In einem Interview hat Ex-Fußballspieler Christoph Kramer erzählt, einen IQ von 91 zu haben – und über das Testergebnis "schockiert" gewesen zu sein. Was bedeutet es, einen geringeren IQ als den Durchschnitt von 100 zu haben? Eine Professorin für Psychologische Diagnostik gibt eine Einordnung.
"Ich habe einen IQ von 91 – und das ist echt nicht gut." Mit dieser Aussage überraschte Ex-Fußballprofi und Weltmeister
Was ist der IQ?
- Der Intelligenzquotient (IQ) ist eine Kenngröße zur Bewertung des intellektuellen Leistungsvermögens.
- Bei einem Test werden verschiedene Bereiche der Intelligenz, darunter die Sprach- und Zahlenkompetenz, Gedächtnisleistung und räumliches Vorstellungsvermögen geprüft.
Vor allem vor der Kamera als TV-Experte macht Kramer eine gute Figur, drückt sich stets eloquent aus. Wie aussagekräftig ist der IQ also – und ist ein hoher IQ automatisch ein Erfolgsgarant? Wir haben mit Tanja Gabriele Baudson gesprochen. Sie ist Professorin für Psychologische Diagnostik, Differentielle Psychologie und Psychologische Methoden an der Charlotte Fresenius Hochschule in Wiesbaden.
Frau Baudson, der IQ-Durchschnitt liegt bei 100 Punkten. Vor Kurzem hat Ex-Fußballer Christoph Kramer erzählt, einen IQ von 91 zu haben. Das habe ihn "schockiert". Was sagt es aus, wenn der Wert unter 100 liegt?
Tanja Gabriele Baudson: Der IQ sagt etwas über unsere intellektuelle Begabung aus. Der Mittelwert liegt bei 100 und streut in beide Richtungen gleichermaßen: Der durchschnittliche Bereich liegt zwischen 85 und 115. Der Wert für geistige Beeinträchtigung liegt bei unter 70, während Hochbegabte einen IQ von mindestens 130 aufweisen. Insofern liegt Kramer mit seinem Wert im Schnitt. Und man sollte bedenken, dass es verschiedene Arten von Begabungen gibt. Christoph Kramer zum Beispiel ist sportlich unstrittig hochbegabt. Er hat das Potenzial, das er schon als Kind hatte, in ganz besonderer Weise umgesetzt.
Ein Intelligenztest sagt also nichts darüber aus, wie viel Potenzial in uns steckt?

Doch, das ist schon der Grundgedanke dahinter: Man versucht, Potenzial messbar zu machen. Wir versuchen mit einem IQ-Test, die Fähigkeit zum abstrakten Denken zu messen, also die Fähigkeit, mit neuartigen Problemen umzugehen, für die wir noch keine Routinen haben. Letztlich sagt der IQ unsere Leistungen im intellektuellen Bereich voraus.
Insofern hilft eine hohe Intelligenz, aber sie ist nicht in jedem Bereich gleichermaßen notwendig. Und auch Fleiß und Förderung spielen eine wichtige Rolle. Wenn man beispielsweise in der Schule schlechte Noten schreibt, liegt das ja nicht unbedingt daran, dass man "dumm" wäre.
Übrigens hatte William Stern, einer der ersten Begabungsforscher in Deutschland, bereits angemerkt, dass wir mehr bräuchten als nur Tests für die Intelligenz. Denkbar wären zum Beispiel Tests für kreative Begabung.
"Es ist nicht so, dass Intelligenz automatisch dazu prädestiniert, hohe Leistungen zu erbringen. Da gehört mehr dazu: Übung, Fleiß und ein gewisser Drive."
Kramer gleicht seinen IQ von 91 also mit seiner sportlichen Begabung aus?
Er liegt mit seinem IQ ja immer noch im Durchschnittsbereich. Und er nutzt gut, was er hat, würde ich sagen. Was hinzukommt, ist Expertise: Wenn wir gezielt an den Dingen arbeiten, die wir noch nicht gut können, werden wir besser. Es ist nicht so, dass Intelligenz automatisch dazu prädestiniert, hohe Leistungen zu erbringen. Da gehört mehr dazu: Übung, Fleiß und ein gewisser Drive. Wenn Potenzial sehr früh erkannt wird, kann das entsprechend gefördert werden. Wie bei Kramer: Er hat herausragende Leistungen erbracht. Da gehört mehr dazu als nur Intelligenz oder nur das Potenzial. Es braucht Übung, Engagement und Förderung.
Der IQ ist also kein Indikator, ob wir beruflich eine erfolgreiche Karriere haben werden?
Doch, durchaus. Die Intelligenz hilft, systematische Zusammenhänge zu erkennen, neues Wissen zu verarbeiten und in das alte zu integrieren. Das ist in frühen Entwicklungsphasen entscheidend. Später spielt dann eine Rolle, was man daraus gemacht hat, was man sich angeeignet hat, worauf man aufbauen kann und ob man seine Chancen genutzt hat.
Die Intelligenz trägt dazu bei, dass die Chancen auf einen guten Schulabschluss ein bisschen besser sind. Ein guter Schulabschluss bedeutet bessere Chancen auf einen guten Studienabschluss und der wiederum gute Chancen auf einen besseren Berufseinstieg. Deswegen ist es so wichtig, dass wir früh mit der Förderung starten.
