Heutigen Pkw's ästhetisch weit überlegen, sind alte Autos auch als Wertanlagen begehrt. Aber worauf genau kommt es an? Eine Annäherung
Wissen Sie, was ein Scheinanglizismus ist? Das ist ein Wort, das zwar englisch klingt, aber einen native speaker vor Rätsel stellen würde. Evergreen wäre ein schönes Beispiel. Für Briten und Amerikaner ist das kein sich unsterblicher Popularität erfreuender Schlager, sondern nur eine immergrüne Pflanze. Wer sein Gegenüber nicht peinlich berühren möchte, sollte auch tunlichst das Wort Handy vermeiden und stattdessen mobile phone sagen.
Warum wir darauf kommen? Nun, im Angelsächsischen ist von "classic cars" die Rede, Oldtimer dagegen ist ein klassischer Scheinanglizismus. Aber ein verzeihlicher, schließlich erinnert das Wort an die guten alten Zeiten. Und zumindest was die Ästhetik von Autos betrifft, waren sie ja früher tatsächlich besser. Sehen Sie sich doch nur die alten Fotos an.
Boulevards der Dämmerung
Piccadilly in London, die Elbchaussee in Hamburg, auch die Rue de Rivoli in Paris – die großen Prachtstraßen haben sich seit den Sechzigern kaum verändert. Dennoch wirken sie auf aktuellen Bildern irgendwie weniger aufregend als damals. Die Antwort auf die Frage, warum die Boulevards grundlegend an Attraktivität eingebüßt haben, ist einfach: Weil die Autos auf diesen und allen anderen Straßen der Welt längst nicht mehr so viel Klasse und Noblesse ausstrahlen, kurz: nicht mehr so fotogen sind wie in den guten alten Zeiten.
Es ist die Form, die ästhetisch empfindsame Menschen ähnlich beglückt wie schöne Bilder oder erhaben designte Möbel. Und ihr Begehren weckt. Die Leidenschaft für die Kurven der Vergangenheit aber kennt Konkurrenz, und die treibt die Preise mitunter in schwindelnde Höhen, gerade in jüngster Zeit: Von den 79 historischen Automobilen, die ihren Besitzern über zehn Millionen Dollar wert waren, haben 75 erst in den vergangenen zwölf Jahren die Garage gewechselt. Absoluter Spitzenreiter ist hier ein 1955 gebauter Mercedes-Benz 300 SLR Uhlenhaut Coupé, der Anfang Mai 2022 bei einer Auktion in Stuttgart für 135 Millionen Euro zugeschlagen wurde.
Wahnsinn? Nun, mit derselben Berechtigung könnte man fragen, warum jemand eineinhalb Jahre danach in New York annähernd dieselbe Summe in Picassos "Femme à la montre" von 1932 zu investieren bereit war. Für Connaisseure von Oldtimern ist das gleichrangig. Und wenn sie sehr viel Geld und eine große Autosammlung haben, möchten sie eben gern das einzige noch erhaltene Exemplar eines Modells besitzen, einen Wagen, den kein anderer hat. Das ist ihnen dann (fast) jeden Preis wert.
Smartes Investment
Weil die Preise steigen, gehören Oldtimer zu den smartesten unter den alternativen Investments. Aber anders als Briefmarken oder wertvolle Leinwände alter und jüngerer Meister bleiben sie ungern ortsfest. Sie wollen bewegt werden und zwar regelmäßig. Wer mehr als einen Oldtimer besitzt, hat also ein Problem, respektive mehrere. Es lässt sich lösen wenn man seine mobilen Investments verleiht (Anbieter siehe Seite 134). Dann nämlich behalten sie im Idealfall nicht nur ihren Wert oder steigern ihn gar, sondern werfen laufend Gewinne ab.
Anleger aber interessieren sich natürlich auch für die Aussichten, bei einem Weiterverkauf ihrer automobilen Preziose(n) große Kasse zu machen. Das ist für weitsichtige, geduldige Investoren durchaus drin. Denn wenn ein Modell sehr gefragt ist und sein Zustand stimmt, kann der Einkaufspreis recht bald getoppt werden. Ein Beispiel: Wer etwa vor 15 Jahren einen Mercedes 300 SL Flügeltürer oder Roadster erworben hat, musste damals zwischen 600.000 und 800.000 Euro auf den Tisch legen. Heute wird ein Roadster mit über einer Million gehandelt und ein Flügeltürer noch deutlich darüber.
