Sie zitieren aus der Bibel und betonen, wie sehr der Glaube an Gott sie stärkt: Immer mehr Influencerinnen und Influencer teilen auf TikTok und Instagram religiösen Content. Eine Expertin erklärt, wieso Glaube plötzlich wieder "cool" ist und klärt über potenzielle Gefahren auf, die religiöse Inhalte ihrer Ansicht nach transportieren können.
TikTok ist längst nicht mehr nur eine Plattform für Tanzvideos und Comedy. Immer mehr Menschen nutzen die App auch, um politische oder religiöse Botschaften zu verbreiten. Ob Reality-TV-Star, Castingshow-Teilnehmerin oder Influencer - viele von ihnen zitieren in ihren Videos die Bibel und betonen die Macht des Glaubens. Die Sozialethikerin Linda Kreuzer von der Universität Wien beobachtet diesen Trend in den sozialen Medien.
"In Jesus name we say?", kommentiert Influencerin Millane ein Video, in dem die 23-Jährige vor einer aufgeschlagenen Bibel tanzt. Ihr folgen sieben Millionen Menschen auf TikTok. Zu Beginn ihrer Social-Media-Karriere war Glaube nie Thema für das Model. Was ist da passiert?
Linda Kreuzer: Es gibt immer mehr religiöse Bekenntnisvideos. Seit der Covid-19-Pandemie gibt es den Tradwife-Trend, weil der Fokus wieder mehr auf dem Privaten liegt. Das haben Influencerinnen aufgegriffen und zu Geld gemacht - und ähnlich ist es jetzt mit religiösen Inhalten. Ich gehe davon aus, dass viele dieser Personen sehr wohl kalkulieren, auf welche Religion sie Bezug nehmen, welche religiösen Inhalte sie präsentieren - und ihre Follower- und Klickzahlen werden ihnen recht geben. Religion ist gerade ein großes Thema.
Lange war Religion bei jungen Menschen ja eher "out" …
Genau. Jetzt ist die christliche Religion in sehr vielen Ländern als Identitätsmarker wieder Trend, vor allem in Ländern, in denen es einen Trend zum Rechtspopulismus gibt. Es gibt natürlich Influencer, die das aus Überzeugung heraus machen. In den meisten Fällen geht es allerdings um Aufmerksamkeit und weniger um religiöse Überzeugung.
Empfehlungen der Redaktion
TikTok-Studien von Katharina Limacher und Michael Hunklinger haben eine Zunahme von religiösen Influencern verzeichnet, sowohl in der konservativen und traditionellen Richtung als auch bei den liberalen Gegenentwürfen. Es gibt zum Beispiel viel mehr LGBTQIA+-Personen, die sich zu ihrer Glaubensüberzeugung äußern. Das spiegelt den gesellschaftlichen Trend wider, dass Religion wichtig geworden ist für innergesellschaftliche Werte.
Woher kommt dieser Trend?
Schon immer gibt die Influencer-Szene in den USA den Takt an. Vor etwa drei Jahren gab es dort einen extremen Hype um evangelische und katholische Influencer. Popsängerin
"In den seltensten Fällen posten Influencer diesen Content aus Liebe zu Gott. Da steckt immer ein persönlicher Gewinn dahinter."
Von einem gesellschaftlichen Trend hin zur Religion kann hier eher nicht die Rede sein, wenn man sich zum Beispiel die Zahl der Kirchenaustritte der vergangenen Jahre ansieht …
Junge Menschen fühlen sich in den klassischen Kirchen, den großen Institutionen, nicht mehr wohl. Das ist allerdings kein Indikator dafür, dass Religion unwichtig geworden ist. Denn nicht alle, die bei Instagram oder TikTok ihren Glauben zelebrieren, leben diesen im klassischen Sinn. Vieles ist Performance und Marketing, denn damit lässt sich Aufmerksamkeit generieren. Inwiefern der Glaube konkret in ihrem Leben eine Rolle spielt, kann man von außen schwer beurteilen. Einige wollen den Verkauf von Büchern ankurbeln oder auf ihre Podcasts aufmerksam machen. In den seltensten Fällen posten Influencer diesen Content aus Liebe zu Gott. Da steckt immer ein persönlicher Gewinn dahinter.
Viele junge Menschen finden erst durch diese Videos ihren Weg zum Glauben. Wie kommt das?
Jugendstudien geben Hinweise darauf, dass Religion aufgrund der gesellschaftlichen Polarisierung wichtiger wird. Statt auf Gemeinsamkeiten zu schauen, schlägt man sich auf eine Seite. Dieser politische Trend wirkt sich auch gesellschaftlich und religiös aus. Vor allem junge Menschen, die ohne religiöse Bildung aufgewachsen sind, haben die Tendenz, den Glauben für sich zu entdecken - als Form des Widerstands den Eltern gegenüber. Religion dient als ein Abgrenzungsmechanismus.
