohin Billig-Händler Temu keine Pakete mehr schickt. Die chinesische Regierung versucht dagegen, den Binnenmarkt zu stärken. Doch die begrenzte Kaufkraft im Land erschwert es den Fabriken, ihre Produktionszahlen zu halten.

Zusätzlich gibt es Bestrebungen für ein Freihandelsabkommen zwischen China, Japan und Südkorea, das als Reaktion auf die US-Zölle gesehen werden kann. Ein solches Abkommen könnte die wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Region weiter stärken und Chinas Position dort festigen.

Zumal sich neue Märkte finden. "Es kann sein, dass China bald Waren nach Europa umleiten wird", sagt Weigelin-Schwiedrzik. Dann könnten sich Kunden hier über neue, günstigere Produkte freuen.

Bald billige Waren für Europa – und Massen-Proteste in China?

Allerdings birgt dies auch erhebliche Risiken für den EU-Markt und die deutsche Industrie. Wenn plötzlich eine Flut von Billigprodukten aus China den Handel überschwemmt, könnte der verstärkte Wettbewerb vor allem kleinere Unternehmen und lokale Hersteller unter Druck setzen.

Chinesische Unternehmen verkaufen bereits zunehmend Produkte wie Solaranlagen, Mobiltelefone, Kleidung und Chemikalien in der EU, oft zu deutlich niedrigeren Preisen als europäische Konkurrenten. Ein schnell wachsender Markt ist Fast Fashion, günstige Mode. Plattformen wie Temu und Shein haben im vergangenen Jahr ihre Sendungen in die EU verdoppelt. Die EU will dagegen Maßnahmen wie Bearbeitungsgebühren für Pakete ergreifen.

Während die Importe aus China zunehmen, schrumpfen die deutschen Exporte nach China, was zu einer ungünstigen Handelsbilanz etwa für Deutschland führt. Peking hob im Gegenzug Sanktionen gegen EU-Politiker auf, die die dortigen Menschenrechte kritisieren.

Derzeit zeige sich China freundlich gegenüber der EU, sagt Weigelin-Schwiedrzik. Jedes Land, das sich von den USA fortbewege, bewege sich auf China zu - so sieht es laut Expertin die Regierung dort. Doch auch die hat viel zu verlieren.

"Die Situation in China ist prekärer, als sie oft dargestellt wird", sagt Weigelin-Schwiedrzik. Vom Handelskrieg wären viele kleine und mittlere Unternehmen betroffen. Deren Arbeitnehmer leben von der Hand in den Mund. In Netz gebe es Bilder von vernagelten Geschäften, Menschen, die auf der Straßen schliefen. Wer nichts mehr zu verlieren hat, protestiert auch in einem Überwachungsstaat.

16 Millionen Stellen gefährde der Handelskrieg in China, schätzt die US-Bank Goldman Sachs. "Die Angst der kommunistischen Partei ist, dass sich nicht nur die Eliten, denen es bisher gut gegangen ist, über wirtschaftliche Fragen spalten, sondern auch die Bevölkerung unruhig wird."

Also verfolgt die Regierung wie so oft eine doppelte Strategie: Das eine sagen und das andere tun.

Entweder pragmatische Lösungen – oder Krieg

Hinter den Kulissen werde natürlich mit den USA gesprochen, ist sich Weigelin-Schwiedrzik sicher. Am Ende wird es eine wohl pragmatische Lösung geben, die beide Seiten dann als Sieg verkaufen.

Aber sicher ist das nicht. "Es gibt Vorbereitungen für den Ernstfall", sagt die Expertin. China sei bereit, Lebensmittel zu rationieren und schnell auf Kriegswirtschaft umzustellen, falls es doch ernst wird.

Auch wenn China, wie die USA, große Bedenken habe, einen Krieg zu starten, etwa wegen Taiwan: Alles ist auch eine Frage der Gelegenheit. Nur wie sollen Europa und Deutschland damit umgehen? "Europa muss lernen, dass es nur Mittelmacht ist, das hat es verlernt", sagt Weigelin-Schwiedrzik. Die Kunst als Mittelmacht lautet: Mit einer Großmacht zu verhandeln, ohne die andere zu verärgern.

Europa und Deutschland dürften es lernen. Zur Not auch per Telefon.

Über die Gesprächspartnerin

  • Susanne Weigelin-Schwiedrzik ist eine renommierte deutsche Sinologin, die bis 2020 an der Universität Wien lehrte. Sie ist spezialisiert auf chinesische Geschichte und zeitgenössische Politik, analysiert dabei Auswirkungen von Chinas Außen- und Innenpolitik auf Gesellschaft und Umwelt.

Verwendete Quellen