Das Wattenmeer hat eine besondere ökologische Bedeutung, aber der Klimawandel bedroht dieses wichtige Ökosystem. Welche Folgen das hat – und wie das Wattenmeer geschützt werden kann.
So weit das Auge reicht Sand, Schlick und Salzwiesen: Das Wattenmeer verbindet drei Länder, ist die Heimat von Tausenden Arten und bietet Nahrung für Millionen Zugvögel. Seit am 1. Oktober 1985 der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer und wenige Monate später der niedersächsische Teil Nationalpark gegründet wurde, genießt das Wattenmeer einen besonderen Schutzstatus. Doch das Weltnaturerbe ist in Gefahr: Der Klimawandel wirkt auf alle Ebenen ein – und das im Rekordtempo.
"Das Wattenmeer verändert sich so schnell, dass es ganz anders aussieht als noch bei unseren Großeltern", sagt Christian Buschbaum, Ökologe beim Alfred-Wegener-Institut (AWI).
Ökosystem kann mit steigenden Temperaturen nicht Schritt halten
Die Winter sind milder, die Sommer wärmer – und die Nordsee auch. Das Wasser hat sich schon um zwei Grad über dem langjährigen Mittel erwärmt. "Die Erwärmung wirkt sich zum Beispiel auf die Lebensbedingungen für Fische, Bodenlebewesen, aber auch auf die Zugvögel und Brutvögel aus", erklärt Jannes Fröhlich, Leiter des WWF-Wattenmeerbüros. Das Ökosystem werde sich nicht schnell genug anpassen können.
"Wenn das als Nationalpark und Weltnaturerbe geschützte Wattenmeer nicht schnell genug mitwachsen kann, droht es zu 'ertrinken'."
Steigender Meeresspiegel ist größte Gefahr für das Wattenmeer
Mit den höheren Temperaturen steigt der Meeresspiegel. Seit Beginn der Satellitenmessungen 1993 schwellen die Pegel der Nordsee nach Angaben des Alfred-Wegener-Instituts im Schnitt um vier Millimeter pro Jahr – allerdings mit großen regionalen Unterschieden.
Das bereitet Experten Sorgen. "Aus Sicht des WWF ist ein beschleunigter Anstieg des Meeresspiegels die größte Gefahr für das Wattenmeer", sagt Fröhlich. "Wenn das als Nationalpark und Weltnaturerbe geschützte Wattenmeer nicht schnell genug mitwachsen kann, droht es zu 'ertrinken'."
Entscheidend sei die Geschwindigkeit, erklärt Gregor Scheiffarth vom Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Je langsamer die Temperaturen – und damit auch das Meer – steigen, desto eher könne sich das Watt anpassen. "Bei der derzeitigen Geschwindigkeit des Meeresspiegelanstiegs können, mit regionalen Unterschieden, sowohl die Wattflächen, als auch die Salzwiesen mithalten."
Der Küstenschutz versucht schon, mit Sandaufspülungen den Meeresspiegelanstieg einigermaßen zu kompensieren. Eine weitere Option sei es, Küstenniederungen und Salzwiesen zu erhalten und wiederherzustellen, meint Fröhlich.
Klimawandel begünstigt invasive Arten
Das Wattenmeer ist ein extremer Lebensraum, in dem verhältnismäßig wenig Arten leben. Doch das ändere sich langsam, sagt Ökologe Christian Buschbaum. "Das Wattenmeer ist heute artenreicher als es das vor 100 Jahren war." Viele Arten werden von Menschen eingeschleppt und sie fühlen sich hier wohl – auch weil das Wasser wärmer wird.
Noch gebe es viel Platz für neue Pflanzen und Tiere. Doch das sei immer mit Risiken verbunden: "Jede neue Art, die dazukommt, bewirkt Veränderungen. Und die können dramatisch sein", sagt der Forscher. So gab es etwa Befürchtungen, die eingewanderte Pazifische Auster könnte heimische Miesmuscheln verdrängen. Schließlich stellte sich heraus, dass beide Arten gut nebeneinander existieren. "Also bisher sind wir ganz glimpflich davongekommen, aber wir wissen nicht, wie es in der Zukunft aussieht."
Manchen Arten gelingt die Anpassung – manchen nicht
Die meisten Lebewesen an der Küste sind nach Angaben des Ökologen Buschbaum in der Lage, sich an variierende Umweltbedingungen und damit auch an höhere Temperaturen anzupassen. "Viele Arten kommen auch an der niederländischen, belgischen und an der französischen Küste vor. Und da ist es wärmer als im nördlichen Wattenmeer."
Besonders profitieren wärmeliebende Tier- und Pflanzenarten aus anderen Regionen, die den Weg ins Wattenmeer gefunden haben. So breiten sich beispielsweise Fische aus dem Mittelmeer oder aus dem Ärmelkanal aus, berichtet Biologe Claus von Hoerschelmann. "Meeräschen und Barben tauchen häufiger auf und können die Winter hier auch überleben."
