In der geheimen Bibliothek des Papstes lagern unvorstellbare Schätze, unter anderem Briefe von Kaiserin Sissi und Abraham Lincoln – aber auch Dokumente zu Verbrechen der katholischen Kirche. Welche Geheimnisse verbergen sich dort?

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Unvorstellbare 85 Kilometer an Regalen stehen im geheimen Archiv des Vatikans. Das bietet Stoff für Legenden, Mythen und Verschwörungstheorien: Was versteckt die katholische Kirche im "Archivio Segreto" im Vatikanstaat, welche dunklen Geheimnisse würden ans Licht kommen, wenn man die Dokumente in den Kellern einsehen könnte?

Zum Beispiel heimliche Botschaften der Illuminati, in denen Anschläge auf Kardinäle beschrieben sind? Die entdeckt die Hauptperson des Roman- und Kino-Thrillers "Illuminati" in der Bibliothek, und löst damit eine Jagd durch ganz Europa aus.

Bei Bestsellerautor Dan Brown klingt das Geheimarchiv ziemlich gruselig: Es wird von einem bewaffneten Agenten geleitet. Und die wertvollen Schriften liegen in luftdichten Kammern. Wer sie unbefugt betritt, bringt sich in Lebensgefahr. Denn nur die Eingeweihten können die Luftzufuhr in den Räumen regeln. Brown hat damit die Phantasie vieler Verschwörungstheoretiker beflügelt – er selbst hat das Archiv allerdings nie besucht.

Der "Bunker" liegt unter der Erde

Um die verborgenen Kellerräume ranken sich aber nicht erst seit dem Thriller viele Legenden. Wissenschaftler, Autoren und Verschwörungstheoretiker sind gleichermaßen fasziniert von der riesigen Bibliothek. Das liegt auch daran, dass die Kirche jahrhundertelang kaum Informationen an die Öffentlichkeit dringen ließ. Das Herz des Archivs ist ein zweistöckiger Raum unter der Erde, "Bunker" genannt. Angeblich ist er atombombensicher, hier lagern die empfindlichsten Dokumente. Doch insgesamt gibt es 600 einzelne Archive im Vatikan.

Mindestens 35.000 Bände an Dokumenten sind im Inventar aufgeführt, der Bestand ist aber längst nicht vollständig erfasst. Viele Akten sind offenbar im Lauf der Jahre falsch eingeordnet worden oder wurden erst viel später entdeckt. Das befeuert erst Recht die Gerüchteküche. Das älteste Dokument stammt aus dem achten Jahrhundert. Es gab einmal noch ältere Unterlagen, die bis ins vierte Jahrhundert zurückreichten: Doch die Papyrusrollen sind zum Großteil verloren gegangen.

Päpstliche Bullen und Briefe von immensem Wert

Unter den Akten sind Briefe von unschätzbarem Wert an verschiedene Päpste, unter anderem von Michelangelo, Kaiser Friedrich Barbarossa, Abraham Lincoln oder Kaiserin Sissi von Österreich-Ungarn. In der Bibliothek befindet sich auch eine päpstliche Bulle aus dem Jahr 1520, in der die Exkommunizierung Martin Luthers angeordnet wird, und eine Papstehrung für Wolfgang Amadeus Mozart.

Alle Gesetze des Vatikans und der politische Schriftverkehr der Päpste seit dem 13. Jahrhundert sind dort gesammelt, aber auch Bücher mit Abrechnungen von Adelsfamilien aus Rom. Und Anordnungen der kirchlichen Herrscher, die grausame Verbrechen nach sich zogen: Etwa eine Bulle von Papst Innozenz IV. aus dem Jahr 1252, in der er Folter erlaubte, um Geständnisse von vermeintlichen Ketzern und Hexen zu erzwingen.

