Sollte es Einschränkungen für Kinder und Jugendliche bei der Nutzung sozialer Medien geben? Ja, wenn es nach der Nationalen Akademie Leopoldina geht. Zwar ist die Datenlage noch dünn, doch vorsorgliche Einschränkungen könnten helfen, ernsthafte psychische Schäden zu vermeiden.
Soziale Medien schaden der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Was erst mal klingt wie Boomer-Kritik, bekommt nun eine wissenschaftliche Grundlage. Denn die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina legt ein Diskussionspapier vor, das diese These erhärtet.
In einer Pressemitteilung der Leopoldina heißt es dazu: "Bei intensiver Nutzung können … negative Auswirkungen auf das psychische, emotionale und soziale Wohlbefinden auftreten, wie Depressions- und Angstsymptome, Aufmerksamkeits- oder Schlafprobleme."
Noch ist die Datenlage sehr dünn. Die Frage, ob es wirklich einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Konsum sozialer Medien und möglichen Konsequenzen für die psychische Gesundheit gibt, sei nicht abschließend geklärt. Das betont der Max-Planck-Direktor Ralph Hertwig, Co-Autor des Papiers in einem begleitenden Video.
Kinder und Jugendliche in sozialen Medien: Forscher sehen Handlungsbedarf
Und doch sehen die Forscher politischen Handlungsbedarf. Dabei beziehen sie sich auf das sogenannte "Vorsorgeprinzip". Demnach sollten bereits bei begründetem Verdacht auf ernsthafte Schäden Schutzmaßnahmen ergriffen werden.
Zu den wichtigsten Empfehlungen zählen:
- Kinder unter 13 Jahren sollten keinen eigenen Social-Media-Account haben dürfen
- Private Smartphones in Schulen sollten bis zur 10. Klasse nicht erlaubt sein
- Altersgerechte Gestaltung sozialer Medien für Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren
- Digitaler Bildungskanon, um den Umgang mit Medien besser zu erlernen
- Gesellschaftliche Aufklärung über Risiken
Lisa Hasenbein vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) würdigt den Vorstoß der Leopoldina: "Generell finde ich es sehr gut, dass wir nun ein solches Papier haben, das das Thema umfassend, empirisch fundiert und auf verschiedene Handlungsebenen bezogen, darstellt. [...] Ein Papier, das sowohl Chancen als auch Risiken thematisiert, dabei aber auch klar benennt, wo aus Forschungssicht noch Lücken bestehen."
Studien zu sozialen Medien: Suchtartiges Verhalten korreliert mit psychischen Schäden
Doch worin sehen die Forscher überhaupt die Gefahren für Kinder und Jugendliche? Neben Hasskommentaren, Mobbing oder sexueller Belästigung geht das Papier vor allem auf die suchtfördernde Wirkung sozialer Medien ein, etwa durch sogenanntes "Endlos-Scrolling".
"Wir haben es mit einem brisanten Thema zu tun, das auch Handlungsbedarf mit sich bringt."
Laut internationalen Studien kämen bei Kindern und Jugendlichen mit suchtartigem Nutzungsverhalten deutlich häufiger stark ausgeprägte Depressions- und Angstsymptome, Stress, Schlafprobleme und sogar suizidale Gedanken vor. Dazu kommen beeinträchtigte Aufmerksamkeit (und dadurch schlechtere schulische Leistungen), Essstörungen und generelle Lebensunzufriedenheit. "Wir haben es mit einem brisanten Thema zu tun, das auch Handlungsbedarf mit sich bringt", sagt auch Hasenbein.
Erst kürzlich hat der Grünen-Politiker Cem Özdemir angeregt, den Zugang zu sozialen Medien für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren zu verbieten. Die Idee stieß jedoch auf wenig Gegenliebe. "Differenzierte Nutzungskonzepte statt pauschales Smartphoneverbot" schlägt etwa die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) in einem gemeinsamen Positionspapier mit dem Verband der Sonderpädagogik Landesverband Schleswig-Holstein vor.
Lisa Hasenbein hingegen schließt sich den Forderungen der Leopoldina an: "Bis zu einem gewissen Alter ein Verbot und später begleitete Nutzung halte ich für sinnvoll, sodass man die positiven Möglichkeiten nutzen kann, aber den negativen vorbeugt." Denn natürlich dürfe man die positiven Effekte nicht übersehen. Das betont auch die Leopoldina. Neben der Möglichkeit zur Pflege sozialer Kontakte seien soziale Medien "wichtige Plattformen für junge Menschen, um sich selbst und ihre Meinung auszudrücken und eine eigene politische Stimme zu finden". Deshalb sei es auch nicht sinnvoll, so Hasenbein, ein Verbot bis 18 zu erlassen, "weil wir dann alles, was soziale Medien an Chancen mit sich bringen, komplett außen vorlassen".
Expertin: Junge Menschen befähigen, ihren Platz zu finden
Ziel sei es, "junge Menschen zu befähigen, sich reflektiert und kompetent ihren Platz zu suchen", so Hasenbein. "Dazu gehört kompetenter Medienumgang genauso wie eine gesunde Lebensführung." Das könnten junge Menschen jedoch nicht lernen, wenn man sie komplett fernhielte von Dingen, die ein elementarer Teil ihrer Lebenswelt sind.
Wo also liegt der gesunde Mittelweg? Dazu hat sich auch
Das dürfte jedoch nicht so einfach sein. Denn neben der rechtlichen könnte auch die technische Umsetzung eine große Herausforderung darstellen. Immerhin: Erste Vorschläge gibt es – von digitalen Wallets bis hin zu KI-gestützter Alterserkennung.
Kommt der Führerschein für soziale Medien?
Dabei sieht Lisa Hasenbein auch Eltern, Schulen und Jugendorganisationen in der Pflicht. Wichtig seien Anlaufstellen, um jungen Menschen – aber auch Eltern oder pädagogischen Fachkräften – Raum zu bieten, in dem in aller Offenheit Erfahrungen thematisiert werden können. "Es ist wichtig, dass es nicht bevormundend wird", ergänzt sie.
Empfehlungen der Redaktion
Lisa Hasenbein ist optimistisch: "Es stimmt mich hoffnungsvoll, dass wir an dieses Thema jetzt rangehen. Es passiert schon an einigen Stellen was, aber nicht immer systematisch und vernetzt. Wenn das gelingen würde, kann man einiges gewinnen."
Über die Expertin
- Dr. Lisa Hasenbein ist Jugendforscherin und Psychologin. Sie ist Leiterin der Fachgruppe "Lebenslagen und Lebensführung Jugendlicher" am Deutschen Jugendinstitut (DJI)
Verwendete Quellen
- Leopoldina: Nationale Akademie der Wissenschaften: Soziale Medien und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
- Leopoldina: Altersgrenzen für Social Media und Einschränkung suchterzeugender Funktionen: Leopoldina-Diskussionspapier empfiehlt besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen (11. August 2025)
- YouTube: Soziale Medien und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
- SWR: BW-CDU hält nichts von dem Vorstoß. Grünen-Politiker Özdemir: TikTok und andere Soziale Medien für Kinder verbieten
- GMK: Regulieren statt verbieten: Smartphonenutzung an Schulen pädagogisch gestalten
- Spiegel: Kinder- und Jugendschutz beim Gebrauch von Digitalmedien. Streeck ist für Altersvorgaben, aber gegen Handyverbote