Doch welche Kriterien sind es, die über die Attraktivität eines Oldtimers entscheiden? Schöne Form, technische Finesse oder gar Historie? In der Regel ist es das ganze Paket. Natürlich muss zunächst der Zustand des Fahrzeugs stimmen. Weil Rarität die Preise treibt, sollte das für den Erwerb infrage kommende Modell nicht in allzu hohen, allenfalls knapp vierstelligen Stückzahlen gebaut worden sein. Auch der Kilometerstand spielt eine Rolle, wobei die Zahl 50.000 auf einem fünfstelligen Tachometer auch 250.000 Kilometer bedeuten kann. Deshalb sollten Einsteiger immer einen Gutachter an der Seite haben. Das Auge kauft natürlich auch mit: Cabrios und Coupés werden in der Regel höher eingestuft als Limousinen.
Auch für gesuchte Youngtimer (als Bezeichnung ebenfalls ein Scheinanglizismus; im korrekten Englisch heißt es "modern classic") steigen die Preise. Zu den begehrten Fahrzeugen, deren Erstzulassung mindestens 20 Jahre zurückliegt, zählt etwa der futuristische BMW Z1, der seinerzeit nicht sehr erfolgreich war, weil seine versenkbaren Türen nicht verstanden wurden. Der auch deshalb – zwischen 1989 und 1991 – nur 8.000-mal gebaute und daher rare Roadster kostete seinerzeit etwa 80.000 D-Mark.
Heute bringt er auf Auktionen gern das Doppelte, also 80.000 Euro, und mehr. Auch sein jüngerer Bruder, der Z8, den BMW-Händler zuletzt für 127.000 Euro verkauften, wird inzwischen für mindestens ein Drittel mehr weitergereicht. Für die seltene Alpina-Version muss man sogar mit bis zu 300.000 Euro rechnen. Kurz: Auch Autos im Youngtimer-Bereich, die nur in kleiner Stückzahl gebaut wurden, kommen zunehmend in den Fokus, und natürlich Modelle, die eine gewisse Sexyness ausstrahlen – wie der Porsche 911 aus den 1980er-Jahren in aufregenden Farbkombinationen.
Rally nach Rallye
Im höherpreisigen Segment kann der Wert eines Oldtimers durch die Teilnahme an historischen Rallyes, allen voran die Mille Miglia in Italien, oder eine Prämierung bei einschlägigen Schönheitswettbewerben deutlich gesteigert werden (Beispiele siehe Seite 132/133). Als wichtigste Veranstaltung auf dem europäischen Festland gilt der Concorso d’Eleganza in der Villa d’Este am Comer See. Ebenso förderlich erweist sich ein prominenter Vorbesitzer oder ein Auftritt in einem Kino- oder TV-Film. Ein berühmtes Beispiel ist der Aston Martin DB5, den Sean Connery als James Bond 1965 in "Liebesgrüße aus Moskau" steuerte. Er wurde 2019 bei einer Auktion im kalifornischen Monterey für 6,3 Millionen Dollar zugeschlagen.
Wer Höchstpreise erzielen will (und dafür das passende Modell in der Garage hat), braucht dringend eine geeignete Plattform. Die besten Resultate liefern erwartungsgemäß die führenden Auktionshäuser in diesem Metier: RM Sotheby’s vornehmlich in den USA, Bonhams in England und zunehmend das Pariser Haus Artcurial. Es ist aber auch wichtig, dass die Atmosphäre stimmt. Die genannten Häuser wählen gern elegante Locations wie das Goodwood Revival beim Earl of March in Südengland, das Schloss von Chantilly in Westfrankreich oder den Quail Lodge & Golf Club im kalifornischen Carmel. Denn dort kommt das bestens betuchte Zielpublikum zusammen.
Zu den Fragen, die einen Einsteiger in das Metier beschäftigen sollten, gehört, wie schwer oder wie leicht das Auto zu beherrschen ist. Wenn es eine vielseitige Gebrauchsanweisung braucht oder nur Experten den Wagen starten können, schreckt selbst das herrlichste Modell viele potenzielle Käufer ab. Auch die Farbe spielt eine Rolle: Manchmal findet ein Auto keinen Käufer, weil sich niemand für die Kombination aus Weiß und Crème erwärmen kann. Mindestens ebenso schlimm: ein eleganter Wagen von 1957, den eine Metallic-Lackierung von 2013 verunstaltet. Da kann man nur sagen: weg damit und neu lackieren, weil der Wagen sonst unverkäuflich ist.