Prozessakten gegen Galilei und Schreiben mit 81 Siegeln

Viele der in den Schriften behandelten Ereignisse sind in die Geschichtsbücher eingegangen, sie haben den Lauf der Welt verändert: So sind etwa die Prozessakten gegen den als Ketzer diffamierten Galileo Galilei zu finden. Er hatte den Zorn der Kirche auf sich gezogen, weil er behauptete, dass die Planeten um die Sonne kreisten und nicht die Erde der Mittelpunkt des Universums sei. Besonders wertvolle Dokumente im Geheimarchiv sind Briefe vom Hof des englischen Königs Henry VIII. an den Papst: Er bittet darin um die Annullierung seiner Ehe. Der Streit darum führte zur Gründung der Anglikanischen Kirche.

In einem weiteren Schreiben teilt Henry mit, dass der Adel in England seiner Scheidung zugestimmt hat – auf einem Pergament mit 81 Siegeln. Dieses Dokument war jahrzehntelang verschollen und tauchte 1919 wieder auf – versteckt im Geheimfach eines Stuhls.

Die gar nicht mehr so geheimen Archive

Es sind solche Geschichten, mit denen sich Verschwörungstheoretiker bestätigt sehen. Sie sind davon überzeugt, dass noch viele Geheimnisse ans Licht kommen würden, wenn die Archive erforscht würden. Dabei sind sie inzwischen längst nicht mehr so geheim. Bis ins späte 19. Jahrhundert wussten tatsächlich wenige Menschen außerhalb des Vatikans von ihrer Existenz.

Dass es sich um ein "Geheimarchiv" handelte, war aber auch damals eigentlich falsch: Denn die Bezeichnung "Segreto" im Namen steht nicht für eine Abschottung, sondern sie beschreibt lediglich, dass es sich um das Privatarchiv des Papstes handelt. Gegründet hat es 1612 Papst Paul V., es gab aber schon Vorläufer. Heute sind mehr als 50 Mitarbeiter für die Pflege des "Archivio Segreto Vaticano" zuständig.

Seit 1881 dürfen manche Wissenschaftler die Dokumente einsehen – allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen und erst nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne. Auch das finden viele verdächtig: Will die Kirche etwa unliebsame Wahrheiten vertuschen? Meist sind es um die 70 Jahre, gerechnet wird allerdings nach Pontifikaten, also der Amtszeit der Päpste.

Die Kirche hat sich im Lauf der Jahre immer weiter geöffnet: 2012 zeigte die Bibliothek zu ihrem 400-jährigen Bestehen sogar ausgewählte Exponate bei einer Ausstellung. Der passende Titel: "Lux in Arcana", "Licht in die Geheimnisse".

Auch heute noch spektakuläre Funde

In "Illuminati" dürfen nur katholische Forscher das Archiv betreten, wenn überhaupt. In Wirklichkeit ist das anders: Wissenschaftler brauchen ein abgeschlossenes Studium und eine Empfehlung, damit sie in dem Archiv forschen dürfen. Der "passende" Glaube ist aber keine Voraussetzung. Vor Ort dürfen sie keine Handys benutzen und müssen angemessene Kleidung tragen.

Sie machen mitunter auch heute noch spektakuläre Funde. Zum Beispiel tauchte die Akte des Templerordens erst nach 700 Jahren wieder auf, eine aus 80 Pergamenten bestehende 56 Meter lange Akte. Die Archivare sagen, dass eben manche Dokumente am falschen Ort gelagert waren. Kritiker glauben: Das ist kein Zufall, sondern Absicht, damit bestimmte Dinge nicht ans Licht kommen.

Schon seit Jahren warten Experten mit Spannung darauf, dass die Geheimbibliothek die Akten aus der Zeit von Pius XII. öffentlich macht – dem Papst zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Der soll sich mit Hitler arrangiert und zu dessen Verbrechen geschwiegen haben. Bislang stammen alle einsehbaren Dokumente im Archiv aus der Zeit vor 1939. 16 Millionen Seiten in 250.000 Pappschachteln von und über Pius XII. soll es im Vatikan geben. 2019 dürften sie freigegeben werden – wenn es der Papst will.

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