"Die Kombination aus Beauty, Fitness und Religion ist etwas Neues. Religion dient dabei als Selbstoptimierungsinstrument: Dank seines Glaubens lebt man diszipliniert und wird dafür mit einem Glow Up belohnt."
Besonders besorgniserregend finde ich, dass problematische Body-Influencer - die angeblich um vier Uhr in der Früh aufstehen, trainieren, sich gesund ernähren und für Selbstoptimierung stehen - häufig Spiritualität und Religion in ihren Content einbauen.
Was ist daran aus Ihrer Sicht problematisch?
Diese Art von Influencern benutzen Religion, indem sie ihren angeblichen positiven Einfluss betonen. Diese Influencer vermitteln das Bild, dass zu einem gelungenen Leben auch Glaube gehört: Beten und Meditieren ist gut gegen ein hohes Stresslevel, man bekommt weniger Pickel und ist mental leistungsfähiger. Die Kombination aus Beauty, Fitness und Religion ist etwas Neues. Religion dient dabei als Selbstoptimierungsinstrument: Dank seines Glaubens lebt man diszipliniert und wird dafür mit einem Glow Up belohnt.
Was ist ein Glow Up?
- Als Glow Up wird eine sichtbare Veränderung des Aussehens bezeichnet, die Menschen in Hinblick auf aktuelle Schönheitsstandards als positiv wahrnehmen. Menschen verwandeln sich nach dieser Sichtweise nach einem Glow Up in eine bessere, attraktivere Version ihrer selbst. Darunter fallen zum Beispiel strahlende, bessere Haut oder ein normschöner Körper.
Wenn junge Frauen also auf TikTok oder Instagram Videos von Influencern sehen, die von ihrem Glauben berichten und in einer scheinbar perfekten Welt leben - was macht das mit ihnen?
Meiner Meinung nach beschränkt es junge Frauen in ihrer Entwicklung und kann Wege in Abhängigkeitsverhältnisse eröffnen. Das ist eine große Gefahr. Außerdem bringen solche Inhalte in den sozialen Medien Frauen dazu, sehr selbstkritisch zu sein und wecken den Wunsch nach einem angeblich perfekten Leben. Aber wer sich permanent selbst verbessert und auf sich fokussiert, kann keine aktive Bürgerin sein. Und solche Personen sind innerhalb eines Staatsgefüges wesentlich leichter zu lenken. Da steckt schon bis zu einem gewissen Grad eine Gefahr dahinter.
"Die religiösen Trends auf TikTok und Instagram führen in den meisten Fällen eher dazu, Abgrenzung und Gruppenzugehörigkeit zu markieren."
Sie können dem also nichts Positives abgewinnen? Immerhin sind christliche Werte wie Nächstenliebe doch erstrebenswert …
Die bloße Botschaft des Glaubens allein macht noch keine Handlung aus. Es hängt immer mit dem Handlungsspielraum zusammen. Wenn Personen von dieser Botschaft so beflügelt sind, dass sie ein Obdachlosenzentrum gründen, ist das wunderbar. Aber die religiösen Trends auf TikTok und Instagram führen in den meisten Fällen eher dazu, Abgrenzung und Gruppenzugehörigkeit zu markieren. Und es ist keine Zunahme von Engagement im Pfarr- oder Ehrenamt zu verzeichnen. Aber nach der katholischen Soziallehre hat jeder Mensch, der sich gläubig nennt, eine gesellschaftliche Verantwortung - was ich bei manchen religiösen Influencerinnen nicht sehe.
Manchmal ist sogar das Gegenteil der Fall ...
Ja, es gibt christliche Influencer, die rassistische, sexistische oder islamophobe Äußerungen tätigen. Da geht es unter anderem darum, "christliche Werte" gegenüber einer erfundenen Bedrohung von außen schützen. Die Gefahr ist groß, dass vor allem junge Menschen diese Inhalte sehen und nicht einordnen können. Zum Teil werden Bibelzitate aus dem Zusammenhang gerissen oder es werden nur bestimmte Theologen zitiert. Es werden oft sehr verkürzte, falsche Dinge kommuniziert.
Über die Gesprächspartnerin
- Linda Kreuzer ist Sozialethikerin und arbeitet am Institut für Systematische Theologie und Ethik an der Universität Wien. Ihre Schwerpunkte sind dabei Care-Ethik und Institutionentheorie, Medien- und Unterhaltungsethik sowie feministische Theorien und Befreiungsethik.
Verwendete Quellen
- Gespräch mit Linda Kreuzer
- Recherche auf TikTok und Instagram
- "Frontiers": "'Your identity is, what God puts into you'—Christian online activism on gender and sexuality politics on TikTok"