Hahn unterm Kühler
Wichtig sind selbstverständlich auch Zustand, Geschichte und Kilometerstand. Der Wagen sollte ohne allzu großen finanziellen Aufwand restaurierbar sein. Sammler sollten zudem darauf achten, dass ein Fahrzeug problemlos mit Ersatzteilen ausgestattet werden kann und es gut motorisiert ist. Andererseits stehen auch sogenannte (kein Scheinanglizismus!) barn finds, Scheunenfunde, hoch im Kurs: Tatsächlich passiert es immer wieder, dass irgendwo in England ein Aston Martin auftaucht, der die vergangenen 50 Jahre mit einem toten Hahn unter der Kühlerhaube verbracht hat. Leidenschaftliche Fans suchen gerade solche Objekte. Warum? Weil sie sich lieber eine Ruine nach eigenen Lack- und Ledervorstellungen aufbauen lassen, als ein hochrestauriertes Fahrzeug zu übernehmen.
Natürlich gibt es Sammler, die ihre Autos einfach nur besitzen wollen und sie bewundern wie Skulpturen. Doch das ist der Gesundheit solcher Prachtstücke nicht eben zuträglich. Wie bei Pferden schadet zu langes Stehen, weil allmählich die Flüssigkeiten verharzen, die Reifen platzen oder brechen – Dinge, die sehr viel Geld kosten können. Viel besser für den Werterhalt ist Bewegen!
Längst erkennen auch jüngere Generationen die Schönheit älterer Autos. Am Steuer allerdings müssen sie erkennen, dass sie in einem Fremdkörper sitzen. Denn mit einem, sagen wir, vor 50 Jahren gebauten Fahrzeug unterwegs zu sein, ist auch eine Reise in eine Zeit, in der Handgriffe und Fähigkeiten üblich waren, die dem durchschnittlichen Auto fahrer im 21. Jahrhundert nicht mehr unbedingt zur Verfügung stehen.
Sympathieträger
Doch Oldtimer sind auch Entschleuniger. Mit ihnen versucht man nicht, schnellstmöglich von A nach B zu kommen. Man möchte mit ihnen lieber spazieren fahren, nicht auf Raser-Routen, sondern auf stillen Nebenstraßen "ins Blaue". Zu den Freuden von Classic-Car-Drivern, insbesondere wenn sie formschöne, nicht allzu protzige Oldtimer lenken, gehören die freundlichen Reaktionen. Winkende Passanten und anerkennend hupende Entgegenfahrer zeigen, dass alte Autos offenbar hohe Sympathiewerte genießen.
Und vielleicht gehört es auch zu den good old times, hin und wieder einen Tramper mitzunehmen. Oops, schon wieder ein Scheinanglizismus. Denn das Autofahren per Anhalter, eine inzwischen fast ausgestorbene Kulturform, kennt man in den Ländern der High- und Motorways nur als hitchhiking.
Anschauungsunterricht
Automuseum Prototyp
In den Hallen eines historischen Fabrikgebäudes in der Hamburger Speicherstadt glänzen Prototypen und spannende Wechselausstellungen. Highlight im Sommer: die Porsche-Präsentation "Mission: Future Heritage" (bis 7. September 2025).
Di–So 10–18 Uhr, Shanghaiallee 7,
Hamburg, Tel. 040/39 99 69 70
prototyp-hamburg.de
Nationales Automuseum – The Loh Collection
Unter den rund 250 Automuseen in Deutschland gehört die im Lahn-Dill-Kreis versteckte Sammlung des hessischen Elektrotechnikunternehmers Friedrich Loh zu den am besten bestückten. Unter den Stars: ein Bentley Speed Six, der im Mai beim Concorso d’Eleganza am Comer See den President of the Jury Award gewonnen hat.
Mi–So 11–18 Uhr, Museumsstraße 1,
Dietzhölztal, Tel. 02774/92 36 50
nationalesautomuseum.de
Deutsches Automuseum - Schloss Langenburg
Schon vor 55 Jahren eröffnet, gehört die von einem süddeutschen Fürsten gegründete Kollektion zu den ältesten Oldtimermuseen in Deutschland. Sie beginnt mit dem Benz Patent-Motorwagen Nr. 1, dem ersten Automobil der Welt mit Verbrennungsmotor, feiert aber auch mit englischen Fahrzeugen die Verwandtschaft mit dem britischen Königshaus.