Grundsätzlich hält sich nach wie vor die Erwartungshaltung in der Gesellschaft, dass Menschen mit hohem IQ automatisch erfolgreich sein werden. Kein Wunder also, dass Kramer sagte, das Ergebnis sei ein Schock für ihn gewesen. Was macht das Ergebnis mit den Betroffenen, die sich mehr erhofft hatten?
Zunächst mal sollte man sich klarmachen: In diesem Durchschnittsbereich zwischen 85 und 115 liegen fast 70 Prozent der Menschen. Dann ist es wichtig, sich noch bevor man den Test macht zu überlegen, wie man mit dem Ergebnis umgehen wird. Man sollte sich auf alle möglichen Ergebnisse vorbereiten. Was wäre, wenn das Wunschergebnis rauskommt? Und was ziehe ich für Schlüsse, wenn das Wunschergebnis nicht rauskommt?
"Wenn das Ergebnis niedriger ausfällt, als man dachte – erstaunlich niedrig für das, was man geleistet hat – kann man sich auch ruhig mal auf die Schulter klopfen."
Ja, ein hoher IQ ist eine tolle Eigenschaft, aber wirklich nicht alles. Wenn das Ergebnis niedriger ausfällt, als man dachte – erstaunlich niedrig für das, was man geleistet hat – kann man sich auch ruhig mal auf die Schulter klopfen.
Das Wichtigste: Der Wert des Menschen hängt nicht von dieser Zahl ab. Was man aus dem Ergebnis macht, hängt von vielen Faktoren ab. Deshalb sollte man sein Intelligenz-Testergebnis nicht so hoch hängen. Den Wert des Menschen unabhängig von seiner Leistungsfähigkeit und seiner Intelligenz zu sehen, ist gerade in Deutschland eine historische Herausforderung.
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Wäre es dann nicht sinnvoller, gar nicht erst solche Tests zu machen?
Ich halte IQ-Tests durchaus für wichtig. Das ist eine Information, die vor allem Kindern dabei helfen kann, die richtige Förderung zu erhalten. Selbst im Erwachsenenalter kann ein Test noch sinnvoll sein. Die Intelligenz ist ein Anhaltspunkt für die grundsätzliche Leistungsfähigkeit. Sinnvoll sind auch differenzierte Tests, die Bereiche identifizieren, in denen besondere Stärken liegen oder in denen man ein bisschen nachfördern muss.
Grundsätzlich fände ich es super, wenn ein IQ-Test standardmäßig als Zusatz zum Lehrerurteil gemacht würde und wir die Ergebnisse einordnen könnten. Dazu bräuchte man allerdings einige Veränderungen im Bildungssystem. In der aktuellen Situation würde ich das deshalb nicht empfehlen.
Aber: Die hohe Aussagekraft von IQ-Tests ist nicht von der Hand zu weisen. Da gibt es zahlreiche Studien. IQ-Ergebnisse aus der frühen Kindheit haben zum Beispiel vorhergesagt, wie viel Erfolg die Menschen im Leben haben werden, aber auch, wie gesund sie sind und wie lange sie leben. Es ist zum Beispiel nachgewiesen, dass Menschen mit geringerem IQ im Schnitt früher sterben – wobei viele Faktoren zusammenkommen. Der hohe IQ ist eben kein Selbstläufer.
"Anhand des Ergebnisses kann man das Beste aus seinen Potenzialen machen."
Ist es aber nicht psychisch belastend, seinen IQ zu wissen? Bei Menschen mit hohem IQ baut das womöglich Druck auf, erfolgreich zu sein. Und ein niedriger Wert könnte demotivierend wirken …
Das ist aber nicht das Problem des IQ-Tests, sondern das Problem der Einordnung. Entscheidend ist die Frage: Was bedeutet dieser IQ-Wert für mich und wie gehe ich damit um? Es geht darum, das Ergebnis zu akzeptieren und die richtigen Schlussfolgerungen für sich zu ziehen. Vor allem bei Kindern kommt hier das gezielte Lernen und Üben ins Spiel. Anhand des Ergebnisses kann man das Beste aus seinen Potenzialen machen. Und vielen Erwachsenen hilft das Wissen um ihren IQ auch im Nachhinein, sich selbst besser zu verstehen.
Angenommen, man möchte seinen IQ oder den des eigenen Kindes wissen – worauf sollte man bei den Tests achten?
Empfehlungen der Redaktion
Man sollte aufpassen, welchen Test man macht. Im Internet kursieren einige, die keine Aussagekraft haben, da sie nicht unter standardisierten Bedingungen durchgeführt werden. Ein Test sollte immer unter Aufsicht von Psychologen oder Psychologinnen stattfinden, die wissen, wie solche Tests durchzuführen sind. Das geht zum Beispiel bei Institutionen wie dem Hochbegabtenverein Mensa in Deutschland.
Über die Gesprächspartnerin
- Prof. Dr. Tanja Gabriele Baudson forscht an der Charlotte Fresenius Hochschule in Wiesbaden zu Begabung, Kreativität und Intelligenz. Ehrenamtlich engagiert sie sich als Vorstand des Hochbegabtenvereins Mensa in Deutschland e.V.