Experten beobachten jedoch auch, dass bislang heimische Arten in kältere Regionen abwandern. Ein Beispiel sei der Dorsch: "Larven des Dorsches finden hier nicht mehr die passende Nahrung und können nur noch in kälteren Meeresbereichen im hohen Norden überleben", sagte der Biologe vom Nationalparkzentrum Multimar Wattforum.
Meeresspiegelanstieg lässt Nahrungsangebot für Zugvögel schrumpfen
Wenn Ebbe ist und das Meer zurückgeht, stürzen sich die Vögel auf Würmer, Schnecken, Muscheln und Krebse. Ihnen bietet sich Nahrung in Hülle und Fülle, doch das wird sich ändern. "Der Meeresspiegelanstieg wird diese trocken fallende Wattfläche bis zum Ende des Jahrhunderts drastisch schrumpfen lassen", sagt von Hoerschelmann. "Somit wird das erreichbare Nahrungsangebot für die Wattenmeervögel ebenfalls stark abnehmen."
Zudem bringt der Klimawandel den Rhythmus einiger Zugvögel durcheinander. Ein gut erforschtes Beispiel ist nach Angaben der Nationalparkverwaltung der Watvogel Knutt, der das Wattenmeer als Zwischenstopp nutzt: "Wenn die Küken in den arktischen Brutgebieten schlüpfen, ist der Lebenszyklus der Nahrungstiere – kleine Insekten – schon vorbei." In der Folge entwickeln die schlecht ernährten Jungvögel demnach kürzere Schnäbel. Dies kann ihnen als ausgewachsener Vogel zum Nachteil gereichen, wenn sie etwa in ihren afrikanischen Winterquartieren nach Bodenlebenwesen stochern.
"Es geht um nicht weniger als die Frage, wie wir in Zukunft sicher vor Sturmfluten leben und die Natur des Wattenmeeres an der Nordseeküste erhalten können."
Auch Brutvögel leiden unter den Folgen des Klimawandels. Immer häufiger erreichen Sturmfluten Salzwiesen und Strände des Wattenmeers, wie Jannes Fröhlich vom WWF beobachtet. Nester werden von den Fluten zerstört, Eier weggeschwemmt. "Dies kann sich durch die Klimakrise weiter verstärken."
Küstenschutz muss neu gedacht werden
Entlang der Küsten von Niedersachsen und Schleswig-Holstein gibt es viele Deiche, die das dahinterliegende Land und die dort lebenden Menschen bei Sturmfluten schützen. Mit Blick auf den Klimawandel fordern Experten und Naturschützer aber nicht nur die Bauwerke gestiegenen Meeresspiegeln anzupassen, sondern auch, den Küstenschutz in Teilen neu zu denken.
"Es geht um nicht weniger als die Frage, wie wir in Zukunft sicher vor Sturmfluten leben und die Natur des Wattenmeeres an der Nordseeküste erhalten können", sagt etwa Jannes Fröhlich vom WWF-Wattenmeerbüro. Man brauche weiter gute Deiche, um sicher vor Sturmfluten an der Küste leben zu können, aber auch den natürlichen Küstenschutz durch Dünen, Salzwiesen und Wattflächen als Puffer gegenüber Sturmfluten.
In Schleswig-Holstein hat als Reaktion auf den Klimawandel und den Anstieg des Meeresspiegels die Strategie für das Wattenmeer 2100 entwickelt, die sich unter anderem mit diesen Themen befasst. In Niedersachsen sind etwa Öffnungen von Sommerdeichen ein erster Schritt in diese Richtung.
Globaler Klimaschutz ist die wichtigste Aufgabe
Die treibende Kraft des Klimawandels ist die weltweite Erhöhung der Temperatur durch den Ausstoß klimaschädlicher Gase, wie Scheiffarth von der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer sagt. "Dies zu begrenzen, ist und bleibt die grundsätzliche politische Herausforderung."
Auch WWF-Mann Fröhlich betont, "die beste Vorsorge ist globaler Klimaschutz, um die schlimmsten Klimafolgen noch zu verhindern." An die Erwärmung von Luft und Wasser könne sich das Wattenmeer am besten einstellen, wenn Naturprozesse zugelassen werden und die Natur möglichst wenig beeinträchtigt werde – etwa durch Schadstoffe, Bebauung, Industrie und Fischerei.
Jeder Einzelne trägt Verantwortung für die Umwelt
Es braucht nicht nur große, koordinierte Maßnahmen, sondern jeder Einzelne kann durch "eine ökologisch-nachhaltige Gestaltung des Alltags oder auch des Urlaubs an der Küste" seinen Teil zum Wattenmeerschutz beitragen, betont Scheiffarth.
Empfehlungen der Redaktion
Biologe von Hoerschelmann gibt dafür ein paar Tipps: Energie sparen, Müll (und damit auch Energie) vermeiden, ein nachhaltigeres Leben anstreben. "Wer sich vor Ort auf die umfassende Schönheit des Wattenmeers einlässt, mag erfahren, dass wir ein Teil unserer umfassenden Umwelt sind und nicht nur Konsumenten oder Durchreisende." (dpa/bearbeitet von sav)