Mi–So 11–17 Uhr, Schloss 1,
Langenburg, Tel. 079 05/94 19 00
deutsches-automuseum.de
Probefahrten
Ottochrom
Das Sharingportal vernetzt deutschlandweit Besitzer von Oldund Youngtimern mit Fans, die für einen oder (preiswerter!) mehrere Tage ihr Traumauto mieten wollen.
ottochrom.de
Automuseum Melle
Wohl eines der wenigen Museen, das seine Ausstellungsstücke an Privatleute verleiht. Nicht nur zwischen Osnabrück und Bielefeld.
automuseum-melle.de
Active Oldtimer
Oberbayerischer Anbieter bestens gepflegter automobiler Prachtstücke. Besonderheit sind die historischen Klein- und Omnibusse.
active-oldtimer.de
Schönheit siegt
Wenige Automarken haben einen Klang wie Bugatti. Denn deren Boliden waren nicht nur überlegene Rennmaschinen, sondern auch wahnsinnig schön
Sie gehören zu denen, die Bugatti als legendäre Automarke einordnen. Wo, denken Sie, liegt ihr Sitz? In Norditalien? Naheliegend, aber falsch. Die berühmten Renn- und Serientourenwagen von Bugatti wurden alle in Molsheim gebaut, einer nach dem Versailler Friedensvertrag wieder zu Frankreich gekommenen Kleinstadt im Elsass. Immerhin ist der Gründer ein Norditaliener.
Eigentlich hatte Ettore Bugatti Künstler werden sollen. Vater und Großvater waren Architekten und Bildhauer, seine Tante, Lebenspartnerin des großen Malers Giovanni Segantini, sein jüngerer, früh verstorbener Bruder Rembrandt (!) Bugatti reüssierte mit expressiven Tierskulpturen. Doch Ettore bevorzugte die Ingenieurskunst. Mit 17 trat er eine Lehre bei einem Mailänder Unternehmen an, das gerade begonnen hatte, Automobile zu produzieren. Dank seiner offensichtlichen Fähigkeiten stieg er rasch auf und entwickelte schon 1903 seinen ersten Rennwagen. Und eröffnete sieben Jahre später eine eigene Schmiede in Molsheim.
Bereits 1911 belegte der Bugatti Type 13 (das erste Fahrzeug, das seinen Namen trug) den zweiten Platz beim Großen Preis von Frankreich. Nach dem Ersten Weltkrieg gewann er sogar den Grand Prix in Le Mans. Tausende von Podiumsplätzen folgten, darunter fünf Siege in Folge bei der Targa Florio für den Bugatti Type 35. Zugleich begeisterte die Manufaktur das Publikum mit traumschönen Serientourenwagen, die ihm den Nervenkitzel einer Hochleistungsmaschine schenkten. Im März 1929 feierte der Bugatti Owners’ Club seine Gründungsversammlung, ein Verein, der noch heute besteht und zu den ältesten seiner Art zählt.
Zur selben Zeit drängte Ettores ältester Sohn Jean in die Unternehmensführung, dessen Type 57 sein glänzendster Erfolg, aber auch seine Tragödie wurde. 1939, nur wenige Wochen nach dem zweiten Sieg in Le Mans, verunglückte er tödlich. Kurz darauf begann der Zweite Weltkrieg, die Besatzer zwangen Ettore, das Werk in Molsheim zu verkaufen. Zwar bekam er es 1945 zurück, doch als er zwei Jahre später starb, war das Unternehmen ruiniert.
Empfehlungen der Redaktion
Die Nachfolgeregelungen verfingen nicht, erst als VW die nach wie vor im Elsass ansässige Marke im Jahr 1998 übernahm, kam sie wieder in Fahrt. Inzwischen konzentriert sich ein Joint Venture von Porsche und der kroatischen Rimac Group auf millionenschwere Hypersportcars, die unter drei Sekunden auf 100 km/h beschleunigen. Immerhin, so teuer wie besonders begehrte Bugattis aus den 1930er-Jahren sind sie nicht. Die wurden in den vergangenen zehn Jahren mehrfach achtstellig zugeschlagen. © €uro